Als Nikolaus Benke 1994 von Kasachstan nach Deutschland kam, überquerte er die Grenze mit nichts außer seinem Sohn im Arm, einem Koffer in der Hand und 3000 Dollar Bargeld in der Tasche. Heute wohnt der inzwischen 53-Jährige mit seiner Frau und zwei Kindern in einem eigenen Haus in Zizenhausen. Dazwischen liegt eine mittlerweile 28-jährige Karriere bei der Firma Eto, die in diesem Jahr ihr 75. Jubiläum feiert und seit 1992 ihren Hauptstandort in Stockach hat. In dieser Zeit hat sich vieles verändert – bei Eto und auch bei Nikolaus Benke selbst.

Firmengründer Hermann Laur wurde 1908 in Pfullendorf geboren. Nach seinem Jurastudium und der Rückkehr aus dem Krieg, gründete er 1948 ...
Firmengründer Hermann Laur wurde 1908 in Pfullendorf geboren. Nach seinem Jurastudium und der Rückkehr aus dem Krieg, gründete er 1948 die Elektroteile GmbH Oberuhldingen. Laur wurde mit dem Bundesverdienstkreut geehrt, er starb 1974. | Bild: ETO Group

Im Januar 1995, als Benke bei Eto anfing, war er gerade mal ein halbes Jahr in Deutschland. Er hatte einen Deutschkurs gemacht, nun wollte er sich arbeitslos melden. „Auf dem Flur im Arbeitsamt habe ich aber gehört, dass Eto Leute sucht“, erinnert er sich. Er sei hingefahren, habe sich vorgestellt und wurde direkt genommen.

Das ehemalige Eto-Gelände in Oberuhldingen.
Das ehemalige Eto-Gelände in Oberuhldingen. | Bild: ETO Group

Auch die Firma Eto war zu diesem Zeitpunkt noch relativ neu in Stockach. Denn ihre Geschichte begann 1948 in Oberuhldingen. Christa und Hermann Laur gründeten dort die Elektroteile GmbH Oberuhldingen. Die Firma stellte laut Tobias Rieger, heute für das Marketing zuständig, Elektroteile für Transformatoren, Motoren, Elektromagnete oder Starter für Leuchtstoffröhren her und verkaufte sie in der Region.

1992 brauchte die Firma mehr Platz und suchte einen Ort, um die bisherigen Standorte in Oberuhldingen und Eigeltingen zusammenzulegen. Die Wahl fiel auf Stockach. Ausschlaggebend seien damals die Größe und Lage des Gewerbegebiets Hardt gewesen, berichtet Rieger. Zudem habe die Stadt die Mitarbeiter bei der Wohnungssuche unterstützt, sagt Regina Schlecker von der städtischen Wirtschaftsförderung.

In den ersten Jahrzehnten arbeiteten die Mitarbeiter manuell. Hier zu sehen: Die Herstellung von Bremsmagneten für Elektromotoren und ...
In den ersten Jahrzehnten arbeiteten die Mitarbeiter manuell. Hier zu sehen: Die Herstellung von Bremsmagneten für Elektromotoren und Transformatoren für Schweißgeräte – einer neuer Produktionszweig, der ab 1954 in Oberuhldingen entstand. | Bild: ETO Group

Nikolaus Benke fing damals am neuen Standort ganz klein an – als einfacher Mitarbeiter in der Produktion. „Meine erste Station war in der Presserei“, sagt Benke, der zuvor in Kasachstan als Lastwagenfahrer sowie Chauffeur im Justizministerium gearbeitet habe.

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Auch die Firma Eto war zu Beginn in Stockach noch vergleichsweise klein. „Es war familiärer“, erzählt Benke. Der Standort hatte deutlich weniger Hallen und Mitarbeiter als heute. Tobias Rieger erläutert: „Schon zu Beginn war Eto ein typisches patriarchalisch geführtes Unternehmen, das fast wie eine Familie funktionierte.“ Das Gründerehepaar habe jeden Mitarbeiter gekannt. Trotz einiger Wachstumsphasen in den ersten Jahrzehnten sei diese Atmosphäre auch in den 1990er-Jahren noch so gewesen.

Aufstieg in den 1990er-Jahren und erste Krise 2008

Doch kurz nach Benkes Ankunft bei Eto nahmen die Aufträge rasant zu. „Ich bin über die Jahre von einer Halle in die andere, je nachdem wo man mich benötigt hat. Und dann hat alles seinen Lauf genommen – die Entwicklung der Firma und mein Leben“, sagt Benke stolz. Denn Eto entwickelte sich in diesen Jahren vom regionalen Elektroteile-Hersteller zum Lieferanten für die internationalen Auto-, Nutzfahrzeug- und Industriemärkte, erläutert Rieger.

Arbeiterinnen in den frühen 1960er-Jahren in der Wickelei für Transformatoren.
Arbeiterinnen in den frühen 1960er-Jahren in der Wickelei für Transformatoren. | Bild: ETO Group

2008 nahm dieser Aufstieg ein abruptes Ende. Die Finanzkrise setzte auch der Stockacher Firma zu, erinnert sich Nikolaus Benke. „Es war das einzige Mal, dass ich hier erlebt habe, dass die Leute Angst hatten, ihren Job zu verlieren“, erzählt der 53-Jährige, der damals gerade sein Haus gebaut hatte. Die Aufträge brachen ein, die Firma habe bereits Listen für Entlassungen vorbereitet. Doch so weit sei es dann doch nicht gekommen. „Einige sind freiwillig gegangen oder in Frührente, Entlassungen gab es kaum“, sagt Benke.

Christa von Lettow-Vorbeck wurde 1908 in Frankfurt an der Oder geboren. Sie lernte ihren späteren Mann während des Jurastudiums kennen. ...
Christa von Lettow-Vorbeck wurde 1908 in Frankfurt an der Oder geboren. Sie lernte ihren späteren Mann während des Jurastudiums kennen. Nach dem Tod ihres Mannes beeinflusste sie die Entwicklung von Eto stark. Sie starb 1986. | Bild: ETO Group

Nach der Finanzkrise sei Eto schnell wieder gewachsen, eröffnete neue Standorte – auch in Amerika und Asien. Inzwischen ist Eto mit 1200 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber im Stockacher Raum, informiert Wirtschaftsförderin Regina Schlecker. Das Einzugsgebiet der Mitarbeiter erstreckt sich laut Rieger bis tief in die Bodenseeregion und den Schwarzwald. Aus den beschaulichen zwei Standorten am Bodensee sind inzwischen zwölf Standorte auf drei Kontinenten geworden.

Computer und Büro statt Handarbeit und Maschinen

Und auch für Nikolaus Benke hat sich vieles geändert: Während die Produktion bei Eto seit 2007 nahezu vollständig automatisiert ist, steht er selbst seit 2018 gar nicht mehr an einer Maschine, sondern sitzt erstmals in einem Büro am Computer – als Betriebsratsvorsitzender.

Trotz Wachstum und Internationalisierung hat Eto seinen Hauptstandort noch immer in Stockach. Heutzutage ist dafür laut Marketing-Chef Tobias Rieger auch die Nähe zu den Flughäfen Zürich, Stuttgart und München wegen der Niederlassungen in Amerika und Asien entscheidend.

Eine moderne Produktionshalle bei Eto in Stockach. Seit 2007 laufen die Prozesse nahezu vollständig automatisiert ab.
Eine moderne Produktionshalle bei Eto in Stockach. Seit 2007 laufen die Prozesse nahezu vollständig automatisiert ab. | Bild: ETO Magnetic

Für die Region ist der Verbleib wichtig, sagt Wirtschaftsförderin Regina Schlecker. Eto biete einerseits gute Ausbildungsmöglichkeiten und engagiere sich in den Schulen, andererseits berücksichtige Eto bei Bestellungen aus regionale Unternehmen.

Und auch für alle anderen spielt die Firma eine Rolle im Alltag. „Jeder, der ein deutsches Auto fährt, hat dort ein Teil von Eto drin. Wir stellen zum Beispiel die Magnete für Ventile von Motoren her, die man zum Spritsparen braucht“, erklärt Nikolaus Benke.

Die Schattenseiten des Aufstiegs

Doch jeder Aufstieg bringt auch Schattenseiten mit sich. „Damals als ich angefangen habe, war der Zusammenhalt unter den Mitarbeitern in der Produktion sehr stark. Das nehme ich heute anders wahr. Wir sind sehr schnell gewachsen, da bleibt vielleicht manches auf der Strecke“, sagt Benke. „Ich weiß aber nicht, ob es eine Generationenfrage ist oder wirklich an der Größe der Firma liegt“, fügt er hinzu.

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Der 53-Jährige möchte dennoch bis zu seiner Rente bei Eto bleiben. Doch auch dann wird die Verbindung zwischen Benke und Eto noch nicht enden. Denn sein Sohn, den er 1994 an der deutschen Grenze auf dem Arm hatte, heißt auch Nikolaus – und arbeitet nun ebenfalls bei Eto als Mechatroniker in der Instandhaltung.