Karlheinz Fahlbusch

In der Altstadt findet man viele Gassen mit Namen, die Aufschluss darüber geben, wer hier früher gewohnt hat oder was gearbeitet wurde. Eine davon ist die Metzgergasse. Sie führt vom Marktplatz zur Heiligenberger Straße und ist, übrigens ganz zu Unrecht, etwas in Vergessenheit geraten. Noch in den 70er Jahren war hier noch das Elektrogeschäft Lorenz. Mancher Pfullendorfer wird sich daran erinnern, dass der Chef einen neuen Fernseher persönlich auslieferte und auch die Sender einstellte. So viele Kanäle wie heute gab es natürlich nicht und auf den Dächern ragten überall die Antennen in die Höhe. Von wegen Satellitenschüssel oder Kabelfernsehen.

Früher gab es am Bindhaus noch einen Treppenaufgang, heute geht der Besucher durch einen Zugang neben dem ehemaligen Scheunentor. Das ...
Früher gab es am Bindhaus noch einen Treppenaufgang, heute geht der Besucher durch einen Zugang neben dem ehemaligen Scheunentor. Das heutige Schmuckstück in der Altstadt wäre beinahe der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Doch wollten der damalige Bürgermeister Hans Ruck und der Gemeinderat nicht zulassen. | Bild: Heimatmuseum

Reste einer Dunglege

Unterhalb des Elektrogeschäfts gab es noch die Reste einer Dunglege, denn ursprünglich war Landwirtschaft in der Altstadt gar nicht selten. Am Eingang zur Gasse vom Marktplatz her befand sich das Geschäft von Metzgermeister Engelbert Mutschler. Als der sein Geschäft aufgab, zog 1973 die Hohentenger Bank hier ein. Im früheren Zunfthaus der Metzger konnte man nun Geldgeschäfte tätigen. Nach der Fusion mit der Volksbank Bad Saulgau führte diese hier noch längere Zeit eine Filiale, die dann in einen Neubau am Stadtsee umzog.

Das Bindhaus kam in den 1970ern in den Besitz der Stadt und der Heimat- und Museumsverein zu viel Arbeit. Er sorgt auch heute noch ...
Das Bindhaus kam in den 1970ern in den Besitz der Stadt und der Heimat- und Museumsverein zu viel Arbeit. Er sorgt auch heute noch dafür, dass man hier weiterhin einen nostalgischen Rundgang machen kann. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Ein echtes Kleinod in der Region

Auch die Bäcker hatten in der Metzgergasse ihr Zunfthaus und in den 70ern war das Gasthaus „Bäckerstube“ ein beliebter Ort für eine Einkehr. Aus der alten Tradition heraus verkehrten in der Bäckerstube auch andere Handwerker. Mit dem Ende des Gasthauses wurde es auch in der Metzgergasse ruhig. Nur das Bindhaus wurde wieder zum Leben erweckt und ist ein echtes Kleinod in der Region. Beim Gang durch die Wohnstuben hat man das Gefühl, dass die Bewohner nur mal kurz weg sind. Wer sich als 70er-Jahre-Fan outet, der kann in diesem Haus auch viel entdecken, das ihn vielleicht auch an seine Jugend erinnert. „Das hatten wir zu Hause auch“, ist ein Spruch, den man oft von Besuchern hört, denn hier gibt es auch Radios aller Fabrikate.

Hartmut Koblitz ist absoluter Bindhaus-Fan

Ein absoluter Bindhaus-Fan ist Hartmut Koblitz. Der 80-Jährige lebt seit 1960 in Pfullendorf und das immer noch „sehr gerne“, wie er im Gespräch erzählt. Er hatte an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten Geschichte studiert und war dann Lehrer an der Grund- und Hauptschule in der Linzgaustadt. „Da ich mich für Geschichte auch im Allgemeinen sehr interessiert habe, war es für mich ein Glücksfall, dieses Haus mit seiner besonderen Geschichte kennenzulernen“, erinnert er sich. Und zweifellos hat er einen sehr großen Anteil daran, dass man im Bindhaus heutzutage einen nostalgischen Gang durch alte Zeiten machen kann.

„Da ich mich für Geschichte auch im Allgemeinen sehr interessiert habe, war es für mich ein Glücksfall, dieses Haus mit seiner ...
„Da ich mich für Geschichte auch im Allgemeinen sehr interessiert habe, war es für mich ein Glücksfall, dieses Haus mit seiner besonderen Geschichte kennenzulernen“, sagt Hartmut Kolbitz. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Beinahe wäre daraus aber nichts geworden. Denn das Haus, das aus dem Jahr 14 99 stammte, sollte in den 1960er Jahren verkauft und nach dem Tod der Bewohnerinnen dann abgebrochen werden. Man wollte hier ein Lagerhaus bauen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar. Doch damals war Aufbruchstimmung in der Stadt und so mancher Bürger wollte „von dem alten Glump“ nichts mehr wissen. Es ist fraglich, ob man wegen des möglichen Abbruchs eine Bürgerinitiative gegründet hätte. Doch das Gebäude durfte stehen bleiben. Der damalige Bürgermeister Hans Ruck konnte den Gemeinderat überzeugen, dass man das Gebäude erhalten müsste.

Stadt tritt als Käufer auf

Also trat die Stadt als Käufer auf. Allerdings gab es wohl Probleme mit der Versicherung. Am 27. Januar 1970 erschienen Bürgermeister Ruck und die beiden Besitzerinnen Anna Martha Stengele geborene Probst und ihre Schwester Antonie Mathilde Probst im Notariat und erklärten schriftlich, dass der Kaufvertrag für sie Gültigkeit habe. Justizrat Rexroth beglaubigte das. Die Damen, obschon im hohen Alter, waren laut Dokument „unbedenklich geschäftsfähig und dem Notar persönlich bekannt“. Kein Wunder, denn die Probsts, die im Bindhaus wohnten, waren eine alteingesessene Kaufmannsfamilie mit nicht unbeträchtlichem Vermögen. So blieb der Nachwelt ein Einblick in die Wohnverhältnisse des reichen Bürgertums erhalten.

Vor dem Bindhaus steht jetzt der Delphinbrunnen, der früher beim Gasthaus „Weißer Ochsen“ plätscherte.
Vor dem Bindhaus steht jetzt der Delphinbrunnen, der früher beim Gasthaus „Weißer Ochsen“ plätscherte. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Wohnrecht und Leibrente für die Schwestern

Die beiden Schwestern behielten nach dem Verkauf das Wohnrecht und eine Leibrente. Anna Martha Stengele starb im September 1973. Antonie Mathilde Probst, die öfter in der Stadt anzutreffen war, wurde 1978 zu Grabe getragen. Sie hatte bis zum Schluss im Bindhaus gewohnt. In Pfullendorf war sie wegen ihres langen Zopfes bekannt, von dem eine Schleife sogar in Bodennähe baumelte. Sie wurde auch, und das besonders von den Kindern, „Zopftante“ gerufen.

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Idee des Heimatmuseums entsteht

Mit Antonie Probst endete die Ära des Bindhauses als Wohnhaus. In den Folgejahren wurde hier im Erdgeschoss die Volkshochschule eingerichtet und 1980 begannen dann die Renovierungsarbeiten. „Zusammen mit dem damaligen Bürgermeister Hans Ruck betrat ich das erste Mal das Haus 1979“, erzählt Hartmut Koblitz. „Es ging um die Frage, was soll aus der Wohnung gemacht werden und vor allem: wer macht es. Ich war begeistert von dem Gedanken, hier etwas für die Allgemeinheit tun zu können.“ Er fing sofort mit den Planungen an und schaffte es, 15 bis 20 Schüler für seine Idee eines Heimatmuseums zu begeistern. Sie arbeiteten begeistert mit, dokumentierten mit Fotos die vorhandene Einrichtung und renovierten alle Zimmer von Grund auf. Da passte es, dass man seitens des Kultusministeriums ein neues Programm unter dem Titel „Erweitertes Bildungsangebot“ aufgelegt hatte. Was daraus entstanden ist, wird von vielen Touristen bewundert. Es abzureißen, wäre ein Vergehen an der Geschichte der ehemals freien Reichsstadt gewesen.

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