Tausendfach stehen sie heute noch in vielen deutschen Küchen: die Schränke und Arbeitsplatten von Alno. Doch seit September 2021 wird im schwäbischen Pfullendorf (Kreis Sigmaringen) nicht mehr produziert. Das Aus für eine der klangvollsten Marken und den zeitweisen Küchen-Marktführer unter in Deutschland hatte schon vier Jahre zuvor mit dem Insolvenzantrag begonnen.

Geblieben ist der Name – vermarktet vom Möbelhändler Höffner – und die Konzernzentrale mit dem roten „Alno“-Schriftzug. Dort sind heute Büros des Landratsamts, der Caritas und ein Fahrradladen beheimatet. Alno steht aber heute noch vor allem für eine spektakuläre Pleite, deren Hintergründe immer noch nicht geklärt sind. Mehr als 1200 Gläubiger pochen auf Forderungen von knapp zwei Milliarden Euro.

Einer der Angeklagten im Strafprozess nach der Pleite des Küchenherstellers Alno betritt zu Beginn der Verhandlung den Gerichtssaal in ...
Einer der Angeklagten im Strafprozess nach der Pleite des Küchenherstellers Alno betritt zu Beginn der Verhandlung den Gerichtssaal in Stuttgart. Zwei ehemalige Vorstandsmitglieder müssen sich wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und Untreue vor einer Wirtschaftsstrafkammer vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Welche Rolle spielen die Ex-Vorstände Müller und Demirtas?

Die Umstände und Verantwortlichkeiten dieser Pleite soll nun die Große Wirtschaftskammer des Landgerichts Stuttgart klären. Im Mittelpunkt stehen der frühere Vorstandsvorsitzender Max Müller (78) und seine Finanzchefin Ipek Demirtas (57). Sie sehen sich massiven Vorwürfen konfrontiert: Insolvenzverschleppung, Kreditbetrug, Bankrott und Untreue.

Staatsanwalt Thomas Böttger braucht mehr als eine Stunde, um alle Punkte vorzutragen, die von den Ermittlern zusammengetragen wurden. Aus Sicht der Ankläger war Alno schon lange vor dem Sommer 2017 pleite. Das habe der Vorstand gewusst und verschleiert. Zudem hätten die Angeklagten über Jahre Gelder veruntreut. Sollte das Gericht dem folgen, wären hohe Freiheitsstrafen fällig.

Umfangreiche Durchsuchungen 2018

Die Pleite hat schon bald die Justiz auf den Plan gerufen. Ermittler durchsuchten im März 2018 Geschäftsräume der Alno AG und von sechs Tochtergesellschaften sowie die Privaträume von zwölf Vorständen und Führungskräften.

Ihr Verdacht: Die Pleite von Alno hat eine strafbare Seite. Davon geht auch Insolvenzverwalter Martin Hörmann aus. Nach einem von ihm beauftragten Gutachten der Prüfungsgesellschaft FTI-Andersch soll Alno bereits 2013 zahlungsunfähig gewesen sein. Dieser Ansicht folgt inzwischen auch die Anklage.

Gläubiger gingen bisher fast leer aus

Ein Schuldspruch würde bei vielen Gläubigern neue Hoffnung aufkeimen lassen. Denn dann müsste eine Directors-and-Officers-Versicherung (D&O) haften, die Schadensersatzansprüche gegen das Management übernimmt. Nach einem Bericht der FAZ wurden bis Herbst aber lediglich 22 Millionen an die Schuldner ausbezahlt.

Ein Mitarbeiter des Küchenherstellers Neue Alno GmbH transportiert im Jahr 2018 im Lager in Pfullendorf Küchenmodule auf einer ...
Ein Mitarbeiter des Küchenherstellers Neue Alno GmbH transportiert im Jahr 2018 im Lager in Pfullendorf Küchenmodule auf einer Sackkarre. Heute ruht die Produktion. | Bild: Felix Kästle

Kennern der Branche ist erinnerlich, dass die Krise des einst so klangvollen Küchenherstellers bereits Mitte der 1990er Jahre begonnen hatte. Seinerzeit beschloss Gründer Albert Nothdurft – seine Initialen bilden den Firmennamen -, den Küchenbauer an die Börse zu bringen, anstatt sie den beiden Söhnen zu überlassen.

Allerdings waren die Anteile derart breit gestreut, dass niemand aus dem Aktionärskreis in der Lage war, Alno eine klare Richtung vorzugeben. Hinzu kamen etliche Managementfehler. Im April 2011 und Mai 2017 übernahm der Schweizer Financier Max Müller die Führung bei Alno. Sein Vorgänger Jörg Deisel war zuvor am Widerstand des Aufsichtsrats krachend gescheitert, den Sitz von Pfullendorf nach Düsseldorf zu verlagern.

Rechnungen ohne Gegenleistung?

Müller und seiner ebenfalls 2011 eingestiegenen Finanzchefin Demirtas gelang es allerdings nicht, Alno in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Immer wieder musste der schlingernde Konzern mit Notmaßnahmen über Wasser gehalten werden. Dazu gehört offenbar auch eine Konstruktion, mit der Verkäufe an den Großhandel abgesichert wurden.

Abgewickelt wurden sie über die Castor Holding eines heute 82-jährigen Müller-Freundes, der nun wegen Beihilfe zur Untreue ebenfalls in Stuttgart vor Gericht steht. Der Anklage zufolge hat Castor für Rechnungen in Millionenhöhe ohne Gegenleistung hohe Provisionen kassiert. Solche Provisionen hätten allenfalls dem Großhandel selbst zugestanden, meint Böttger.

Staatsanwaltschaft: Ex-Vorstandschef hat Alno geschadet

Der Staatsanwalt ist auch überzeugt, dass Müller den Pfullendorfer Küchenbauer mit eigenen Gesellschaften über den Tisch gezogen hat. So habe er über seine Schweizer Finanzgesellschaft Comco Kredite in Höhe von elf Millionen Euro in Aussicht gestellt. Dafür musste Alno „Bereitstellungsgebühren“ von insgesamt 440.000 Euro überweisen.

„Dabei wusste Müller genau, dass Comco gar nicht in der Lage war, das Geld bereitzustellen, so Böttger. Über eine zweite Finanzgesellschaft aus der Steueroase Jersey habe der damalige Alno-Chef weitere 450.000 Euro kassiert. Auch Müllers Eastern Finance Ltd. sei nie in der Lage gewesen, die versprochenen 15 Millionen Euro tatsächlich bereitzustellen.

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Ein weiteres Kapitel: Im Jahr 2016 holte das Management die bosnische Unternehmensgruppe Tahoe des Investors Nijaz Hastor an Bord. Von dort kam erst ein Darlehen über 35 Millionen Euro. Die Bosnier bekamen zunächst 14 Prozent der Alno-Aktien. Der Anteil stieg später auf 40 Prozent. Hastor ist kein Unbekannter in Deutschland. Während eines Streits mit Volkswagen brachte er durch einen Lieferstopp seines Zulieferers Prevent den Wolfsburger Konzern zum Stillstand.

Die Aufschrift ALNO AG prangt am Haupteingang des Küchenherstellers Alno. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat 2024 im Zusammenhang mit ...
Die Aufschrift ALNO AG prangt am Haupteingang des Küchenherstellers Alno. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat 2024 im Zusammenhang mit den Insolvenzen des Küchenbauers Alno und zweier Tochterunternehmen Anklage erhoben. Jetzt beginnt der Prozess. | Bild: Felix Kästle, dpa

Von den Alno-Vorständen fordert der bosnische Investor 30 Millionen Euro Schadensersatz. Angeblich sollen sie Tahoe mit geschönten Zahlen angelockt haben. Statt eines geplanten Umsatzes von 564 Millionen Euro und eines Gewinns von fast 19 Millionen Euro hat Alno dann nur 493 Millionen Euro erwirtschaftet und dabei ein Finanzloch von 28 Millionen Euro ausgewiesen. Für die Staatsanwälte ein klarer Fall von Kreditbetrug.

Welche Rolle spielen Investoren?

„Es hat nie einen Kredit gegeben“, ereifert sich Müllers Verteidiger Oliver Kipper. Darum sei auch kein Betrug möglich. Überhaupt werde von der Anklage völlig ausgeblendet, wer wirklich Alno an die Wand gefahren hat. Der Prozess werde aber zeigen, dass gerade die bosnischen Investoren, „die schon bei Volkswagen verbrannte Erde hinterlassen haben“, erhebliche Mitschuld trügen.

Sein Mandant werde in einem völlig falschen Bild dargestellt, so Kipper. Tatsächlich habe Müller über sein Netzwerk 83 Millionen Euro in Alno investiert und sei am Ende auf einem Verlust von „zehn bis zwölf Millionen Euro“ sitzen geblieben.

Alexander Schork, der Ex-Finanzchefin Demirtas verteidigt, wirft der Staatsanwaltschaft schlampige Ermittlungsarbeit vor. Man habe den Konzern gar nicht richtig durchleuchtet. Nur so sei der Vorwurf der Konkursverschleppung überhaupt möglich. Seine Mandantin sei eine integre Person, die sich voll für Alno engagiert habe.

Langes Verfahren

Beide Verteidiger weisen in ihren Eröffnungsstatements den Vorwurf zurück, Müller und Demirtas hätten den Aufsichtsrat mit falschen Angaben über den Tisch gezogen und sich so hohe Überweisungen erschlichen. Hier wird schon deutlich: Der letzte Akt um die Alno-Pleite kann sich lange hinziehen.

Dabei wollen die Angeklagten, sie wohnen allesamt in der Schweiz, dann auch ihre Version darlegen. Der Vorsitzende Richter Alexander Stuckert – der sich mit so komplexen Verfahren auskennt – hat bereits Verhandlungstermine bis Anfang September angesetzt.