Auch im Kreis Sigmaringen kommen vor dem Krieg in der Ukraine flüchtende Menschen an. Wie viele es sind, kann das Landratsamt noch nicht sagen. Viele Flüchtlinge kommen bei Helfern oder Bekannten unter, heißt es aus dem Sigmaringer Landratsamt. Auch Harald Sondhof, Unternehmer aus Beuron-Neidingen, hat die Eltern seiner ukrainischen Frau bei sich aufgenommen. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichtet er, wie er seine Familienangehörigen bei der Flucht aus der Ukraine unterstützt und was er auf seiner Reise zur ukrainischen Grenze erlebt hat.

Viele zerstörte Gebäude

Bereits kurz nachdem die ersten Nachrichten vom Angriff der russischen Truppen auf die Stadt Charkiw in der Ost-Ukraine kommen, schmiedet Harald Sondhof Pläne, die Familie seiner ukrainischen Frau aus der Stadt herauszuholen. Selbst in die Ukraine einzureisen, ist zu diesem Zeitpunkt bereits lebensgefährlich. Der 62-jährige Sondhof entschließt sich deshalb, seinen flüchtenden Schwiegereltern samt Schwägerin mit Mann und vierjährigem Kind entgegen zu fahren. Doch zunächst galt es, die ukrainischen Familienangehörigen buchstäblich zur Flucht zu überreden. „Die Familie glaubte, dass der russische Angriff Charkiw nicht betreffen wird, weil die Stadt weit im Osten der Ukraine liegt und ihre Bevölkerung mehrheitlich russisch ist“, sagt Sondhof. Erst als die russische Armee die Stadt direkt angreift und Bomben unmittelbar in der Umgebung der Schwiegereltern einschlagen, entschließt sich seine Familie ihre Heimatstadt zu verlassen. „Am Morgen als sie losgezogen sind, war die Luft voll Staub und Pulverdampf“, berichtet der Unternehmer. Die Familie habe die Nacht im Flur verbracht, weil die ganze Nacht Bomben gefallen seien und es ständig Luftalarm gegeben habe, erzählt Sondhof. Er frage nicht nach Details, sagt Sondhof, aber seine beiden 70-jährigen Schwiegereltern haben von vielen zerstörten Gebäuden in der Stadt berichtet.

80 Liter Benzin für den Notfall

Harald Sondhof hat zur Sicherheit 80 Liter Benzin mitgenommen.
Harald Sondhof hat zur Sicherheit 80 Liter Benzin mitgenommen. | Bild: Heinrich Sturm

Am gleichen Tag als seine ukrainischen Familienangehörigen aus Charkiw flüchten, fährt Harald Sondhof in Neidingen los. Er will sie an der ukrainischen Grenze abholen. Er ist nicht allein, um die vor ihm liegenden knapp 4000 Kilometer Hin- und Rückfahrt zu bewältigen. Der ehemalige Polizei-Seelsorger Werner Knubben ist krisenerfahren und hat sich spontan entschlossen, Sondhof auf seiner Reise zu begleiten. Die beiden haben einen Kleinbus vom Autohaus Landypoint in Neidingen erhalten. Neben Verpflegung und Ersatzrad haben sie auch 80 Liter Benzin für den Notfall dabei. Zusätzliche Unterstützung bekommen Sondhof und Knubben aus Chemnitz. Dort steht der osteuropa-erfahrene Tom Götze ständig mit ihnen in Kontakt und recherchiert am Rechner Routen, Übernachtungsmöglichkeiten und wo sie die ukrainischen Flüchtlinge am besten treffen. „Es war ja vorher völlig unklar, wo wir die anderen sinnvollerweise treffen“, meint Sondhof.

Gelingt die Querung des Dnepr?

Glücklicherweise ist die Kommunikation mit den Flüchtenden per WhatsApp fast durchgehend möglich.
Glücklicherweise ist die Kommunikation mit den Flüchtenden per WhatsApp fast durchgehend möglich. | Bild: Heinrich Sturm

Für die Flüchtenden beginnt eine lebensgefährliche knapp 800 Kilometer lange Reise. Zivilisten seien in der Regel nicht die Zielscheiben, aber es gebe grausame Bilder, berichtet Sondhof. Seine Familie wird auf der Fahrt häufig von ukrainischen Soldaten kontrolliert, weil die russische Armee hinter den Linien Attentäter und Saboteure eingeschleust habe, die man herausziehen will, erklärt Sondhof. Unbekannte Menschen in der ukrainischen Stadt Poltawa zeigen Solidarität und nehmen die Flüchtenden für die Nacht auf. Beim Aufbruch am nächsten Tag ist unklar, ob sie den Dnepr, den größten Fluss der Ukraine, sicher überqueren können. „Der Fluss ist an vielen Stellen gestaut und wenn man die Brücken zerstört, dann kommt man nicht mehr durch“, erläutert Sondhof. Doch dann kommt die gute Nachricht per WhatsApp, die Familie konnte den Dnepr passieren. Zum Glück ist die Kommunikation über die Messenger-Software fast durchgehend möglich, darüber hat man auch vereinbart, sich auf der moldawischen Seite des ukrainischen Grenzortes Mohyliw-Podilskyj zu treffen.

Am Grenzfluss zur Ukraine warten Harald Sondhof und Werner Knubben auf die Ankunft der Schwiegereltern.
Am Grenzfluss zur Ukraine warten Harald Sondhof und Werner Knubben auf die Ankunft der Schwiegereltern. | Bild: Heinrich Sturm

Wehrfähige dürfen das Land nicht verlassen

Per WhatsApp kommt auch die Nachricht, dass Sondhof nur die Schwiegereltern treffen wird. Während der Reise ist klar geworden, dass der Mann seiner Schwägerin nicht ausreisen darf, weil alle wehrfähigen Männer das Land nicht verlassen dürfen. Die jungen Eltern entscheiden sich daraufhin in der Ukraine zu bleiben. „Das war natürlich ein Schock für uns!“, sagt Sondhof. Trotzdem ist er froh, als er nach langem Warten an der Brücke, die in Mohyliw-Podilskyj den Grenzübergang zur Ukraine bildet, die Schwiegereltern in Sicherheit begrüßen kann.

Tief beeindruckt zurückgekehrt

Im Flüchtlingslager im rumänischen Rdui-Prut bringen Helfer abends Pizza für Harald Sondhof und Werner Knubben.
Im Flüchtlingslager im rumänischen Rdui-Prut bringen Helfer abends Pizza für Harald Sondhof und Werner Knubben. | Bild: Heinrich Sturm

Zurück in Neidingen steht Harald Sondhof immer noch unter den Eindrücken seiner Reise: Viel Hilfsbereitschaft hat er gesehen und erfahren. Dass man ihnen im Flüchtlingslager im rumänischen Rdui-Prut noch abends Pizza brachte, als Knubben und Sondhof dort übernachteten, die tiefe Trauer in den Gesichtern der Flüchtlinge, die über die Grenze kamen, aber auch die Gespräche mit Werner Knubben während der Fahrt haben ihn berührt.

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Die Schwiegereltern haben sich entsprechend der schwierigen Umstände in Neidingen eingelebt. Sie gehen davon aus, dass sie bald zurück können, was aus der Sicht von Harald Sondhof unrealistisch ist. Er habe angeboten, Kontakt zu anderen Flüchtlingen herzustellen, was seine Schwiegereltern aber ablehnten, erzählt er. „Wir sitzen sonst alle da und weinen uns an“, sagen sie.