Die Hochschule Furtwangen (HFU) hat am Donnerstagabend mit einem großen Festakt den zehnten Geburtstag ihres Tuttlinger Campus gefeiert. Etwa 400 hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kamen in die Tuttlinger Stadthalle, um die Erfolgsgeschichte des angesehenen Hochschulstandorts in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg zu feiern, darunter auch EU-Kommissar Günther Oettinger und Landesjustizminister Guido Wolf.
Eine neue Kaderschmiede für Ingenieure, geboren in der Wirtschaftskrise
Für Oettinger war es bekanntes Terrain, er war bereits vor zehn Jahren als Ministerpräsident bei der Gründung des Campus dabei. Der ehemalige MP von Baden-Württemberg erinnerte daran, dass die Entwicklung, mitten in der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 einen neuen Hochschulstandort in Tuttlingen anzusiedeln, durchaus holprig und mit Schwierigkeiten behaftet war. Dennoch, so der CDU-Politiker, sei der Schritt richtig und mutig gewesen.
In zehn Jahren haben sich die Studierendenzahlen versechsfacht
Oberbürgermeister Michael Beck und Landrat Stefan Bär hoben vor allem die Anstrengungen hervor, die das Ansiedeln eines Campus mit sich bringt. Stadt und Landkreis Tuttlingen hatten die Rolle der Bauherren für das Hauptgebäude in der Kronenstraße übernommen. Nach einem Entwurf des Büros „Günter Hermann Architekten“ wurde das frühere Fabrikareal von Henke-Sass, Wolf aus dem Jahr 1897 für rund 10,5 Millionen Euro zum Hauptgebäude des Hochschulcampus umgebaut.

Fünf Studiengänge mit 650 Studierenden
Die Kosten wurden zu zwei Dritteln durch die Stadt und zu einem Drittel vom Landkreis getragen. „Der Campus ist eines unserer liebsten Kinder. Wir haben mit 105 Studierenden in drei Studiengängen angefangen, mittlerweile sind es 650“, so der OB. Gemeinsam mit über 100 regionalen Unternehmen bildet die HFU hier Fachkräfte in den Studiengängen Ingenieurpsychologie, Medizintechnik, Mechatronik und Digitale Produktion sowie Werkstoff- und Fertigungstechnik aus.

„Die Rechnung ist aufgegangen!“
Fachkräfte vor Ort ausbilden und damit auch langfristig an die Region binden – diese Rechnung sei aufgegangen, erklärte Landrat Stefan Bär. „Ein Studium muss nicht zwangsläufig in der Großstadt stattfinden. Wir haben hier eine schmucke Ingenieursschmiede.“
Auch Justizminister Guido Wolf, von 2003 bis 2011 der Vorgänger von Bär als Landrat und mit der Hochschule bis heute eng verbunden, hob die Qualität der Hochschule hervor. „Wir wollten zeigen, dass nicht nur private, sondern auch öffentliche Hochschulen Maßstäbe setzen können“, so Wolf. Bei der Gründung habe es viel Skepsis gegeben, aus Teilen der Hochschullandschaft gar Häme. „Die Hochschullandschaft ist ein Haifischbecken! Jeder will einen Teil vom ohnehin zu kleinen Kuchen haben. Dementsprechend wenig Begeisterung herrschte bei den anderen Hochschulen.“
EU-Kommissar Oettinger: „Unsere Werteordnung ist unter Druck.“
Nachdenklich geriet auch die Ansprache von EU-Kommissar Günther Oettinger. Der CDU-Politiker hob hervor, dass die regionale Wirtschaft Fachleute brauche und diese auch in der Region halten müsse, um weiterhin an der Weltspitze zu bleiben. Oettinger unterstrich, dass die Region mit Technologiezentren wie dem Silicon Valley oder China auf Augenhöhe konkurriere. „Unsere Werteordnung ist unter Druck. Wir haben Autokraten in Ankara und Moskau, Tweets aus dem Weißen Haus und China, das in den nächsten 30 Jahren ökonomisch, technologisch und militärisch Weltspitze sein möchte. Und Tuttlingen liegt im Sandwich zwischendrin.“ Die Politik müsse dringend einen Plan entwickeln, wo Deutschland 2049 bei Wirtschaft, Politik, Klima und Bildung stehen wolle.
„Wir gehen jetzt in die nächste Krise hinein!“
„Wir gehen jetzt in die nächste Krise hinein“, so Günther Oettinger. „Kurzarbeit ist bereits Realität, Stellen werden nicht nachbesetzt.“ Gerade deshalb brauche es jedoch gute Köpfe. Denn: „Wir müssen aufpassen, dass Europa nicht zum Freilichmuseum für den Rest der Welt wird. Ob wir erfolgreich vorne bleiben ist nicht garantiert, in der digitalen Welt liegen wir meilenweit zurück!“ Baden-Württemberg sei zwar immer noch die Region mit der weltweit höchsten Forschungsintensität. Nun gehe es jedoch darum, auch vorne zu bleiben. „Wir müssen dringend IT-Studiengänge schaffen, und das ist teuer“, so der EU-Kommissar zum Schluss der Ansprache. Dies sei gerade für die HFU ein großer Auftrag.
Know-how wird weiterhin gebraucht
Auch Vertreter der Industrie wie Aesculap-Chef Joachim Schulz stimmten Oettinger zu. Die Produkte würden längst in aller Welt hergestellt, so Schulz. Forschung und Entwicklung würden jedoch zunehmend wichtiger, weil die Produkte digitaler, komplexer und elektronischer werden. Software, so der Vorstandsvorsitzende der Aesculap AG, werde immer wichtiger. Und selbst in Zeiten von voranschreitender Digitalisierung und Automatisierung werde vor Ort das Know-how gebraucht.