Wenn Jacqueline Wibiral ihre Arbeit erklärt, dann muss sie häufig vor allem erstmal eines tun: mit Vorurteilen aufräumen. Wibiral ist nämlich in der Jugendhilfe aktiv.

Jugendhilfe verbinden viele im ersten Moment mit hoffnungslosen Fällen. Wenn Dritte oder sogar das Jugendamt eingeschaltet werden, dann muss die Lage in der Familie völlig aussichtslos sein, lautet eines dieser Vorurteile.

Zweite Chance für Familien

Dieses Bild kennt Jacqueline Wibiral aus ihrem Alltag nicht. Sozialer Arbeit hefte im öffentlichen Diskurs ein Stigma an, sagt sie. Aber: „Hauptsächlich kommen Leute zu uns, die wirklich etwas verändern wollen. Wir haben hier ein richtig tolles Arbeitsfeld. Man sieht auch die Erfolge.“

Mit „uns“ meint die 32-Jährige ihre gemeinnützige GmbH Priokid. Diese hat Wibiral gemeinsam mit ihrer langjährigen Kollegin Nadine Nagy Makram im Jahr 2020 gegründet.

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Damals waren die beiden aus Tuttlingen heraus mit ihrem Konzept bei verschiedenen Landkreisen vorstellig geworden, um mit Jugendämtern zusammenzuarbeiten. Neben dem Landkreis Tuttlingen, konnte Priokid das Angebot auch schnell in die Nachbarschaft expandieren. „Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden wir direkt mit offenen Armen empfangen“, sagt Wibiral.

Lücke im System schließen

Im Jahr 2024 hat Priokid das Gebäude in der Sennhofstraße 6 in Donaueschingen übernommen und hat seitdem, neben Tuttlingen, auch einen festen Sitz in der Donauquellstadt, wo fünf der insgesamt 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt werden.

Im Jahr 2024 bezieht Priokid in Donaueschingen seine neue Heimat in der Sennhofstraße. Sechs Wohnungen stehen den Helfern hier zur ...
Im Jahr 2024 bezieht Priokid in Donaueschingen seine neue Heimat in der Sennhofstraße. Sechs Wohnungen stehen den Helfern hier zur Verfügung, um Familien unter die Arme zu greifen. | Bild: Daniel Vedder

Mit ihrem Konzept wollen Wibiral und Nagy Makram eine Lücke im System schließen. „Kinder werden häufig in Obhut genommen, wenn es zu Hause nicht mehr funktioniert“, sagt Jacqueline Wibiral. Priokid möchte mit der ganzen Familie an Lösungen arbeiten.

Solche Hilfen zur Erziehung sollen eine letzte Station vor diesem Schritt sein. Kein Ultimatum für die Eltern, sondern eine Hilfe. „Kinder müssen hier nicht von ihren Eltern weg. Wir geben den Eltern die Chance, ihre Erziehungskompetenzen nochmal auszubauen.“

So arbeitet Priokid

Dafür stellen die 32-Jährige und ihr Team in der Donaueschinger Sennhofstraße sechs Wohnungen zur Verfügung. Neben dem Büro und einigen Spielräumen gibt es auch eine Tagesmutter. „So können wir unseren Familien direkt einen Kindergartenplatz anbieten.“

Daneben gibt es vier Wohnungen, in denen Priokid ganze Familien unterbringen kann. Diese sind auch voll ausgestattet. „Wir waren gefühlt noch keinen Tag nicht voll besetzt. Der Bedarf ist hoch und die Betreuung sehr intensiv.“

Einer der Spielräume am Donaueschinger Sitz von Priokid.
Einer der Spielräume am Donaueschinger Sitz von Priokid. | Bild: Daniel Vedder

Priokid will mit Hilfen zur Erziehung den Eltern Alltagssorgen wegnehmen und ihnen Ressourcen zur Verfügung stellen. Haben die Kinder zum Beispiel eine gesicherte Tages- und Hausaufgabenbetreuung und ein sicheres Wohnverhältnis, wirkt sich das positiv auf deren Entwicklung aus.

Wann kommen Familien zur Jugendhilfe?

In Donaueschingen betreuen die beiden staatlich anerkannten Erzieherinnen und ihre Mitarbeiter nur ganze Familien. Allerdings muss es auch passen: Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, leitet Priokid Familien weiter – zum Beispiel bei suizidgefährdeten Menschen oder Menschen mit starken Suchtprobleme.

Hauptsächlich geht es darum, sagt Jacqueline Wibiral, Eltern zu unterstützen, die mit der Erziehung überfordert sind. Die Gründe für eine Überforderung seien oft komplex und nicht selbstverschuldet.

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Alleinerziehende sind mehr betroffen

Finanzielle Not ist einer dieser Gründe: „Fehlende materielle Ressourcen sowie damit verbundene Ausgrenzungsprozesse und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten stellen Lebenslagen mit einem erhöhten Bedarf an Unterstützungsleistungen dar, weil Betreuung, Erziehung und Förderung in der Familie in zunehmendem Maße nicht gelingt“, sagt Jens Pothmann, Leiter der Abteilung Jugend und Jugendhilfe beim Deutschen Jugendinstitut (DJI). Daher seien auch Alleinerziehende überproportional betroffen.

Vor diesem Hintergrund strecke Priokid manchmal Geld vor, von dem Jacqueline Wibiral weiß, dass die Organisation es nicht mehr sehen werde – weil es nötig ist: Was zum Beispiel, wenn eine Mutter in einer missbräuchlichen Beziehung steckt, die Zusage für eine neue Wohnung hat, aber die Kaution nicht zahlen kann? In so einem Fall möchte Wibiral Mutter und Kind nicht wegen finanzieller Abhängigkeit in die missbräuchliche Situation zurückschicken.

Betroffene können häufig nichts für ihre Situation

Das ist ein weiterer Punkt, der der Spaichingerin wichtig ist: Eltern geraten oft ohne eigenes Verschulden in schwierige Situationen. „Da kann jeder hereinrutschen. Es sind nicht nur junge Mütter, sondern auch reifere Eltern, die in diese Überforderung geraten. Viele denken, solche Probleme gibt es nur in Großstädten wie Frankfurt oder München, aber das gibt es auch hier und stellenweise unbemerkt in der Nachbarschaft.“

Gewalt in der Familie ist ein großes Thema. Wenn – in den meisten solcher Fälle – der Vater Mutter oder Kinder schlägt, müssen diese von ihm getrennt werden. Aber es geht nicht nur um missbräuchliche Beziehungen. Nicht nur um Menschen, denen das Geld fehlt.

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„Die Themen und Problemlagen sind vielschichtig und häufig sehr komplex“, sagt auch Kristina Diffring, Referentin des Landrats beim Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis. Starke Depressionen bei Eltern wie bei Kindern und fehlende therapeutische Angebote seien ebenfalls eine Quelle für Belastungslagen in der Erziehung.

Jugendämter alleine decken den Bedarf nicht

Diese Unterstützung bei der Jugend- und Familienhilfe können die Jugendämter gut gebrauchen. Das zeigen auch die Zahlen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Nach Angaben des Landratsamts steigt die Zahl der vom Jugendamt betreuten Minderjährigen und jungen Erwachsenen stetig an. Waren es im dritten Quartal 2023 noch 1427 betreute Menschen, liegt die aktuellste Zahl vom vierten Quartal 2024 bei 1710.

Kleinere Träger wie Priokid werden als Dienstleister von Jugendämtern mit der Betreuung von Jugendlichen und Familien beauftragt. Deswegen geht der Weg der Familien zu Priokid auch in der Regel über das Jugendamt, sagt Jacqueline Wibiral. Oft werden sie aber auch von Jugendlichen direkt mit Fragen über Soziale Medien wie Instagram kontaktiert. Laut Jens Pothmann vom DJI sind kleine Träger wie PrioKid deswegen so wichtig, weil Hilfen zur Erziehung im Einzelfall in dieser Form überwiegend von solchen freien Trägern gestemmt werden.

„Eine vielfältige Trägerlandschaft ist im Hinblick auf die komplexen und individuellen Herausforderungen, denen Familien in ihrem Alltag begegnen, von enormer Bedeutung“, sagt auch Kristina Diffring vom Landratsamt.

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„Eine Hilfe, wie sie von Priokid in Donaueschingen geleistet wird, ermöglicht eine vollumfängliche Unterstützung der Familien, um an den vielschichtigen Problemlagen arbeiten zu können und den Familien zeitgleich einen selbstbestimmten Alltag im geschützten Rahmen zu ermöglichen.“ Und das ganz vorurteilsfrei, damit die zweite Chance für Eltern wie für Kinder zum Erfolg wird.