Sein erstes Auto hatte noch ein Ersatzreifen am Heck. Mit diesem Mercedes-Benz 170 VA rollte Adalbert Kühnle als junger Mann über die Straßen seines Heimatortes Kuppingen oder machte Ausflüge nach Paris. Später war er als Ingenieur viel auf Geschäftsreisen unterwegs, Fotos von seinen Mietautos hat er bis heute aufgehoben: In den USA steuerte er Ende der 1960er-Jahre einen Ford Fairlane über die kalifornischen Highways.

Bild 1: Darum geht dieser 87-Jährige freiwillig zum Fahrtest
Bild: Adalbert Kühnle

Als Repräsentant von Dornier fuhr Kühnle später einen Fiat Regata über die Autostrade Italiens. Das Fahrzeug mit den vier Rädern hatte für ihn immer eine wichtige Rolle – denn: „Autofahren hat mir schon immer Spaß gemacht.“

Seine Fahrtauglichkeit veränderte sich schleichend

Seit mehr als 40 Jahren wohnt Kühnle bereits in Friedrichshafen. Bis heute sitzt der 87-Jährige etwa ein Mal am Tag am Steuer. Dann geht es zum Bäcker, zum Supermarkt oder in die alte Heimat ins Schwabenland. Trotz seines hohen Alters denkt er nicht daran, den Führerschein abzugeben. Aufgrund des begrenzten ÖPNV-Angebots an seinem Wohnort sei er auf ein Auto angewiesen. Ohnehin fühle er sich sicher beim Fahren: Vor einigen Jahren habe er beim Tüv Süd in Ravensburg einen Fahrsicherheitstest gemacht, der ihm die Fahrtauglichkeit bescheinigte. Andere Senioren will er dazu ermutigen, es ihm gleichzutun.

Das Problem dabei ist, sagt Adalbert Kühnle: „Kaum jemand in meiner Altersgruppe will sich ehrlich eingestehen, dass die Fahrtauglichkeit mit der Zeit nachlässt, aber sie verändert sich schleichend!“ Bei ihm sei es damals der Graue Star gewesen. Seine Sicht verschlechterte sich, obwohl er das selber kaum bemerkte. „Mein Arzt hat mich dann darauf aufmerksam gemacht und ich habe eine Operation gemacht. Danach konnte ich wieder besser sehen.“ Dass ältere Menschen ihre Fahrtauglichkeit richtig einschätzen oder sich eigenständig prüfen lassen, glaubt er kaum. „Auf freiwilliger Basis funktioniert das nicht.“

Adalbert Kühnle mit seinem ersten Führerschein, ausgestellt im Jahr 1954 für eine Gebühr von sechs D-Mark.
Adalbert Kühnle mit seinem ersten Führerschein, ausgestellt im Jahr 1954 für eine Gebühr von sechs D-Mark. | Bild: Cian Hartung

EU-Kommission macht Gesetzesvorschlag

Eine verpflichtende Überprüfung für Senioren ab 70 Jahren gibt es bereits in einigen EU-Ländern wie Finnland oder Schweden. Die EU-Kommission hat zuletzt auch ein ähnliches Gesetz vorgeschlagen: Alle ab diesem Alter sollen regelmäßig ihre Fahrtauglichkeit regelmäßig überprüfen lassen. Ab diesem Zeitpunkt soll der Führerschein nur noch für fünf weitere Jahre ausgestellt werden, sofern die Prüflinge des Test bestehen. Alle weiteren fünf Jahre soll die Fahrtauglichkeit wieder überprüft werden. Die Mitgliedsländer sollen hierüber weiterhin selbst entscheiden können.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich bereits mehrfach dagegen ausgesprochen. Mehrere Umfragen haben dazu bislang kein eindeutiges Stimmungsbild in der Bevölkerung gegeben.

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Eine ganze Generation unter Generalverdacht?

Die Seniorenplattform Bodensee hat sich im Zuge dieser Debatte kürzlich auch zu Wort gemeldet. Der Verbund von Organisationen im Dreiländereck spricht sich in einer Pressemitteilung für verpflichtende medizinische Selbsteinschätzungen und Unfallprävention bei älteren Autofahrern aus. Das Ergebnis bliebe dann aber ohne Konsequenzen. „Jeder Autofahrer sollte nach einer Selbsteinschätzung aber selber die Schlüsse daraus ziehen und entscheiden können, ob er dann noch fährt“, sagt Lothar Riebsamen, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Präsident des Verbunds, auf Rückfrage des SÜDKURIER. „Wir wollen die Verantwortung bei den Menschen lassen.“

Lothar Riebsamen, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und mittlerweile Präsident der Seniorenplattform Bodensee.
Lothar Riebsamen, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und mittlerweile Präsident der Seniorenplattform Bodensee. | Bild: CDU

Volker Mayer-Lay (CDU), Bundestagsabgeordneter des Bodenseekreises und Riebsamens Nachfolger, stimmt dem Seniorenverbund zu, äußert sich aber noch kritischer. In einer Pressemitteilung sagt er zu dem EU-Vorhaben: „Die Kommission entmündigt und diskriminiert mit ihrem Ansinnen eine ganze Bevölkerungsgruppe und entzieht dieser die Möglichkeit der altersgerechten Teilhabe an der Gesellschaft.“ Es sei ein „Unding“, eine ganze Generation unter Generalverdacht zu stellen, so der Überlinger.

Volker Mayer-Lay, Bundestagsabgeordneter des Bodenseekreises.
Volker Mayer-Lay, Bundestagsabgeordneter des Bodenseekreises. | Bild: Mayer-Lay

Bald wird es für den Senior wieder ernst

Eine Generation unter Generalverdacht – dieser Gedanke gefällt auch Adalbert Kühnle nicht. Obwohl er selbstkritisch ist und sich zu Autofahrern seiner Altersgruppe kritisch äußert, fände er eine Testpflicht ausschließlich für Senioren diskriminierend. „Wenn, dann sollten alle Bevölkerungsgruppen regelmäßig einen Test machen“, sagt er. Wie das ohne erheblichen Aufwand der jeweiligen Behörden gehen soll, dafür hat er jedoch keine Lösung.

Kühnle schaut lieber, dass er weiterhin eigenverantwortlich und sicher im Auto unterwegs ist – und will andere ebenfalls dazu aufrufen. Demnächst will er daher wieder nach Ravensburg zum Tüv und sich dort wieder prüfen lassen. Dort wartet auf ihn ein Test zu den Verkehrsregeln, ein Gespräch mit einem Psychologen, ein Reaktionstest und eine ärztliche Untersuchung.