Über 15 historische Gruppen, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, waren auf der Klosterbaustelle Campus Galli zu Gast, um für die Besucher auf realitätsnah das Leben im frühen Mittelalter zu inszenieren. Mit dabei waren Gruppen aus ganz Deutschland, beispielsweise die „Sachsen von der Wisura“, so genannt nach der frühmittelalterlichen Bezeichnung für Weser und Werra in Niedersachsen (Altsachsen), die „Bodanohuntari“ aus der Bodenseeregion mit vielfältigen Handwerksvorführungen der Alamannen des 6. und 7. Jahrhunderts oder Mitglieder des Freilichtlabors Lauresham, das im Herzen des UNESCO-Welterbes Kloster Lorsch in Südhessen liegt. In diesem Freilichtlabor gibt es einen karolingischen Herrenhof, in dem den Gästen die komplexen Gesellschaftsstrukturen dieser Zeit anschaulich vermittelt werden.

Claudia Kuhlmann von der Gruppe Herthwatha stickt Motive des historischen Teppichs von Bayeux nach. Der originale Teppich zeigt die ...
Claudia Kuhlmann von der Gruppe Herthwatha stickt Motive des historischen Teppichs von Bayeux nach. Der originale Teppich zeigt die Eroberung Englands 1066 durch die Normannen. | Bild: Susanne Grimm

Die Akteure zeigten den zahlreichen Gästen des Themenwochenendes „Zeitreise“ im Campus Galli die Vielfalt des Lebens im frühen Mittelalter, das keineswegs nur dunkel und grau war. Claudia Kuhlmann von der Gruppe „Herthwatha“ aus Nordrhein-Westfalen stickte Motive des weltberühmten historischen Teppichs von Bayeux nach und erläuterte, wie der Farbenreichtum der Textilien damals zustande kam. „Man hat die Farben ausschließlich aus Pflanzen gewonnen“, sagte sie. Die Pflanzenfarben seien zwar unberechenbar, weil sie auf Umwelteinflüsse unterschiedlich reagieren können, „aber sie sind lebendige Farben“. Sie zeigte ein mit Krapp gefärbtes Garn, dessen Rot verschiedene Intensitäten zeigt, beinahe changierend. Die Pflanze mit dem lateinischen Namen rubia tinctorium blühe gelb-grün, war und ist sowohl Färbe- als auch Heilpflanze.

Auch gewandete Besucher waren ein Blickfang.
Auch gewandete Besucher waren ein Blickfang. | Bild: Susanne Grimm

Blau für die höheren Stände

Heike Breiling von der Gruppe „Uuolfis Liut“, was so viel wie Wolfsleute bedeutet, trug das Gewand einer „Hofherrin“ der Karolingerzeit, wie sie sagte: mit Krapp rot gefärbt, mit aufgenähten blauen Streifen abgesetzt und kunstvoll bestickt. „Heute würde man sagen, wir gehörten zur Mittelschicht.“ Wenn der Hofherr aushäusig war, was bei den Männern damals häufig vorkam, war seine Frau die Herrin und übte die Schlüsselgewalt aus. Heike Breiling zeigte den am Gürtel befestigten Schlüsselbund. Die blaue Farbe war übrigens den höhergestellten Ständen vorbehalten, waren sich beide Frauen einig. „Das Blau herzustellen war nicht einfach, Indigo gab es noch nicht und es gab kaum Pflanzen, mit denen sich dieser Farbton erzeugen ließ“. Färberwaid heißt die gelb blühende Pflanze, mit der man „Blau machen kann“, so die Frauen schelmisch. Denn der färbende Stoff wird mit Alkohol und Urin aus den Blättern gelöst und mit Urin gespült. Erst an Luft und Licht entwickle sich die blaue Farbe. Man habe den Färberleuten damals viel Bier zu trinken gegeben, damit dies die Urinproduktion steigere. „Vielleicht kommt daher der Spruch vom Blau-Sein“, mutmaßte ein Zuhörer.

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Schmuck aus Glas und Steinen

Auch Glasschmuck war bereits im Frühmittelalter beliebt. Das war am Stand „Zanari und Zeitsache“ vom Alamannen-Museum Vörstetten zu sehen, zu erfahren und auch zu erwerben. Bei „Hjordis bone jewellery“ war zu sehen, wie Celine Schüttler aus Knochen Schmuck und andere Gegenstände wie Kämme, Nadeln oder Flöten herstellte.

Der Wert der Münzen des Frühmittelalters lag im Gewicht ihres Edelmetalls, mit dem Waren und Gegenstände aufgewogen wurden.
Der Wert der Münzen des Frühmittelalters lag im Gewicht ihres Edelmetalls, mit dem Waren und Gegenstände aufgewogen wurden. | Bild: Susanne Grimm

Globaler Handel

Die Gruppe „Osterliudi“, was „Ostleute“ bedeutet, machte deutlich, wie vernetzt und globalisiert die Welt des Mittelalters im 10. Jahrhundert schon war. Nicht nur Schmuck, Textilien und Waffen zeugten vom weltweiten Handel, auch Münzen von weit her sind zum Tausch oder Kauf genutzt worden. Ein junger Mann dieser Gruppe erläuterte, dass der Wert einer Münze in seinem Silbergewicht bestand. „Ein Mensch oder ein Pferd waren zum Beispiel 365 Münzen eines bestimmten Gewichts wert, deshalb hatte jeder reisende Händler eine Feinwaage dabei, um den Kauf- oder Tauschgegenstand aufzuwiegen“, sagte er und zeigte den Gästen Münzen aus jener Zeit. Das Schild an seinem Zelt verortete ihn in das 10. Jahrhundert im Byzantinischen Reich.

Jens Schabacker stellt authentische Angelutensilien und Fischernetze her.
Jens Schabacker stellt authentische Angelutensilien und Fischernetze her. | Bild: Susanne Grimm

Die Kunst des Angelns

Interessantes hatte auch Jens Schabacker von der Gruppe des Klosters Lorsch zum Thema Fische fangen zu erzählen. Angelruten mit widerstandsfähigen Schnüren aus Pferdeschweifhaar, raffinierte Fangvorrichtungen für Hechte und selbst geknüpfte Netze, ganz auf die Fanggröße der Fische abgestimmt – „das alles und noch viel mehr hatten die Menschen damals in Gebrauch“. Er habe vieles davon ausprobiert, „und es funktioniert!“ Auch das Netzeknüpfen habe er sich selbst beigebracht, denn: „Es gibt kaum noch Fischer, die das noch können.“ Mit dieser Technik knüpft er heute Netze zum Einkaufen oder für Obst und Gemüse.

v.l. Susi Schenkendorf, Philipp Grosch und Vanessa Maure sind Fachleute in mittelalterlichen Textiltechniken.
v.l. Susi Schenkendorf, Philipp Grosch und Vanessa Maure sind Fachleute in mittelalterlichen Textiltechniken. | Bild: Susanne Grimm

Positives Fazit

Einmal mehr endete ein interessantes Wochenende auf der karolingischen Klosterbaustelle. Geschäftsführer Hannes Napierala zeigte sich im Nachgang hochzufrieden über den Ablauf der Veranstaltung und über die teilnehmenden Akteure: „Die Gruppen waren hochkompetent, sind offen auf die Besucher zugegangen und ich habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Besser hätte es nicht laufen können.“ Er hofft, diese Veranstaltung auch in den kommenden Jahren im Campus Galli etablieren zu können.