An der rechten Wand hängt Gegenwartskunst aus Mexiko, an der linken Wand, besser hinter den großen Fenstern zeigt sich der Donaueschinger Bahnverkehr im Echtzeitmodus, und am Kopfende steht eine provisorische Bühne und ihr gegenüber eine fest installierte Theke: Vier Seiten, vier Themen, vier Anliegen, die im Kulturbahnhof aufeinander treffen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat Bernhard Zipfel das frühere Bahnhofsrestaurant übernommen und es zu einem Anlaufpunkt für Passagiere, Musik- und Kunstfreunde sowie Kneipengänger gemacht. Vielfältig bespielt und ohne Berührungsängste besucht.
Gegenwärtig ist im „KuBa“ die vierte Kunstausstellung zu sehen. Eine Tattoo-Artistin und ein Fotograf aus der Schweiz zeigen Fotografien, Malereien und Skulpturen. Ein bisschen schräg, ein bisschen rätselhaft. Mit einem Augenzwinkern zu genießen. Passend zum Ambiente im früheren „Restaurant der zweiten Klasse“. Das Mobiliar ist geblieben. Einfache Holztische, frisch aufgepolsterte Stühle und Sitzbänke und rot überstrichen das Jahrzehnte alte Bahn-Mobiliar. An der Wand hängen die verschiedensten Lampen, unter der Decke baumeln Schallplatten. „Als Schallschutz bei Konzerten“, klärt der 57-jährige Villinger auf. Außerdem hänge dort ohnehin Vinyl, das ihm nicht mehr gefällt, sagt er lachend.
Mehr als 70 Veranstaltungen hat der „KuBa“ im vergangenen Jahr erlebt. Konzerte, Theateraufführungen, Ausstellungen, Filmvorführungen. Von der Anmutung her könnte die Kulturgastronomie als Studentenkneipe in der Großstadt durchgehen. „Allerdings ist mein Publikum ein wenig handverlesener“, verrät Zipfel. Er pflegt ein hehres Ziel. Sei es doch eher schwierig, die Leute auch nach der Vernissage zur Kunst zu bringen, weiß er aus den 1980ern, als er in Schwenningen eine Comic-Galerie führte. So bringt er heute eben die Kunst in die Kneipe.
Angefangen bei Bands aus aller Welt. Wer seit mehr als 35 Jahren Konzerte veranstaltet, kann sich auf ein weit verzweigtes Netzwerk stützen. Bei Funk und Soul kriegt der Kulturgastronom große Namen, aber auch in anderen Stilen Genres gastieren in Donaueschingen die früher so bezeichneten Independent Bands, die sonst in den Metropolen spielen. Maßstab ist Zipfels eigener Geschmack. Und diese Auswahl kommt an.
Der Mann mit dem wilden Bart ist bekannt in der regionalen Kneipenszene. 2018 musste er nach einem Rechtsstreit das legendäre „Limba“ in Villingen aufgeben. Nach 19 Jahren am Tresen einer doch sehr besonderen Kneipe stellte er in Donaueschingen die Weichen für ein breiteres Publikum. „Hier wird nicht mehr geraucht“, sagt Zipfel. Auch Spielautomaten hat er aus dem Lokal verbannt. So treffen sich die Raucher, ganz legal, zum Qualmen auf dem Bahnsteig vor dem KuBa.

Ob es am Prädikat Nichtraucherkneipe liegt? Jedenfalls verzeichnet Zipfel am neuen Standort ein ganz anderes Publikum als zu Zeiten des Limba. „Die Donaueschinger erscheinen mir offener. Zudem sind es hier oft auch Ältere, die sich für das Programm interessieren.“ Quer durch alle Fraktionen haben Gemeinderäte schon am Kulturbahnhof „geschnuppert“. Neugierige Wertschätzung. Dem Gastronom gefällt‘s, doch wichtig sind ihm auch die Stammgäste.
An diesem Spätnachmittag wartet einer auf den Zug. Ralph Bäuerle aus Aufen hat gerade den Ringzug verpasst und trinkt einen Tee. Mit einem Bierchen gönnt sich der Bräunlinger Hans-Joachim Czardebon an einem anderen Tisch das Wechselspiel von Ankunft und Abfahrt als reales Kino. Die Bahnhofsatmosphäre, das ungezwungene Kommen und Gehen, das selbstverständliche „Du“ und natürlich der Blick aufs pure Leben auf den Bahnsteig durchs Panoramafenster faszinierte zuletzt auch Musiker aus Kanada. Hier würden sie gerne jede Woche ihr Bier trinken.

Vor ein paar Tagen auf der Bühne in Montreux, nächste Woche auf einem angesagten Festival in Indien und dazwischen ein Abend im Kulturbahnhof. Der Tourplan der Funk-Band „Rumba de Bodas“, erst vor ein paar Tagen zu Gast, ähnelt dem anderer Künstler. Ein Abstecher in die Provinz, zu einem Publikum, das nah dran ist und richtig mitgeht, wird gerne eingebaut.

Als das auf der Schwäbischen Alb ansässige Theater Lindenhof mit dem Programm Chaim & Adolf im Kulturbahnhof brillierte, wusste kaum jemand, dass die Schauspieler tags zuvor in Hamburg mit einem Theaterpreis geadelt worden waren. Ambiente und Auftrittsmöglichkeiten in Donaueschingen sprechen sich herum. Künstler fragen an und kommen gerne.

Außer die Rockband „Ozone Mama“ aus Budapest. „Die Jungs wirkten doch sehr bedrückt, als sie ankamen“, erinnert sich Zipfel. Kein Wunder: Gelten Bahnhofswirtschaften in Ungarn doch als Orte üblen Leumunds und steter Gefahr. Zipfel und Gäste konnten dieses Missverständnis schnell ausräumen.