Der Großkonzern Alno ist gescheitert. Seit Ende vergangener Woche ist klar, dass es keinen Käufer gibt und das Unternehmen abgewickelt wird. Doch was bedeutet es für eine Region, wenn solch ein traditionsreicher Betrieb verschwindet, der zudem stark im Export tätig war? Der SÜDKURIER hat Wirtschaftsexperten aus der Region zum Alno-Aus befragt – zu möglichen Folgen und Chancen.

Bernhard Kräußlich, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungs- und Standortmarketinggesellschaft im Landkreis Sigmaringen (Wis), beschreibt die Entwicklungen rund um den Küchenbauer als herben Schlag. "Über Jahre war Alno einer der größten Arbeitgeber. Noch im Mai 2017 war der Unternehmerverband Landkreis Sigmaringen zu Gast im Hause Alno", berichtet Kräußlich. Alno habe zu den wenigen Betrieben gehört, "die ihren Firmensitz im Kreis haben und Deutschland- und europaweit als Global Player bekannt sind". Für den ländlich geprägten Landkreis Sigmaringen leisten solche Betriebe laut Kräußlich immer einen unschätzbaren Beitrag zur überregionalen Bekanntheit.

"Das Aus für den Betrieb ist also auch ein Rückschlag für das Image als Wirtschaftsstandort", sagt der Wis-Geschäftsführer. Nicht vergessen dürfe man, dass ein Betrieb wie Alno mit zahlreichen anderen Betrieben – ob als Zulieferer oder Dienstleister – vernetzt sei: "Das Aus für Alno wird also auch in anderen Betrieben zu spüren sein." Die zahlreichen Beschäftigten tragen Kräußlich zufolge die größte Last. "Ich bin aber zuversichtlich, dass der regionale Arbeitsmarkt im Landkreis Sigmaringen für viele Menschen neue Perspektiven bieten wird. In vielen Gesprächen mit den regionalen Geschäftsführern wird die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften immer wieder betont", erklärt der Experte.

Matthias Premer ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzmanagement an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und ist vor allem im Bereich Regionalökonomie tätig. Der Volkswirtschaftler schätzt die Situation der Beschäftigen folgendermaßen ein: „Es gibt keine 1:1-Entsprechung für die Mitarbeiter in der Region. Das Angebot an großen Arbeitgebern ist dünn gesät. Geberit ist eine ganz andere Branche. Gleichwohl ist die Arbeitskräftenachfrage für bestimmte Qualifikationen in der Region gegeben.“ Im Moment sei die Lage auf dem Arbeitsmarkt aus Sicht der Arbeitnehmer ausgesprochen gut. Die Arbeitslosigkeit sei so niedrig und die Anzahl an offenen Stellen so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Für Arbeitssuchende stelle sich die aktuelle Arbeitsmarktsituation viel besser dar als in den 90er-Jahren oder im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts.

Was passiert am Alno-Standort in Pfullendorf? Wirtschaftsexperten aus der Region hegen die Idee eines Gewerbegebiets. Firmen aus dem ...
Was passiert am Alno-Standort in Pfullendorf? Wirtschaftsexperten aus der Region hegen die Idee eines Gewerbegebiets. Firmen aus dem nördlichen Bodenseeraum könnten sich ansiedeln. | Bild: Gerhard Plessing

Peter Jany, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), sieht dies ähnlich: Die Beschäftigten "schnell wieder in sichere Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse zu bekommen, ist zunächst die wichtigste Herausforderung, aber die Rahmenbedingungen hierfür sind günstig. Wir befinden uns in einer guten, stabilen Konjunkturlage und viele Betriebe klagen über akuten Fachkräftemangel." Die Experten bei der IHK gehen Jany zufolge deshalb davon aus, dass sich für die meisten Betroffenen eine schnelle und gute Lösung finden lässt. "Auch für die 36 Auszubildenden – die meisten von ihnen erlernen die Berufe Holzmechaniker, Industriemechaniker und Industriekaufmann – werden bereits Alternativen erarbeitet", berichtet Jany.

Eine Herausforderung anderer Art sieht Wis-Geschäftsführer Bernhard Kräußlich in der möglicherweise in Pfullendorf entstehenden Industriebrache: "Die Erfahrungen mit dem Konversionsprojekt in Sigmaringen zeigen, dass ein langer Atem bei der Entwicklung solch großer Flächen notwendig ist." Hier setzt auch Regionalökonomie-Experte Matthias Premer an und sagt: „Pfullendorf war und ist sehr stark auf Alno und Geberit angewiesen und fixiert. Die Stadt muss sich in Zukunft breiter aufstellen. Ich sehe große Chancen darin, mit einem neuen Gewerbegebiet auch und gerade ein Angebot für Unternehmen aus dem nördlichen Bodenseeraum zu schaffen. Es gibt dort viele Betriebe, die expandieren wollen, diese Pläne in Seenähe aber nicht umsetzen können. Da suchen einige schon Flächen – und auch Mitarbeiter." Und nach Pfullendorf seien die Wege vom Bodensee nicht zu weit. Verluste sieht der Volkswirtschaftler im Bereich Export: „Von Pfullendorf aus wird nach wie vor Geberit Produkte in überregionale und internationale Märkte liefern. Die Alno-Küchen fallen jedoch als wichtiges Standbein des Exports weg.“

Premer wirft ebenso einen Blick auf den Handel: „Es wird ehemalige Alno-Mitarbeiter geben, die wegziehen, sich umorientieren. Und auch das Gegenstück, die Einpendler, sind zu sehen. Der Umsatz im Einzelhandel wird zurückgehen. Zum Beispiel im Lebensmittelbereich, aber auch bei der Kleinkunst und Kultur.

“ Der Wohnungsmarkt werde betroffen sein: "Wohnungen und Häuser werden, falls es zu vermehrtem Wegzug kommt, verkauft werden und die Preise von Wohnungen und Häusern in Pfullendorf und der näheren Umgebung werden infolgedessen nachgeben.“ Hätte das Aus verhindert werden können? Premer sagt nur: „Die Alno-Pleite ist ein Schlag ins Kontor. Aber es gab ja schon jahrelang Irritationen und wechselnde strategische Ausrichtungen. Möglicherweise war auch der Börsengang damals verfrüht.“

Alno-Aus belastet Arbeitsmarkt

„Das Aus beim Küchenhersteller Alno in Pfullendorf überdeckt die eigentlich gute Arbeitsmarktentwicklung“, wird Georg Link, Leiter der Balinger Agentur für Arbeit, in einer Pressemitteilung zitiert. Im Landkreis Sigmaringen sei die Arbeitslosigkeit seit der zurückliegenden Auszählung sprunghaft um 330 Personen angestiegen. "Das ist eine große Herausforderung für die Region. Wir sehen für viele der dort Beschäftigten aber gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, der sich ja zuletzt auch im Raum Sigmaringen in blendender Verfassung zeigte. Mit allen Betroffenen führen wir Gespräche und suchen nach guten und schnellen Lösungen“, sagt Link. Ein so plötzlicher und starker Anstieg der Arbeitslosigkeit sei nicht leicht zu verkraften. "Aber wir sehen, dass viele Unternehmen nach Arbeitskräften suchen. Derzeit haben wir im Raum Sigmaringen fast 1400 Stellen im Bestand", sagt Link. Mehr als 250 Menschen im Landkreis hätten allein im November eine neue Arbeitsstelle gefunden.

"Der Markt ist also so aufnahmefähig wie schon lange nicht mehr. Das macht uns Mut“, sagt Link.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Agenturbezirk hat sich in den vergangenen vier Wochen ausschließlich im Landkreis Sigmaringen vollzogen. Im Zollernalbkreis hat es in dieser Zeit kaum Veränderungen gegeben. "Trotz des Anstiegs im Landkreis Sigmaringen um 60 im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich damit für die Agentur für Arbeit Balingen insgesamt immerhin noch ein Rückgang um 150 Personen beziehungsweise 2,5 Prozent", teilt die Agentur für Arbeit mit. Zum Statistiktermin wurden insgesamt 5770 Arbeitslose gezählt, für beide Landkreise. Die Arbeitslosenquote von 3,2 Prozent liegt im Landesschnitt. In beiden Landkreisen hat die Agentur im November mehr Stellenangebote erfasst als zur gleichen Zeit des Vorjahres: "Während der Zuwachs im Zollernalbkreis um 13 beziehungsweise 2,8 Prozent eher gering ausfiel, suchten die Unternehmen im Landkreis Sigmaringen 120 Arbeitskräfte mehr als vor Jahresfrist."