Seit Beginn des Überfalls von Russland auf die Ukraine, und aus Angst vor einem nuklearen Zwischenfall, ist das Interesse an Jodtabletten gestiegen. Viele Menschen wollen mit ihren Hamstereinkäufen die sogenannte Jod-Blockade erreichen. Die soll verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse einlagert. das funktioniert jedoch nur mit hochdosierten Tabletten.

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Die Apothekerinnen und Apotheker aus dem Städtedreieck möchten ihre an diesem Wirkstoff interessierte Patienten für das Thema sensibilisieren und darüber aufklären. Sie stellen klar: Ein Hamstern von üblichen Jodtabletten/Kaliumiodid als Nahrungsergänzungsmittel zum Schutz von radiologischen Auswirkungen mache absolut keinen Sinn. Eine Selbstmedikation berge zudem erhebliche gesundheitliche Risiken.

Sieben Fragen, sieben Antworten

1. Wie schützt Jod vor Strahlenbelastung?

Beim Betrieb von Kernreaktoren entstehen gewisse Spaltprodukte, zu denen auch verschiedene radioaktive Isotope des Jods gehören. Sie nehmen wegen der biologischen Besonderheit des Jods, seiner Aufnahme in der Schilddrüse und den Einbau in Schilddrüsenhormonen, eine besondere Stellung ein, so Florian Meess von der Donaueschinger Hofatotheke.

Apotheker Florian Meess von der Donaueschinger Hofapotheke kann nicht voraussagen ob die globalen Lieferketten den von ihm ...
Apotheker Florian Meess von der Donaueschinger Hofapotheke kann nicht voraussagen ob die globalen Lieferketten den von ihm prognostizierten großen Bedarf an Arzneimitteln in der Ukraine, auffangen können. | Bild: Anita Reichart

„Das hochdosierte Jod dient dann in diesem Fall als Blockade gegen das radioaktive Jod, das unter anderem bei einer Atomkatastrophe freigesetzt wird, und sich in der Schilddrüse anreichern könnte und dort Tumore hervorrufen kann“, erklärt Sarah Mast aus der Schellenbergapotheke in Hüfingen den Mechanismus.

2. Wären Jod-Tabletten in der Region überhaupt notwendig?

Das Bundesamt für Strahlenschutz weist ausdrücklich darauf hin: Aufgrund der Entfernung zur Ukraine sei aktuell nicht damit zu rechnen, dass eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich werden könne. Von einer selbstständigen Einnahme der Tabletten wird dringend abgeraten.

Eine Einnahme sollte nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die zuständige Katastrophenschutzbehörden erfolgen, da der Zeitpunkt der Einnahme und die Dosierung entscheidend für die Schutzwirkung ist. Die dafür benötigten Tabletten, in Deutschland sind wohl knapp 190 Millionen gelagert, würden im Notfall über verschiedene Ausgabestellen verteilt werden.

3. Welche Dosis braucht es zu welchem Zweck?

Zur regulären Nahrungsergänzung, sofern indiziert, würden in der Regel 100 bis 200 mg pro Tag eingenommen werden. Bei einer Jodblockade müsse die 100 bis 1000-fache Menge der täglichen Nahrungszufuhr eingenommen werden (ab 13 Jahren in der Regel einmalig 130 mg Kaliumiodid, entsprechend 100 mg Jod).

Es gebe Patienten mit Schilddrüsenleiden, die die Tabletten dringend benötigen und medizinische Probleme bekommen, wenn diese nicht mehr lieferbar seien, erklärt Florian Meess.

Finger weg von einer Selbstmedikation mit Jodtabletten wenn keine Schilddrüsenerkrankung vorliegt, sagen die Apotheker.
Finger weg von einer Selbstmedikation mit Jodtabletten wenn keine Schilddrüsenerkrankung vorliegt, sagen die Apotheker. | Bild: Anita Reichart

4. Welche Medikamente sind derzeit sonst noch gefragt?

In der Donaueschinger Sonnen Apotheke sind aufgrund der hohen Corona-Fallzahlen und dem deutlich wahrzunehmenden Fasnachts-Effekt Schmerz-und fiebersenkende sowie Immunsystem stärkende Mittel sehr gefragt, erzählt Apotheker Valon Tolaj.

5. Gibt es aktuell Medikamentenengpässe?

Seit Jahren kämpfen die Apotheken nach eigenen Angaben mit Lieferengpässen zu kämpfen. Hierbei spielten jedoch eine Vielzahl von Faktoren in die Problematik, die schon vor dem Ukraine Krieg dagewesen seien. Betroffen gewesen seien Schmerzmittel und Medikamente gegen Bluthochdruck.

Aktuell gebe es beispielsweise einen massiven Lieferengpass bei dem Wirkstoff Tamoxifen, der zur Behandlung von Mammakarzinomen eingesetzt werde. Es mussten aus den europäischen Nachbarländern Mittel importiert werden, beklagen die Hof-und Sonnenapotheke.

Der Arzneimittelmarkt ist stark global vernetzt und Krisen wie der Ukraine Krieg und Corona haben die globale Abhängigkeit etwas stärker ...
Der Arzneimittelmarkt ist stark global vernetzt und Krisen wie der Ukraine Krieg und Corona haben die globale Abhängigkeit etwas stärker in den Fokus gerückt. | Bild: Anita Reichart

6. Wirken sich die Energiepreise auf die Medizinpreise aus?

Allerdings würden sich die aktuellen Preise für Öl und Benzin auch negativ auf die Apotheken auswirken. Denn die Großhändler seinen auf diesen Kraftstoff angewiesen, und so werde auch der Preis für die Medikamentenlieferungen, die zum Beispiel für die Schellenbergapotheke in Hüfingen viermal täglich erfolgten, auch teurer, merkt Sarah Mast an.

7. Was fordern die Apotheker von der Politik?

Unabhängig vom Ukrainekrieg mache man sich seit Jahren große Sorgen wegen der Versorgung, heißt es von Seiten der Apotheken. Die Produktion von Wirkstoffen habe sich größtenteils aus Europa nach Asien verlagert. Für Florian Meess aus der Hofapotheke sei es sehr wichtig, sich künftig nicht nur bei der Energiepolitik, sondern auch bei Arzneimitteln unabhängiger von gewissen Ländern zu machen und auch wieder mehr Arzneimittel in Europa zu produzieren. Auch wenn dies teurer sei.

Was brauche ich tatsächlich im Kriegs- oder Katastrophenfall?
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