Die Arbeitslosigkeit im Kreis Sigmaringen liegt auf einem Allzeittief – was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Anke Traber, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Balingen.
Anke Traber, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Balingen. | Bild: Agentur für Arbeit Balingen

Bei guter Auftragslage und hoher Nachfrage haben die Unternehmen bisher Menschen eingestellt, besonders im produzierenden Bereich wie Metall oder Autozuliefererindustrie. In unserer Region haben wir den Vorteil, dass wir viele kleine und mittlere Betriebe haben, die ihre Nischen gefunden haben. Nicht zu vergessen Handel, Gastronomie und Tourismus. Wir haben keine Monostrukturen wie beispielsweise im Ruhrgebiet mit Kohle- und Stahl.

Sie kennen das Ruhrgebiet?

Ja. Ich war drei Jahre bei der Agentur für Arbeit in Recklinghausen und diese Erfahrung prägt, auch weil man die Mentalitätsunterschiede zwischen Pott und unserer Region versteht.

Die Schwaben arbeiten und der Ruhrpöttler feiert auf Schalke?

Nein. Es geht um die Lebenseinstellung. Der Bergbau dominierte das Ruhrgebiet über viele Jahre. Tausende Kumpel arbeiteten in der Zeche und 1000 Meter unter der Erde müssen die Menschen einander vertrauen, das ist die Grundlage. Das formt eine Gemeinschaft und schweißt die Menschen zusammen. Zudem haben die Zechenbetreiber quasi eine Rundumversorgung in den Zechensiedlungen geboten. Bei uns gab es keine Rohstoffe, sondern jeder war gezwungen, etwas herzustellen, musste sich der Konkurrenz stellen. Man musste also auf den anderen schauen, um zu überleben. Im Ruhrgebiet war immer die Gemeinschaft der Garant für das Einzelwohl.

Geht Ihren Mitarbeitern dank der guten Beschäftigungslage die Arbeit aus?

Unser Aufgabenschwerpunkt verändert sich. Die Qualifizierung wird immer wichtiger, die Gespräche mit den Kunden werden deshalb ausführlicher. Zudem gehen wir frühzeitiger in die Schulen, um mit den Schulen die Jungen und Mädchen frühzeitig auf die Verbindung zwischen Schule und Berufs- und Arbeitswelt hinzuweisen. Es ist zu spät, sich erst in der 9. Klasse Gedanken um seine Berufswahl zu machen. 

Müssen wir die Kinder immer frühzeitiger auf die Arbeitswelt vorbereiten?

Wir wollen die Schüler dafür sensibilisieren, dass man in der Schule für das Leben lernt. Viele Kinder sind heute sehr weit von der Realität entfernt. Deshalb müssen wir auch die Eltern ins Boot holen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Beratung von Arbeitnehmern und Unternehmen über Qualifzierungsmöglichkeiten, gerade auch im Hinblick auf Digitalisierung und Strukturwandel.

Immer mehr Dienstleistungen der Agentur werden online angeboten – Leidet darunter nicht der Kontakt mit Kunden?

Das Beratungsgespräch findet immer noch von Angesicht zu Angesicht statt. Aber ein Formular auszufüllen, kann man auch online erledigen. Für die junge Generation ist das selbstverständlich. Übrigens reagieren wir mit dem Online-Angebot auf Wünsche unserer Kunden. Da probieren wir Einiges aus, aber das persönliche Beratungsgespräch bleibt unerlässlich.

Immer noch ist das Klischee zu hören: Wer arbeiten will, findet auch Arbeit. Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Wer viele Zugeständnisse machen kann, beim Lohnniveau, dem Arbeitsort oder den Anforderungen, tut sich leichter. Das können aber nicht alle. Aktuell haben wir Fachkräftemangel und die Firmen suchen zu 80 Prozent qualifizierte Leute. Also ist es für einen Ungelernten schwierig, trotz aller Bemühungen, einen Job zu finden. Zudem haben wir ein hohes Lohnniveau für Helfer. Das heißt, es kann lukrativer sein, auf eine Qualifizierung oder Ausbildung zu verzichten, wenn ich als Helfer genügend Geld verdiene, um meine Familie zu ernähren. Ich plädiere deshalb dafür, bei Weiterbildungen anstelle des Arbeitslosengeldes höhere Zuschüsse zum Lebensunterhalt zu zahlen.

Nach Angaben von Rüdiger Semet, Geschäftsführer des Pfullendorfer Beschäftigungsprojekts Werkstättle, hat keine Firma im Landkreis Sigmaringen die neuen Möglichkeiten des Teilhabechancengesetzes genutzt?!

Das stimmt. Im Zollernalbkreis gibt es 12 Firmen, die Langzeitarbeitslosen mit diesem Förderinstrument des Jobcenters eine Chance gegeben haben. Wir hoffen und werben dafür, dass das auch im Landkreis Sigmaringen gelingt.

Wie kann man Langzeitarbeitslose noch fördern?

Arbeit ist für die Menschen enorm wichtig und man definiert sich und seine gesellschaftliche Rolle teilweise über die Beschäftigung. Und wir haben bundesweit immer noch mehr als zwei Millionen Arbeitslose. Viele Betroffene sind seit Jahren aus dem Arbeitsprozess, manche haben gesundheitliche Probleme und manche sind es nach langer Arbeitslosigkeit einfach nicht mehr gewohnt, ihren Tag zu strukturieren. Wir versuchen diese Menschen mit individuellen Hilfen wieder in die Arbeitswelt zu bringen. Ein Beispiel: Im Jobcenter Sigmaringen haben wir ein Modellprojekt, wo wir Arbeitsaufnahme und Suchtbekämpfung gleichzeitig angehen. Denn häufig ist Arbeitslosigkeit eine Ursache für Sucht oder umgekehrt, die Sucht führt zum Arbeitsplatzverlust. Deshalb macht es Sinn, beide Probleme gemeinsam zu lösen.