Im Herbst 1995 erschüttert ein Verbrechen die Kurstadt Bad Dürrheim: In ihrem Haus im Von-Langsdorff-Weg wird am 15. November die Leiche von Magda Rall gefunden. Die 78 Jahre alte Frau wurde durch mehrere Stichverletzungen getötet.

Besorgte Freundin alarmiert Nachbarn

Kurz zuvor hatte eine Freundin der Toten einen Nachbarn alarmiert, weil sie sich Sorgen um Magda Rall gemacht hatte: Die Arztwitwe, die kurz zuvor eine schwere Herz-OP überstanden hatte, war nicht wie vereinbart ans Telefon gegangen.

Kontrollanruf bleibt aus

Die Frauen hatten ausgemacht, sich jeden Morgen zur Kontrolle anzurufen. Als der Nachbar mit dem Ersatzschlüssel die Tür des schmucken Einfamilienhauses öffnet, ahnt er noch nicht, dass er in der Diele eine blutüberströmte Leiche finden wird.

„Dem Mörder die Tür geöffnet“ titelt der SÜDKURIER am 16. November 1995. Da die Polizei keine Einbruchsspuren fand, geht man davon aus, ...
„Dem Mörder die Tür geöffnet“ titelt der SÜDKURIER am 16. November 1995. Da die Polizei keine Einbruchsspuren fand, geht man davon aus, dass Magda Rall ihrem Mörder ahnunglos öffnete. | Bild: Nathalie Göbel

Für die Polizei beginnt an diesem trüben Novembertag ein wochenlang andauernder Großeinsatz im ansonsten so beschaulichen Bad Dürrheim. Eine 25-köpfige Sonderkommission wird eingerichtet. Allein in den ersten Wochen nach dem Verbrechen werden mehr als 200 Hinweise abgearbeitet, 2000 Flugblätter werden verteilt, sogar ein Phantombild wird erstellt.

Keine Einbruchspuren am Haus

Alles ohne Erfolg. Einbruchspuren am Haus der Witwe gibt es nicht. Die Polizei steht vor ungelösten Rätseln: Hat Magda Rall ihrem Mörder selbst die Tür geöffnet? Und wer hat die als lebensfroh und großzügig geltende Frau so brutal getötet?

Kriminalhauptkommissar Thomas Flaig arbeitet seit einem Jahr in der Abteilung Cold Case, die sich mit ungeklärten Kapitalverbrechen ...
Kriminalhauptkommissar Thomas Flaig arbeitet seit einem Jahr in der Abteilung Cold Case, die sich mit ungeklärten Kapitalverbrechen befasst. Seine Motivation? „Es kann nicht sein, dass so schwere Delikte nicht aufgeklärt werden.“ | Bild: Nathalie Göbel

Unter anderem an diesem Rätsel arbeiten die Beamten des Arbeitsbereichs Cold Case der Kriminalpolizeidirektion Rottweil. Vor knapp vier Jahren wurde beim Polizeipräsidium Konstanz und dort wiederum bei der Kriminalpolizeidirektion Rottweil eigens der Arbeitsbereich Cold Case eingerichtet.

Ein Kriminaltechniker und zwei Ermittler sind hier dauerhaft damit beschäftigt, ungelöste Tötungsdelikte und Vermisstenfälle mit Verdacht auf ein Tötungsdelikt – so genannte Cold Cases – auch nach teils langer Zeit aufzuklären. Einer von ihnen ist Kriminalhauptkommissar Thomas Flaig, zugleich Arbeitsbereichsverantwortlicher.

Das Leid der Angehörigen

Nach Angaben des Landeskriminalamts gab es im Jahr 2023 in Baden-Württemberg rund 500 ungeklärte Tötungsdelikte. Hinter den nackten Zahlen stehen nicht nur viele Regalmeter mit Ordnern voller Ermittlungsakten, sondern auch Schicksale. Die der direkten Opfer, aber auch die ihrer Angehörigen. Sie müssen nicht nur damit zurechtkommen, auf brutale Art und Weise ein Familienmitglied verloren zu haben, sondern auch mit einer lähmenden Ungewissheit leben. Im Fall von Magda Rall seit fast 30 Jahren.

„Aus den Gesprächen mit Angehörigen wissen wir: Nicht zu wissen, was passiert ist und die Tatsache, dass niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann, bewegt die Hinterbliebenen sehr“, sagt Thomas Flaig. Genau daraus zieht der Kriminalbeamte, der vor einem Jahr in die Abteilung Cold Case gewechselt ist, seine Motivation: „Es kann nicht sein, dass so schwere Delikte nicht aufgeklärt werden.“

Blick auf einen Teil der Akten im Fall Magda Rall. „Dakty“ steht dabei für Daktylospkopie, also die am Tatort gesicherten Fingerabdrücke.
Blick auf einen Teil der Akten im Fall Magda Rall. „Dakty“ steht dabei für Daktylospkopie, also die am Tatort gesicherten Fingerabdrücke. | Bild: Nathalie Göbel

Denn bei allem Leid: Wenn eine Tat aufgeklärt sei, könnten Angehörige das Geschehen ein Stück weit in ihr Leben einordnen und damit abschließen. Ohne diese Aufklärung bleibt ein Tötungsdelikt eine Ansammlung von Hilflosigkeit, Trauer und Wut in einem Nebel aus nicht greifbaren Geschehnissen.

„Ein Akt sinnloser Gewalt“

Mit bewegenden Worten hatte sich die Familie in ihrer Todesanzeige im SÜDKURIER von Magda Rall verabschiedet: „Wir sind fassungslos und entsetzt, dass das Leben von Magda Rall durch einen Akt sinnloser Gewalt ausgelöscht worden ist“, heißt es darin am 18. November 1995. Und: „Besonders traurig sind wir, weil sie ihre schwere Krankheit überwunden und wieder mit so großer Lebensfreude, Intensität und Zuversicht gelebt hatte.“

Prioritätenliste gibt den Takt der Abteilung Cold Case vor

Doch was genau unternimmt die Abteilung Cold Case in ungeklärten Fällen wie dem von Magda Rall, die noch Jahrzehnte später nicht geklärt sind? „Wir haben eine interne Priorisierungsliste, nach der die Fälle einzeln abgearbeitet werden“, erklärt Thomas Flaig.

Darauf stehen auf dieser rund 20 Fälle aus den Kreisen Schwarzwald-Baar, Konstanz, Tuttlingen und Rottweil, allesamt Tötungsdelikte und Vermisstenfälle, bei denen der Verdacht auf ein Tötungsdelikt besteht.

In einem Haus im Bad Dürrheimer Von-Langsdorff-Weg wurde Magda Rall getötet. Direkt an das Wohngebiet schließt sich der Kapfwald an, der ...
In einem Haus im Bad Dürrheimer Von-Langsdorff-Weg wurde Magda Rall getötet. Direkt an das Wohngebiet schließt sich der Kapfwald an, der damals auf der Suche nach der Tatwaffe durchkämmt wurde. | Bild: Nathalie Göbel

Komme ein neuer Hinweis herein, werde er sofort überprüft und bewertet. „Da sagen wir natürlich nicht: Jetzt ist laut Liste aber der Fall XY an der Reihe“, sagt Flaig.

Täterwissen bleibt unter Verschluss

Zu sehr ins Detail darf Flaig dabei nicht gehen: Täterwissen soll keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen. Was er aber sagen kann: „Wir müssen sowohl be- als auch entlastend ermitteln und jeden Hinweis objektivieren, bevor strafprozessuale Maßnahmen gegen Personen erfolgen.“ Gibt es vielleicht Ungereimtheiten? Sind die Angaben plausibel? Möchte sich jemand vielleicht nur wichtig machen oder einer Person mit einer belastenden Falschaussage schaden?

„Zeugen sterben, für Daten gelten Löschfristen und auch gesicherte Spuren sind manchmal vergänglich.“
Thomas Flaig, Kriminalhauptkommissar

All diesen Fragen gehen die Cold Case-Beamten bei jedem einzelnen Hinweis nach. Stellt sich der Hinweis als plausibel und zielführend heraus, werden die erforderlichen Ermittlungen durchgeführt Eine oft mühsame Aufgabe, zumal die Zeit stets gegen die Ermittler spielt. „Zeugen sterben, für Daten gelten Löschfristen und auch gesicherte Spuren sind manchmal vergänglich“, nennt Thomas Flaig Beispiele. Auch sei nicht in jedem Fall klar, dass der Täter noch lebe.

Überprüfungen laufen ins Leere

In den Jahren 2012/2013 sowie 2015/2016 wurde überprüft, ob es neue Ansätze geben könnte, um den Mörder von Magda Rall zu finden. Etwa, ob es technisch bessere Möglichkeiten gibt, um Asservate – also, alle Gegenstände und Spuren, die zu dem Fall beschlagnahmt wurden – zu untersuchen. Eine entscheidende Spur war jedoch nicht dabei.

Wo ist die Tatwaffe?

Im Fall der getöteten Bad Dürrheimerin kommt erschwerend hinzu, dass die Tatwaffe bis heute verschwunden ist. Auf ihr hätten sich womöglich verwertbare Spuren gefunden. Fingerabdrücke oder bestenfalls sogar Hautpartikel des Täters, über die man seine DNA bestimmen könnte.

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2025 jährt sich der Mord an Magda Rall zum 30. Mal. Als sie getötet wurde, hieß die Währung noch D-Mark und der Bundeskanzler Helmut Kohl. Hoffnung hat Thomas Flaig jedoch auch nach langer Zeit immer, sagt er.

Manchmal geht es ganz schnell

Zähe Phasen in Ermittlungen gebe es jedes Mal. Doch manchmal fügen sich die Dinge unerwartet. Etwa, wenn sich ein Zeuge meldet, der sich jahrelang sicher war, dass eine vermeintlich unwichtige Beobachtung nicht weiterhelfe. „Manchmal nehmen Fälle ganz schnell Fahrt auf.“

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