Martin Himmelheber

Wegen der Messerattacke auf den damaligen Schramberger Kämmerer Rudi Huber hat das Landgericht Rottweil einen damals 26-jährigen Schramberger auf Dauer in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Das entspricht im Wesentlichen der Forderung des Verteidigers.

Auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie

Nach Ansicht des Gerichts hatte der Angeklagte am 20. März im Zustand der Schuldunfähigkeit auf den Kämmerer im Schramberger Rathaus eingestochen. Er hatte angegeben, Stimmen hätten ihn vor der Tat dazu gedrängt. Das bedeutete: Freispruch. Aber auch: dauerhafte Einweisung in eine Psychiatrie. Und dies auf unbestimmte Zeit. Das sei eine der schwersten Sanktionen, die ein Gericht aussprechen könne, denn der Betroffene bleibe so lange in einer Psychiatrie, bis er erwiesenermaßen für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich sei.

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„Bei einer Verurteilung gibt es ein Ende, bei einer Unterbringung nicht“, so der Richter in seiner Begründung. Die Tat beruhe auf der schweren Geisteskrankheit des Angeklagten und ähnliche Taten seien wieder zu erwarten.

Staatsanwaltschaft fordert neun Jahre Haft

Die Staatsanwaltschaft hatte am vergangenen Freitag auf versuchten Mord plädiert und wegen verminderter Schuldfähigkeit eine Strafe von neun Jahren gefordert. Außerdem sollte der Angeklagte auch nach deren Ansicht in eine Psychiatrie eingewiesen werden.

Rechtsanwalt Wolfgang Burkhardt war in seinem Plädoyer am Donnerstagmorgen von vollkommener Schuldunfähigkeit ausgegangen. Er hatte deshalb auf Freispruch und Einweisung in eine Psychiatrie plädiert. Burkhardt hatte aufgrund der Tatumstände den Vorwurf des versuchten Mordes, aber auch des versuchten Totschlags zurückgewiesen. In seinem Schlusswort hatte der Angeklagte nur erklärt, er schließe sich den Ausführungen seines Verteidigers an.

Richter und Schöffen nehmen sich viel Zeit für das Urteil

Das Gericht, mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt, hatte sich viel Zeit für die Urteilsfindung genommen. Der zunächst angepeilte Verkündungstermin 11 Uhr wurde um eine weitere halbe Stunde hinausgeschoben. Man habe sich das Urteil nicht leicht gemacht und den Sachverhalt mit äußerster Sorgfalt geprüft, so Richter Bernd Koch. In seiner Urteilsbegründung wandte er sich immer auch an das damalige Opfer und dessen Familie, die gemeinsam mit dem früheren Schramberger Oberbürgermeister Thomas Herzog den gesamten Prozess als Zuschauer verfolgt hatten.

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Koch meinte, angesichts der Tragweite der Tat müsse er den Freispruch ausführlich begründen. Einerseits habe es mit einer Person zu tun, die schwer geisteskrank sei. Andererseits leide der Geschädigte bis heute unter den Folgen. „Er wurde ein völlig zufälliges Opfer einer Straftat einer schwer kranken Person.“

Alkohol und Cannabis spielen eine Rolle

Der Richter schilderte den Lebensweg des Angeklagten. Bis zum 18. Lebensjahr sei er geordnet in Schramberg aufgewachsen. Dann habe es einen Bruch in der Biografie gegeben, ein erster Joint. Schuleschwänzen. Den Eltern habe er seine Probleme verheimlicht. Später habe er immer wieder kurze Zeit Jobs angenommen, aber wieder aufgegeben.

Anzeichen von Schizophrenie

2016 sei er erstmals in einer Psychiatrie aufgenommen worden. Dort sei er sehr aggressiv gewesen. Bei einer zweiten Einweisung habe man die Diagnose Psychische Störung und Anzeichen einer Schizophrenie gestellt. Der Angeklagte sei immer weiter abgesackt. Alkohol und Cannabis seien hinzugekommen. Die Eltern hätten davon wenig mitbekommen, weil er selbst nicht darüber berichtete, und die Ärzte den Eltern keine Auskunft geben durften.

Der Angriff auf den Schramberger Kämmerer am 20. März hatte einen Großeinsatz der Polizei und des Rettungsdienstes ausgelöst.
Der Angriff auf den Schramberger Kämmerer am 20. März hatte einen Großeinsatz der Polizei und des Rettungsdienstes ausgelöst. | Bild: Martin Himmelheber

2018 sei es „dramatisch schlechter“ geworden. Der Angeklagte habe Wahnvorstellungen entwickelt, der Zweite Weltkrieg dauere noch an, die Klinik ermorde Patienten und die Regierung betreibe Konzentrationslager. Er begann Stimmen zu hören und zu halluzinieren. Aber: „Die Krankheit wurde verkannt.“

So ist es zu der Tat gekommen

Zur Tat sei es gekommen, weil er sich finanziell in einer schlechten Lage befand. Dafür habe er die „kriminellen und bösen Behörden“ verantwortlich gemacht. Eine Stimme habe ihm gesagt, er müsse „jemanden abstechen“ und das solle wie ein Anschlag aussehen.

Er sei deshalb mit einem Butterflymesser und einem täuschend echt aussehenden Pistolenfeuerzeug ins Rathaus gegangen, habe dort eine Sprudelflasche genommen, leer getrunken und gegen eine Fahrstuhltür im Rathausfoyer geworfen. Der laute Knall hatte Kämmerer Huber herbei eilen lassen. Huber hatte im Vorzimmer des OB auf ein Gespräch mit OB Herzog gewartet.

Huber habe ihn gefragt, ob er ihm helfen könne. Der Angeklagte habe gesagt: „Besser Sie rufen gleich die Polizei„, und im selben Moment auf Huber einmal eingestochen. Huber habe nur überlebt, „weil von der ersten Minute an alle bis zur Notoperation das genau richtige getan haben“, lobte Koch alle Beteiligten.

Kurze Zeit später wird er im Park festgenommen

Der Angeklagte habe sich nach dem Stich umgedreht und ruhigen Schritts das Rathaus verlassen. Bereits kurze Zeit später hatten zwei Polizisten ihn im Park der Zeiten gefunden und vorläufig festgenommen.

In seiner juristischen Bewertung kam die Kammer zum Schluss, dass der Angeklagte wegen seiner psychischen Erkrankung wohl keine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vor und bei der Tat besessen habe. Auch ein dreiviertel Jahr nach der Tat und trotz Behandlung im Justizkrankenhaus sei er immer noch im selben Zustand.

Die Frage, ob der 26-jährige nur simuliere, habe der psychiatrische Gutachter verneint. Im Gegenteil, er leugne seine schwere Erkrankung und tue so, als ob er gesünder sei, als er tatsächlich ist. „Er hat schwerere Symptome verschwiegen. Richter Koch betonte, die Tat sei „normalpsychologisch nicht zu erklären“.

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Die Kammer spreche den Angeklagten frei, weil er schuldunfähig sei. Das sei aber nur ein halber Freispruch, denn „die Unterbringung wird angeordnet“. Diese Unterbringung gilt so lange, bis der 26-Jährige nicht mehr gefährlich ist. Über die Gefährlichkeit muss jeweils ein Gericht entscheiden.

Ungünstige medizinische, soziale und juristische Prognosen

Da die Prognose sowohl medizinisch, sozial und juristisch ungünstig ist, dürfte es sehr lange dauern, bevor der 26-Jährige aus der Psychiatrie entlassen wird. Er habe eine schwere Straftat begangen, so das Gericht und es sei „jederzeit wieder mit einer solchen Tat zu rechnen. Es wird lange, sehr lange gehen, bis er nicht mehr gefährlich ist“, betonte Koch.

Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, er könne in Revision gehen, erläuterte Koch dem 26-Jährigen und fragte ihn: „Können Sie mir folgen?“ Statt einer Antwort griff er nach seiner Flasche mit Wasser und trank einen Schluck. Begleitet von zwei Bewachern und einer Pflegerin verließ er, an den Füßen gefesselt, den Gerichtssaal.