Groß war die Befürchtung, dass sich durch die Corona-Krise vor allem den Druck auf Familien erhöhen könnte, wenn Eltern mit ihren Kindern wochenlang zusammen sind, als Lehrer agieren müssen und Ehepartner sich den ganzen Tag sehen. Gegenüber dem SÜDKURIER erklärt Hubert Schatz, Leiter des Fachbereichs Jugend im Landratsamt, dass es bei den Akteuren der Jugendhilfe in den vergangenen Wochen keinen signifikanten Anstieg der Fallzahlen gab: „Die Beratungsstellen im Landkreis stellen fest, dass innerfamiliäre Konflikte und Belastungen zwar häufiger ein Thema in ihren Beratungen waren, eine Zunahme an Gewalt gegen Kinder aber nicht festgestellt werden konnte“.

Höherer Druck auf Familien mit geringeren Ressourcen

Durch die Corona-Krise habe sich der Druck vor allem in Familien mit wenigen Ressourcen erhöht. Das ständige Zusammensein mit allen Familienmitgliedern auf teilweise engem Raum während der Schul- und Kitaschließungen sowie der Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit der Eltern können zu Unruhe und Streit führen. Dies wiederum kann dann ein erhöhtes Risiko für Gewalt auch an Kindern verursachen. „Deshalb ist es für alle Akteure der Jugendhilfe wichtig, gerade in den vergangenen Wochen den Kontakt zu diesen Familien zu erhalten und Unterstützungsangebote zu machen“, erläutert Schatz, dass die Mitarbeiter des Fachbereichs Jugend die betreffenden Familien regelmäßig angerufen haben.

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Wo der persönliche Kontakt notwendig war, kamen die Mitarbeiter mit Schutzausrüstung und unter Wahrung des Abstands auch vor Ort. „In den meisten Fällen gelang es uns, durch Gespräche den angestauten Stress in den Familien abzubauen“, so der Fachbereichsleiter.

Neue Hotline „Zuhören für Familien“ eingerichtet

Die Hilfsangebote, die es bereits vor Corona gab, wurden unter Berücksichtigung der Hygienestandards weitgehend fortgeführt, und – wo notwendig – an die neuen Bestimmungen angepasst. „Themen, die uns in letzter Zeit besonders beschäftigt haben, war der Umgang von Kindern mit dem Elternteil, der sonst nicht so oft zu Hause ist oder zu den Großeltern“, erläutert Schatz, dass man auch im Bereich der Notbetreuung in Schulen und in Kindergärten beratend tätig war. Als besonderes Angebot in der Krise wurde die Hotline „Zuhören für Familien“ der Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes, der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle sowie der AGJ Suchtberatung für Familien im Landkreis Sigmaringen eingerichtet. Die Möglichkeit, mit Experten über die Sorgen, Nöte und Anliegen zu sprechen, sei im April sehr gut angenommen worden, in den vergangenen Wochen seien die Anrufe wieder weniger geworden.

Befürchtungen haben sich nicht bestätigt

„Bislang kann aus Sicht der Jugendhilfe festgestellt werden, dass sich die Befürchtungen einer Gewaltzunahme gegen Kinder aufgrund der Corona-Einschränkungen im Landkreis nicht bestätigt haben“, weist der Experte daraufhin, dass es durchaus eine Dunkelziffer geben könnte, die noch nicht bekannt sei, weil vieles erst auffällt, wenn Kinder wieder die Kita, die Schule oder Freunde besuchen.

Wenige Fälle bekannt während des Lockdown

Als Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises und Leiterin des Runden Tisch zum Thema „Häusliche Gewalt“ ist Sandra Knör in Kontakt mit den Anlaufstellen, an die Frauen sich nach Gewalterfahrungen wenden. Dies sind die Polizei, das Frauenhaus oder die Beratungsstellen. „Im Verlauf des Lockdown war es sehr ruhig und nur wenige Fälle von häuslicher Gewalt wurden sichtbar“, resümiert Knör. Momentan könne sie nur spekulieren, woran das gelegen haben könnte. Einerseits lag in vielen Familien und Partnerschaften der Fokus auf der Bewältigung der Situation. Vermutlich hätten Paare versucht, Konfrontationen zu umgehen. „Zudem werden viele Frauen keine Möglichkeit gehabt haben, sich unbemerkt bei den Hilfestellen zu melden, wenn sie 24 Stunden am Tag mit dem Partner zusammen waren.“

Psychische Folgen wirken noch länger nach

Nach dem die ersten Lockerungen stattgefunden haben, hat sich die Zahl der Hilfesuchenden wieder erhöht. Wahrscheinlich wird sich in dieser Ausnahmesituation einiges angestaut haben, die Folgen davon werde man aber erst in den nächsten Wochen besser einschätzen können. „Die psychischen Folgen für die Opfer von häuslicher Gewalt während des Lockdowns werden womöglich noch sehr lange nachwirken“, gibt Sandra Knör zu bedenken.