Wald – Als es den Menschen in der Bundesrepublik in den 50er Jahren wirtschaftlich wieder besser ging, hielt auch in Wald ein freieres Leben Einzug. Den befreienden Ausschlag damals gab die Hochzeit eines Walder Bauern mit einer polnischen Fremdarbeiterin. Erstmals durfte die Walder Blechmusik wieder zu Ehren eines Paares im „Schwanen“ aufspielen. Dort eskalierten die Ereignisse, denn die freigelassen polnischen Zwangsarbeiter und junge Walder trafen aufeinander. Erheblicher Biergenuss und eine Pistole heizten die Stimmung an, es kam zu einer Schlägerei. So wild ging es aber nicht immer her: Der Tanz im Schwanen wurde zum schönsten Sonntagsvergnügen der Ledigen.
Samstags wurde es schon ausgemacht: „Du kommst doch heute auch zum Schwofen in den Schwanen?“ Was noch in Erinnerung blieb, waren die Tanzschlägereien zu später Stunde. Die Handgemenge wurden meist von zwei Haudraufs angezettelt, von zwei Brüdern aus Otterswang. Für den Walder Arzt Dr. Ehrhart war der Tanzabend immer einer, an dem er lange aufbleiben musste: Der Anruf aus dem Schwanen blieb selten aus. Die lädierten Kämpfer lagen nach dem Hinauswurf auf der Straße und kamen zum Verarzten auf dem Ladentisch. Meist ging es darum, dass einem die Tanzpartnerin ausgespannt worden war. Zwei, drei Klammern in die blutigen Köpfe, und vom Arzt gab es zum Abschied seine berühmt gewordenen Worte zu hören: „Das sind die Geschichten.“ Alles war wieder in Butter.
Drinnen im wie immer von Tänzern überfüllten Schwanensaal spielte die Tanzkapelle „La Paloma“ mit ihrem Frontmann Helmut Dietz aus Stockach am Akkordeon ungerührt ihr großes Schlagerrepertoire herunter. Bei vollem Schall von drei Pistolenschüssen aus der Hand des Schlagzeugers und Sängers Peter Fridgen erklang „Schützenliesel, dreimal hat‘s gekracht, jetzt bin ich der Schützenkönig und du bleibst bei mir“. Eng umschlungen drehten sich dabei die Paare auf dem mit Tanzpulver glatt gestreuten Tanzboden. Eine sichere Anlaufstelle für all jene, die den Bund fürs Leben anstrebten.
Die langen Tischreihen mit vom Tanzen ausgesperrten Männern steuerte da bereits die jederzeit zu einem Scherz aufgelegte Luise Koch als Bedienung an. Mit hoch über den Köpfen der Tanzenden erhobenen Händen trug sie auf einem roten und weißen Serviertablett sicher balancierend „g‘stauchtes Bier“ zum späteren Bezahlen. Die gerade Angesteuerten waren die überzähligen Männer. Beim ersten Takt der Kapelle waren sie nicht schnell genug aus den engen Bankreihen herausgekommen oder, noch schlimmer, mit hochrot angelaufendem Kopf waren sie abgeblitzt. Das erwünschte Mädchen war bereits in den Fängen eines schnelleren Tänzers. Vor dem „Zuspätkommen“ half nur das Vorbestellen für die nächsten drei Tanzrunden.
Die Mädchen, die Drinnen als Tanzpartnerinnen fehlten, standen derweil schwatzend draußen im Hausgang und die Treppe hinauf in einer Warteschlange vor dem viel zu kleinen Damenklo. Am Arm das unvermeidliche, rot oder schwarz lackierte Handtäschchen. In wohliger Erinnerung schwelgt heute noch Lydia Fox aus Wald vom sich Drehen zu den Schlagern der Zeit mit der Band „La Paloma“. Beim Tanz galt ein ungeschriebenes Gesetz: Vor dem Musikeinsatz durfte kein Tänzer aus seiner Bankreihe springen, um sich eine Tanzpartnerin zu angeln. So kam es zu einem Durcheinander auf dem kleinen Tanzboden. Die Mädchen hatten freien Eintritt, die jungen Burschen ließen sich beim Eintritt den für eine Mark fünfzig gekauften mattfarbenen Tanzbändel mit Sicherheitsknopf am Anzugsreversloch anheften. „Die Erinnerung ist immer noch in mir. Es war eine schöne Zeit beim Tanz im „Schwanen“, schwärmt Lydia Fox. „Zum Schwanentanz kamen immer alle junge Leute aus Wald und Umgebung, weil man sonst nirgends hinkam.“
Im Schwanen trafen sich über 15 Jahre lang noch jede zweite Woche die bäuerliche Jugend aus Wald und Umgebung zum Tanz. Sie alle glaubten an eine gesicherte Zukunft auf den Höfen ihrer Eltern mit den gerade neu gekauften Landmaschinen. Ihre Selbstgewissheit stand draußen vor der Tür in einer Autoschlange: Nagelneue Opel Rekord, VW Käfer oder Ford 12 M. Soviel Auto musste sein. Und so viel Tanz auch.