Was für ein Schaulaufen der lokalen Politprominenz in der Bräunlinger Stadthalle: Die Oberbürgermeister Erik Pauly und Jürgen Roth schütteln sich die Hand. Auch der Blumberger Bürgermeister Markus Keller und sein Amtskollege aus Bad Dürrheim, Jonathan Berggötz, Bürgermeister Andreas Braun aus Niedereschach, Landrat Sven Hinterseh und FDP-Landtagsabgeordneter Frank Bonath sind am Dienstagabend, 27. Mai, in die Zähringerstadt gekommen.

Kein Wunder: Die Dr.-Fritz-Reimnitz-Stiftung hat es geschafft, Christoph Heusgen als Redner zu gewinnen.

UN-Diplomat, Berater, Botschafter

Heusgen hat eine beispiellose Karriere auf dem weltpolitischen Parkett hingelegt. Er war Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, UN-Vertreter, Diplomat, Botschafter und sicherheitspolitischer Berater von Angela Merkel.

Daher verwundert es wenig, dass der Vortrag an diesem Abend gut besucht ist. „500 Besucher dürften es sein“, schätzt Bräunlingens Bürgermeister und zweiter Vorsitzender der Dr.-Fritz-von-Reimnitz-Stiftung, Micha Bächle, in seiner Ansprache.

Christoph Heusgen (links) mit Micha Bächle.
Christoph Heusgen (links) mit Micha Bächle. | Bild: Denise Kley

Heusgen selbst plaudert aus dem Nähkästchen an diesem Abend. Er bringt Weltpolitik in die Zähringerstadt – und überzeugt mit Sachkenntnis, Humor, einer Spur Idealismus und Selbstkritik. Die sieben besten Aussagen hat der SÜDKURIER zusammengefasst.

  • „Ich bin hier an einem Ort, wo Heimatliebe besonders ausgeprägt ist.“

Das sind Heusgens erste Worte. Er selbst könne das gut nachfühlen, immerhin sei er seiner Heimat Nordrhein-Westfalen auch sehr verbunden. „Ich war sogar zweimal Schützenkönig in meiner Heimatstadt Neuss.“

Er habe in den letzten Stunden viel von Micha Bächle über Bräunlingen gelernt und ist beeindruckt von der langen Historie der Zähringerstadt. „Um Helmut Kohl zu zitieren: Nur wer seine Heimat liebt, ist offen für Deutschland, Europa und die Welt.“

  • „Das Bräunlinger Rathaus sollte einen neuen Anstrich bekommen.“

Das empfiehlt Heusgen unter Gelächter des Publikums und hat bereits einen Geldgeber im Blick: Die Dr.-Fritz-von-Reimnitz-Stiftung sei doch mit ihrem Millionenvermögen gut ausgestattet.

Das Rathaus soll bis 2026 saniert werden.
Das Rathaus soll bis 2026 saniert werden. | Bild: Dagobert Maier

Er hatte im Vorfeld die Gelegenheit, sich mit Stipendiaten der Stiftung auszutauschen. „Da wächst in Bräunlingen eine richtig tolle Generation heran.“

Dann geht es ans Eingemachte, der Blick geht über die Baar hinweg und über den Ozean.

„Wir teilen mit den USA nicht mehr dieselben Werte.“

So die Einschätzung von Heusgen zu der aktuellen Situation. Er habe Angela Merkel während der ersten Amtszeit von Trump mit Rat und Tat zur Seite gestanden und war bei zahlreichen Gesprächen mit den Staatsoberhäuptern dabei. „Merkel hatte immer gute Beziehungen zu den US-Präsidenten. George W. Bush jun. und Barack Obama zählte Merkel zu ihren besten politischen Freunden.“

Heusgen berichtet, dass Obama Angela Merkel im November 2016 bei einem Vier-Augen-Abendessen dazu drängte, nochmals als Kanzlerin zu kandidieren, da Obama bereits ahnte, dass Trump es ins Oval Office schaffen würde und man einen starken Gegenpol in Europa brauche.

2017 beginnt Trumps erste Amtszeit und das Chaos nimmt seinen Lauf. „In der ersten Amtszeit war er noch nicht vorbereitet, alles war chaotisch, es gab keine Strategie. Das hat sich nun geändert. Wir haben einen erratischen und unberechenbaren US-Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit und mit einer treuen Gefolgschaft.“

  • „Hat die USA genug Standfestigkeit, um die Demokratie zu wahren?“

Das ist eine Frage, die er sich stellt. „Die Pressefreiheit und die Wissenschaft werden eingeschränkt und die Gewaltenteilung wird schrittweise außer Gefecht gesetzt.“ Ob die USA eine Demokratie bleibe, sei die große Frage, die man noch nicht beantworten könne.

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  • „Putin hält uns für Weicheier.“

Davon ist Heusgen überzeugt. Einem Putin dürfe man nur mit Stärke entgegentreten. „Diplomatie funktioniert nicht mehr.“ Putin sei ein KGB‘ler durch und durch. Er verfolge das Ziel, Russland wieder zu alter Stärke zu führen.

Zwar sei Putin zu Beginn seiner politischen Karriere noch kooperativ unterwegs gewesen, doch das habe sich geändert. Besonders die Corona-Krise sei für Putin einschneidend gewesen, wie Heusgen vermutet. „Die Isolation hat ihm nicht gutgetan. Er hat seinen Beratern zu viel geglaubt.“

Dennoch bestimme er das Narrativ in dem Land und habe dort keine nennenswerte Opposition. „Putin wird in seinem vaterländischen Krieg von den Russen toleriert und unterstützt.“

  • „Wir haben Fehler gemacht.“

Das gibt Heusgen zu. Auch Merkel habe, im Nachhinein betrachtet, erratisch gehandelt. „Die Nord Stream II-Pipeline hätte es nie geben dürfen.“ Zumal Deutschland seit Jahren die Sicherheit vernachlässige. Man habe es verpasst, NATO-Ziele umzusetzen. Beispielsweise das Zwei-Prozent-Ziel, welches besagt, dass NATO-Mitgliedstaaten jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben sollten.

Aus seiner Sicht hätte man die Ukraine schon von Beginn an mit umfangreichen Waffenlieferungen unterstützen müssen. „Das hätte Russland abgeschreckt.“ Heusgen ist sich sicher: Nach der Ukraine mache Putin weiter, als Nächstes könnte Moldawien dran sein.

Christoph Heusgen trägt sich in das goldene Buch der Stadt ein. Links Dinah Reimnitz, Vorstandsvorsitzende der ...
Christoph Heusgen trägt sich in das goldene Buch der Stadt ein. Links Dinah Reimnitz, Vorstandsvorsitzende der Dr.-Fritz-Reimnitz-Stiftung, rechts Bürgermeister Micha Bächle. | Bild: Denise Kley
  • „Wir schaffen das schon.“

Sagt er als Schlusswort, dabei wohl inspiriert von seiner ehemaligen Chefin, Angela Merkel, die 2015 mit diesem Mutmacher-Spruch von sich Reden machte.

Obwohl sein nüchterner Sachstandsbericht der aktuellen weltpolitischen Situation einen bedrückt zurücklässt, appelliert er an den Zusammenhalt: Mit einer geeinten, starken EU und einem Deutschland, das sich auf seine Stärken beruft und nachhaltige, enge Bündnisse mit beispielsweise Großbritannien, Frankreich und Polen eingeht, seien auch diese Krisen der Zeit zu bewältigen. „Rheinischer Optimismus gehört doch dazu“, findet Christoph Heusgen.