Am Überlinger Strandweg wollte eine 89-Jährige mit Freunden baden gehen. Doch anstatt ihr Auto auf dem Parkplatz abzustellen, verwechselte sie laut der Polizei mutmaßlich Gas und Bremse und landete mit ihrem VW Golf im See. Ihr Fahrzeug konnte sie dank des Einsatzes ihrer Bekannten unverletzt verlassen.
Doch durch die Pedalverwechslung beschleunigte sie so sehr, dass sie über die Böschung schanzte und über das Ufergeröll 15 Meter ins Wasser fuhr. Einen vergleichbaren Fall gab es Anfang des Jahres. Damals krachte eine 78-Jährige mit ihrem Auto aus demselben Grund ins Schaufenster eines orthopädischen Geschäfts in Überlingen. Wie aber kann es zu diesem Versehen überhaupt kommen?

Im Alter nimmt die Störanfälligkeit zu
Laut Andreas Kruse, emeritierter Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg sowie ehemaliger Professor für Psychologie, ist die Informationsverarbeitung alter Menschen unter Stresseinwirkungen störanfälliger. „Bei älteren Fahrern nimmt die Präzision der Erregungsübertragung ab und deren Störanfälligkeit zu“, beschreibt der Psychologe.

In nicht ausreichend vertrauten Situationen könnten Störreize eintreten, die ältere Menschen nicht mehr so gut verarbeiten können wie jüngere. Kruse führt aus: „Die Aktivierung spezifischer Reaktionen geht mit der Unterdrückung alternativer Reaktionen einher.“ Diese Inhibition genannte Unterdrückung sei ein bedeutender Mechanismus des Gehirns. Die Inhibitionskapazität gehe im hohen Alter zurück, was die Verwechslung von Gas- und Bremspedal erklären könnte.
Dies gelte „vor allem im Zustand von Stress, in dem die Aktivierung und Inhibition nicht mehr so sicher ist, weil die Verarbeitungsressourcen auch auf andere situative Aspekte gerichtet sind.“ Die Wahrnehmung richtet sich also auch auf andere Elemente einer bestimmten Situation. Beispielsweise Einparken erfordere zahlreiche koordinative Fertigkeiten, die nicht mehr mit jener Sicherheit ausgeführt werden können, die früher bestand, erläutert der Wissenschaftler. Davon abgesehen stelle Medikamenteneinwirkung einen weiteren möglichen Einflussfaktor dar, so der Altersforscher.
Was kann man tun?
„Es ist sicherlich ratsam, wenn alte Menschen in definierten Abständen eine Kontrolle ihrer kognitiven, motorischen und sensorischen Funktionen vornehmen lassen und zugleich eine fachlich begleitete, etwa einstündige Fahrt unternehmen“, schätzt Kruse ein. Damit könnten zahlreiche kognitive, physische und emotionale Risikofaktoren identifiziert werden, deren Kontrolle durch eigenes Verhalten einen bedeutenden Inhalt des Beratungsgesprächs bilden müsse.
Hier ist für Kruse kritische Selbstreflexion über die eigenen Handlungsmöglichkeiten und –grenzen geboten. „Angehörige können diese Selbstreflexion unterstützen, wenn sie behutsam und ohne Abwertung des Gegenübers die Frage anstoßen, inwieweit sich die ältere Person im Straßenverkehr sicher fühlt.“ Zudem könne das Aufzeigen von Mobilitätsalternativen wie ÖPNV oder Zug hilfreich wirken.