Pfullendorf zählte vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 3000 Einwohner und war dann schnell, auch infolge des Flüchtlingsstroms aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits der Oder-Neiße-Grenze, auf 5000 Einwohner angewachsen.

Schon zu jener Zeit ist der einstigen Stauferfestung von Wirtschaftsfachleuten prophezeit worden, dass sie im Begriff sei, eine moderne Stadt zu werden oder wie es der jetzige Bürgermeister Thomas Kugler zu sagen pflegt: „Eine wachsende Stadt.“

Wieso spielte die Landwirtschaft in Pfullendorf eine große Rolle?

Pfullendorf galt bis zu jenem Wendepunkt nämlich eher als bäuerliches Gemeinwesen, das vor dem Zweiten Weltkrieg noch weit über 200 landwirtschaftliche Anwesen zählte. In der Gred, in den Kellergewölben des Rathauses, ja in einer ganzen Straßenzeile lagerten die Bauern ihr Getreide, um es im Herbst an jedem Dienstag an die Käufer aus allen umliegenden Gegenden feilzubieten. 1925 galt der in Pfullendorf ausgehandelte Getreidepreis für den gesamten südwestdeutschen Markt als absolut verbindlich.

Außerdem wurde jede Woche in der Linzgaustadt ein Viehmarkt unter freiem Himmel abgehalten, wofür nicht selten 800 bis 1000 Stück Vieh aufgetrieben wurden. Und von dem Geld, das die Händler nach dem Kaufabschluss den Bauern in den Gasthäusern Lamm, Engel, in der Krone oder im Weißen Ochsen über den Tisch zugeschoben hätten, sei ein guter Teil in der Stadt hängen geblieben.

Blick auf den heute nicht mehr bestehenden Farrenstall in der Uttengasse. Hier wurden die Kühe gedeckt. Das Ensemble ist etappenweise ...
Blick auf den heute nicht mehr bestehenden Farrenstall in der Uttengasse. Hier wurden die Kühe gedeckt. Das Ensemble ist etappenweise abgerissen worden. | Bild: Karlheinz Fahlbusch

Denn auch Handwerk und Gewerbe waren im Gesamtheitlichen ganz auf die Ansprüche der ländlichen Kundschaft zugeschnitten. Und die aufgrund der wenigen Angebote darbende Jugend? Aus Mangel an Geselligkeit tobte sie sich an den Mai- und Kirbemärkten aus, da soll es auf den Tanzböden ganz schön hoch hergegangen sein.

Bis in die 1960er Jahre hinein war es Usus, dass eine hundertköpfige, braungefleckte Viehherde jeden Morgen durch das schmale Nadelöhr des Pfullendorfer Wahrzeichens, dem Obertor, getrieben wurde und sich des Abends mit stets sichtbaren Spuren wieder in die warme Enge der Gassen zurückdrängte.

Das 1505 erbaute Obere Tor mit Doppeltoranlange war mit Anwesen und Stallung des Steinmetzmeisters Josef Bräg verbunden, das wegen einer ...
Das 1505 erbaute Obere Tor mit Doppeltoranlange war mit Anwesen und Stallung des Steinmetzmeisters Josef Bräg verbunden, das wegen einer notwenig gewordenen Durchfahrt in die Innenstadt Ende der 1960er Jahre abgerissen wurde. | Bild: Karlheinz Fahlbusch

Die Landstadt oder Bauernstadt sollte es aber spätestens mit der intensiv betriebenen Industrialisierung bis Mitte der 1950er Jahre nicht mehr geben. Da verminderte sich dieser Bevölkerungsanteil auf 12 bis 15 Prozent, der innerhalb der altehrwürdigen Gemäuer noch Land- und Forstwirtschaft betrieb. Die Zahl der bäuerlichen Betriebe war im Stadtgebiet um mehr als die Hälfte zurückgegangen, vor allem die Anwesen unter fünf Hektar Größe wurden immer weniger.

Die Industrie besiegelt das Ende der Pfullendorfer Landwirte

„In der Uttengasse waren sieben bis acht Bäuerle. Sie hatten alle einen Stall mit Kühen und Schweinen. Außerdem wurde Ackerbau mit Roggen, Weizen, Gerste und Hafer betrieben und die Wiesen als Viehfutter genutzt“, erzählt der heute 81-jährige Eduard Allweyer, der beim Heuabladen tüchtig miteingebunden war.

Als er dann zu seiner Hochzeit 1961/62 das eigene Anwesen zur Wohnung umbaute, hatten seine Eltern die Landwirtschaft in der Uttengasse längst aufgegeben. Allweyer bevorzugte die Schreinerlehre und setzte seinen beruflichen Werdegang bei Alno fort, machte zudem als exzellenter Fußballer von sich reden. Die Nachfolge war mangels Existenzsicherung für viele Landwirte zum Problem geworden.

Diese Firmen ließen sich in den 1950er Jahren in der einstigen Bauernstadt nieder

Die Befürwortung einer Industrialisierung – sie wird als weiser Beschluss der damaligen Stadtväter um Willi Nusser, Dr. Walter Ott, Hermann Löffler und Josef Netzel bis heute gepriesen. Sie beabsichtigten damit, das etwas verträumt vor sich hin dämmernde badische Städtchen mit dieser Frischzellenkur endlich zu beleben, was sich bereits 1953 in ersten Ansätzen erkennen ließ.

Doch vor 60 Jahren, also 1958, kam dieses Ansinnen auf breiter Basis in die Gänge. Die Möbelfabrik Alno brauchte nach ihrer Ansiedlung gerade mal fünf Jahre um 1963 bereits 250 Personen zu beschäftigen. Die Schweizer Firma Geberit ließ sich 1955 hier nieder und ist heute das größte Unternehmen.

In den beiden metallverarbeitenden Betrieben (Vogler, Matheis) gab es je etwa 150 Beschäftigte, die drei Unternehmen der Textilbranche kamen zusammen auf 100 Mitarbeiter, weitere 100 waren in der Zigarrenfabrik beschäftigt. Außerdem bestanden zwei Sägewerke, die damals als modern bezeichnete Ziegelei Ott, über deren Abriss vielleicht nach 2020 von städtischer Seite nachgedacht werden soll, und ein Kieswerk.

Ab etwa 1960 entwickelt sich ein "neues Pfullendorf"

Als die eigentliche „Initialzündung“ für die Entwicklung dieses neuen Pfullendorf, sollten aber die Soldaten gelten. 1959 stand in Pfullendorf eine Garnison mit 1200 Mann, wovon nicht nur das Gastgewerbe enorm profitierte, sondern auch die Geschäfte und Handwerker.

Und der Sportclub rekrutierte zun jener Zeit in der Kaserne stationierte Fußballer, die sonst nie in die Linzgaustadt gefunden hätten und sich als wichtige Stützen im sportlichen Werdegang des bald aufstrebenden Vereins entwickelten.

Die Bundeswehr verhinderte zunächst auch mit ihrem Protest, dass die beabsichtigte Stilllegung der Bahnnebenlinie Schwackenreute-Pfullendorf-Altshausen zu jener Zeit nicht in die Tat umgesetzt werden konnte.