Die Ankündigung kam überraschend, die Folgen sind noch nicht komplett absehbar: Der amerikanische Automobilzulieferkonzern Tenneco hat Mitte August 2025 den Ergänzungstarifvertrag (ETV) für sein Werk in Blumberg außerordentlich gekündigt. Damit sind die zentralen Zusagen zur Beschäftigungssicherung außer Kraft gesetzt.
Betriebsbedingte Kündigungen und Freistellungen
Bereits kurz danach folgten erste betriebsbedingte Kündigungen und Freistellungen von Arbeitskräften. Die IG Metall und der Betriebsrat sprechen von einem Tabubruch und haben rechtliche Schritte eingeleitet.
Der ETV war im Jahr 2022 abgeschlossen worden und sah vor, den Standort in Blumberg für vier Jahre zu sichern – inklusive Mindestbeschäftigung von 500 Personen und einer garantierten Ausbildungsquote.
Jeder arbeitete 30 Minuten täglich unbezahlt
Im Gegenzug leistete die Belegschaft ihren Beitrag: „Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hat freiwillig täglich eine halbe Stunde unbezahlt gearbeitet, um Investitionen und Beschäftigung zu sichern“, betont Udo Frank, Betriebsratsvorsitzender des Werks.
Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, schon begannen neue Sparmaßnahmen. Den versprochenen Investitionsschub hatte sich die Belegschaft anders vorgestellt und trotz Beschäftigungsgarantie wurden wiederholt und weiterhin Personalabbaupläne diskutiert.
Ein von der IG Metall unterstützter Versuch einer sozialverträglichen Lösung – etwa durch Rentenübergangsmodelle für ältere Beschäftigte –, scheiterte. „Der Arbeitgeber war nicht bereit, einen einzigen Cent in die Hand zu nehmen“, so Oliver Böhme von der IG Metall.
Keine Abkehr von Ventilproduktion
Auch der Versuch, ein alternatives Produkt zur reinen Ventilproduktion zu etablieren, fand keinen fruchtbaren Boden. „Wir haben sogar vorgeschlagen, ein unabhängiges Institut zu beauftragen, um Potenziale zu prüfen – aber man wollte nur eins: Ventile, sonst nichts“, ergänzt Frank.
Dabei hat das Werk eine beeindruckende Historie. Seit 1945 werden in Blumberg Ventile für nahezu alle namhaften Automobilhersteller gefertigt. Über 1,4 Milliarden Stück verließen bislang die Produktionshallen.

Und doch wackelt der Standort, denn die Transformation der Automobilindustrie trifft das Werk mit voller Wucht. Produziert werden ausschließlich Ventile für Verbrennungsmotoren – Elektrofahrzeuge haben keine Ventile. Die Strategie ist einfach: bis zum letzten Verbrenner.
Gewerkschaft sieht keinen Hagelschlag
Am 14. August 2025 dann der Paukenschlag: Der Ergänzungstarifvertrag wurde von der Arbeitgeberseite fristlos gekündigt – mit Berufung auf eine sogenannte Hagelschlagsklausel. Damit sind im Rechtsgebrauch Nachverhandlungen bei besonderen Ereignissen gemeint.
Diese greift nach Ansicht der Gewerkschaft aber nicht greift. „Die wirtschaftlichen Eckdaten haben sich gegenüber den Annahmen von 2022 kaum verändert“, erklärt Böhme. Zwei Schlichtungsverfahren – eines tariflich, eines betrieblich – blieben ohne Ergebnis. „Ein erfahrener Richter stand auf und sagte, er habe so etwas noch nie erlebt.“
Ereignisse überschlagen sich
Seitdem überschlagen sich die Ereignisse. Mehrere Kündigungsanhörungen wurden bislang an den Betriebsrat herangetragen, drei betriebsbedingte Kündigungen sind seitdem ausgesprochen, Mitarbeiter wurden trotz laufender Verträge freigestellt.
Behandelt wie Störenfriede
Die Stimmung ist angespannt. „Wir werden behandelt, als wären wir Störenfriede“, beschreibt Frank das Gefühl in der Belegschaft. Die Geschäftsführung zeigt sich derweil wortkarg. Ein Termin mit dieser Zeitung wurde wieder abgesagt. Die bis Freitagmittag, 5. September, angekündigte Stellungnahme der Tenneco-Pressestelle lag bis Redaktionsschluss nicht vor.
Für die IG Metall steht fest: Der Vertrag gilt weiterhin. Eine Feststellungsklage wurde beim Arbeitsgericht in Stuttgart eingereicht. Parallel klagen betroffene Beschäftigte gegen ihre Kündigungen.
„Der Arbeitgeber fährt hier bewusst bei Rot über die Ampel“, sagt Böhme. „Er weiß, dass er Unrecht hat, nimmt die Strafe aber in Kauf.“
Kapazitäten für viermal mehr Mitarbeiter
Die Zukunft des Standorts Blumberg hat damit wieder ein paar Fragezeichen mehr bekommen. Die Infrastruktur des Werks ist auf 1400 Beschäftigte ausgelegt – aktuell arbeiten dort noch 360 Menschen. Ein weiteres Schrumpfen erscheint wirtschaftlich kaum sinnvoll.
Die IG Metall fordert nun, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren – aber nur auf Augenhöhe. „Wir brauchen Verlässlichkeit. Wenn ein Tarifvertrag keine Sicherheit mehr gibt, dann verlieren wir als Gesellschaft ein Stück Vertragskultur“, warnt Böhme.