Alex sei ein richtiges Macho-Arschloch gewesen, erzählt Christin Löhner. Alex, so hieß Löhner, als sie noch im Körper eines Mannes steckte. Im falschen Körper. „Es ist, wie wenn man ein unglaublich hässliches Clown-Kostüm anhat“, erklärt die 47-Jährige.
Christin Löhner sitzt mit ihrer Frau Michelle in einem Raum der Aids-Hilfe Schwarzwald-Baar-Heuberg beim Güterbahnhof in Villingen. Es ist ein Samstagabend Ende April. In einer Stunde soll die erste Sitzung der Trans* Selbsthilfegruppe Hegau in Villingen starten. Löhner hat die Gruppe im September 2016 gegründet. An jedem zweiten Freitag im Monat finden in Radolfzell die Selbsthilfetreffen statt. Neu gibt es sie nun auch an jedem vierten Samstag in Villingen.
„Da viele aus dem südlichen Schwarzwald zu uns nach Radolfzell kommen, haben wir diese Außenstelle gemeinsam mit der Aids-Hilfe gegründet“, erklärt Löhner. Die Web-Entwicklerin ist auch ehrenamtlich als Beraterin für die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität tätig. Derzeit begleite sie deutschlandweit über 100 transsexuelle Menschen auf ihrem Weg, so Löhner.
Dieser Weg, der das Offenlegen der Transsexualität sowie die operative Angleichung des Körpers an die eigene Geschlechtsidentität umfasst, sei oft mit viel Leid verbunden. „Ich selbst habe über 40 Jahre dafür gebraucht“, sagt Löhner. Sie sei etwa sieben Jahre alt gewesen, als sie das erste Mal realisierte, dass ihr Körper nicht zu ihr passte. „Ich habe mich auch anders verhalten als die anderen Jungs und wurde dementsprechend gemobbt.“ Als Folge sei sie immer introvertierter geworden.
„Ich war ein richtiges Macho-Arschloch“
„Meine Eltern schickten mich zu unzähligen Psychologen, aber ich konnte ja nicht mal selbst artikulieren, was mit mir los war.“ Löhner wurde depressiv, saß irgendwann, mit 14, auf ihrem Bett, ein Teppichmesser in der Hand: „Ich wollte mir das Ding zwischen den Beinen abschneiden.“ Soweit kam es nicht. Stattdessen resignierte Löhner und sagte sich: „Niemand kann dir helfen: Leb damit!“
Löhner fing an, den eigenen Körper exzessiv zu trainieren, betrieb Leichtathletik, wurde Ende der 1980er Jahre gar zweiter Deutscher Meister im Hochsprung und ging irgendwann zum Bodybuilding über. „Ich habe verzweifelt versucht, den Kerl rauszuhängen. Auch im Verhalten: Ich war ein richtiges Macho-Arschloch“, erzählt Löhner. Ein solches Verhalten sei für viele Transsexuelle typisch. Das Ziel: Ja nicht auffallen.
Doch egal wie viel Mühe sich Löhner auch gab: Wohl fühlte sie sich in ihrem männlichen Körper nie, stand ständig unter psychischem Druck. „Erst 2007 stieß ich dann im Internet auf die richtigen Begriffe, erfuhr, was Transidentität ist und dass ich selbst transsexuell bin“, so Löhner. Bis sie jedoch offen dazu stehen konnte, dauerte es noch einige Jahre. Löhner heiratete und zeugte ein Kind. „Ich habe weiter versucht, die Maske aufrechtzuerhalten – bis es irgendwann rausgeklatscht ist“, erzählt die 47-Jährige.
2015 hat sich Löhner schließlich als Transfrau geoutet und konnte sich auf den Weg zum eigenen Körper machen, der über eine Hormonbehandlung zur geschlechtsangleichenden Operation Anfang 2018 führte. Auf ihrem Weg lernte sie auch ihre Frau Michelle kennen, die ebenfalls transsexuell ist. Die beiden Frauen haben im Oktober vergangenen Jahres in Stockach geheiratet, als erstes gleichgeschlechtliches, transexuelles Paar in Baden-Württemberg.
Ihre Erfahrungen gibt Löhner nun weiter, in ihren Beratungsgesprächen sowie bei den Treffen der Trans* Selbsthilfegruppe Hegau, der derzeit laut Löhner über 60 Transfrauen und Transmänner angehören. An der ersten Sitzung des Villinger Ablegers nehmen an diesem Samstagabend Ende April acht Personen teil. Es sind ausschließlich Transfrauen gekommen sowie ein Mitarbeiter der Aids-Hilfe und die Freundin einer Transfrau. „Bevor die Treffen beginnen, biete ich Einzelgespräche an. Danach unterhalten wir uns in der Gruppe“, so Löhner.
Dafür überlege sie sich jeweils ein Thema, zu dem Erfahrungen ausgetauscht werden. An diesem Abend ist es „Mobbing und Akzeptanz in der Gesellschaft“. Die Teilnehmerinnen diskutieren angeregt: Darüber wie es ist, am Telefon „misgegendert“, also als Mann angesprochen zu werden oder auf der Frauentoilette gesagt zu bekommen: „Sie gehören nicht hierher“. Doch schnell werden die negativen Erlebnisberichte durch viele positive Geschichten ergänzt. Die Teilnehmerinnen erzählen von der großen Akzeptanz, die sie von Eltern, Partnerinnen und Kindern sowie von Arbeitgebern und -kollegen erfahren haben.
Auffallend ist, dass die Transfrauen vor allem im ländlichen Raum, wo sie leben, bisher zumeist positive Erfahrungen gesammelt haben. Das bestätigt auch Christin Löhner: „Von Gewalt gegenüber Transsexuellen hört man eigentlich nur aus Großstädten. Ich vermute, dass das mit der dortigen Anonymität zu tun hat.“ Auf dem Land hingegen, wo jeder jeden kennt, könne man sich nicht ausweichen. „Die Leute sind gezwungen, dich als Mensch kennenzulernen“, bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt.
Infos und Hilfe
Christin Löhner ist im Internet auf verschiedenen Kanälen aktiv, um über Transsexualität aufzuklären und transsexuellen Menschen Hilfe und Informationen zu bieten. So zeichnet sie auf ihrem Blog www.transmensch.de ihren eigenen Weg zur Frau nach und zeigt auf, welche rechtlichen und medizinischen Hürden es dabei zu meistern gilt. Auf www.shg-hegau.de informiert sie über die Aktivitäten der Trans* Selbsthilfegruppe Hegau. (maj)