Früher bestand eine Schule aus Lehrern, dem Sekretariat und dem Hausmeister. Doch diese Zeiten sind vorbei. Immer mehr Aufgaben soll die Bildungseinrichtung, in der die Kinder fast den ganzen Tag verbringen, übernehmen. Aufgaben, die die Lehrer meist nicht mehr leisten können, wenn sie auch die Lerninhalte vermitteln wollen.
„Auf Schulen kommen ganz viele Anforderungen, Herausforderungen und Ansprüche zu“, sagt Klaus Ideler, Diplom-Sozialpädagoge bei Switch – Gesellschaft für lösungsorientierte Pädagogik, Entwicklung und Beratung. Schule muss heute mehr leisten können, als nur Unterricht. An der Lucian-Reich-Schule hat man das erkannt, lange bevor die Einrichtung zur Gemeinschaftsschule wurde. „Die Kinder verändern sich. Das normale Angebot reicht heute bei Weitem nicht mehr“, sagt Schulleiter Franz Dury. Deshalb wurde früh die Schulsozialarbeit forciert, und als der Bedarf der Eltern nach einer ganztägigen Betreuung erkannt wurde, die Ganztagsschule eingeführt. „Wir haben uns damals entschieden, das nicht mit ehrenamtlichen Helfern, sondern mit Fachpersonal des Kinder- und Familienzentrums in Villingen-Schwenningen zu machen“, sagt Dury.
Und genau dieser Ansatz wird mittlerweile in vielen Bereichen verfolgt: Denn es gibt viele Dinge, die die Schule sonst nicht leisten oder abdecken könnte. Kein Kind gleicht dem anderen. Jedes hat einen unterschiedlichen Entwicklungsstand, unterschiedliche Leistungsfähigkeit und andere persönliche Voraussetzungen. Und das gilt nicht nur für den Stoff, der den Schülern vermittelt werden muss, sondern auch für emotionale und soziale Fähigkeiten.
Doch Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktlösung und Regelverständnis stehen nun einmal nicht im offiziellen Stundenplan. Doch sind sie nicht weniger wichtig? Genau deshalb sieht sich die Lucian-Reich-Schule nicht nur als Lernort, sondern auch als Lebensort, wo solche Punkte auf die unterschiedlichste Weise an den Nachwuchs vermittelt werden.
Und genau deshalb arbeitet an der Lucian-Reich-Schule Fachpersonal aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen. Denn das Ganze funktioniert umso besser, wenn die Systeme nicht nebeneinader her arbeiten, sondern ineinandergreifen. Schulsozialarbeit, Schulbegleiter, Heilpädagogen und auch das Jugendamt bringen ihre Stärken und ihr Wissen ein. Kein Bereich steht für sich, sondern die Aufgaben sind verschränkt.
Auch soziales Lernen ist Lernen, auch wenn es bislang kein Extra-Fach dafür gibt. Doch es gibt die entsprechenden Möglichkeiten: Ganztagsangebot, Arbeit am Tonfeld, soziale Gruppenarbeit, Projekt Luci5 und nicht zu vergessen die Schulsozialarbeit – all dies sind Angebote und Lerninhalte am „Lebensort Lucian-Reich-Schule“, an dem die Kinder und Jugendlichen doch einen erheblichen Teil ihrer Lebenszeit verbringen. Die Schule hat sich Kooperationspartner aus der Jugendhilfe ins Boot geholt und sich damit auch auf die „Lernwelten“ neben dem klassischen Lernstoff eingestellt.
Soziale Fertigkeiten erproben, Konflikte bewältigen, Mut haben und Mut machen, Freundschaft und Konkurrenz erleben und bewältigen, psychische Widerstandskraft entwickeln. Anders sein dürfen, seinen Platz in der Gruppe finden, Regeln schätzen und einhalten können, sich selber und andere wahrnehmen können und die eigenen Impulse gut zu steuern – an der Lucian-Reich-Schule gibt es auch dafür Lerngelegenheiten.
„Wir haben hier eine Schwerpunktschule im Kreis“, sagt Silke Zube vom Kreisjugendamt. Schwerpunkt ist aber nicht zu verwechseln mit Brennpunkt. An der Lucian-Reich-Schule sind einfach die Voraussetzungen gut: ein großes Einzugsgebiet mit vielen Schülern, eine entsprechende Infrastruktur und auch die Unterstützung sei vorhanden. Dabei soll das Mitwirken des Jugendamtes für die Eltern kein Schreckensgespenst sein, sondern sie sollen es als Hilfestellung begreifen. „Wir sind hier keine Eingriffsbehörde, sondern unterstützen und wollen die Lebensbedingungen für die Familien erleichtern“, sagt Zube. Das Stichwort ist Prävention. „Es geht nicht nur um einzelne Familien, sondern um das System, dass die Familien uns erst gar nicht brauchen.“
Doch das alles gibt es auch nicht umsonst: Die Stadt Hüfingen kommt für die Kosten für die Schulsozialarbeit und das Ganztagsangebot auf. Und auch der Landkreis zeigt über das Kreisjugendamt großes Interesse und Engagement, einen entscheidenden Beitrag zu einer hohen Qualität der sozialpädagogischen Entwicklungsaufgaben in der Lucian-Reich-Schule beizutragen. Er trage so entscheidend inhaltlich und finanziell zum Gelingen der gemeinsamen Praxis der Erziehung und Bildung bei.
Und wie sieht das Ganze nun konkret aus? Es gibt Angebote für Kleingruppen. Es gibt Unterstützung für die Lehrkräfte bei Angeboten für die Klassen. Und es gibt die Weiterentwicklung der sozialen Lerninhalte. In Einzelfällen finden gemeinsame Beratungsprozesse statt, um schnell zu Lösungsschritten zu kommen, und bei Bedarf unterstützen die
sozialpädagogischen Fachkräfte hier auch direkt im und parallel zum Unterricht. Wünschen sich Eltern eine konkrete und intensivere über das Jugendamt finanzierte Unterstützung, so kann auch zu den dortigen Fachleuten ein Kontakt hergestellt werden. Es geschieht jedoch nicht gegen den Willen der Eltern.
Beispielsweise gibt es einmal pro Woche ein Angebot, das sich komplett auf die soziale Entwicklung der Kinder konzentriert. Wie meistere ich Konflikte? Wie funktioniert Teamarbeit? Wie gestalte ich mein Verhältnis zu anderen? Solche Fragen werden durch Erlebnispädagogik spielerisch und in Gesprächsrunden beantwortet.
Ein anderes Angebot ist Luci5, das es seit einigen Monaten gibt und sich speziell an die Fünftklässler richtet. Heike Leichenauer ist 20 Wochenstunden für das Projekt im Einsatz und begleitet die neuen Gemeinschaftschüler an den Vormittagen und an einem Nachmittag im Unterricht und auch in den Pausen. „Ich reagiere bei Bedarf, es kommt auf die Schüler und die Situation an“, erklärt Leichenauer. So hilft sie, wenn sie merkt „dass sich etwas aufbaut“ oder es werden Themen wie WhatsApp angesprochen. Denn schließlich ist es für die Schüler auch eine neue Situation an der weiterführenden Schule und völlig neue Fragen tauchen auf. „Das alles erfolgt natürlich in Kooperation mit den Lehrern.“