Bereits um 5.30 Uhr in der Früh stehen sie parat: Die ersten Streikenden vor dem Lebensmittelmarkt Kaufland in Bad Dürrheim. Warnstreik ist angesagt, um den Forderungen der Beschäftigten im Einzelhandel nach mehr Lohn Nachdruck zu verleihen.

Gegen 10 Uhr ziehen dann rund 50 Streikende vor den Haupteingang, demonstrieren Kampfbereitschaft für ein Pressefoto, verteilen Flugblätter an die einströmenden Kunden, und suchen das Gespräch mit den Leuten.

Die Streikenden kommen allerdings nicht allein vom Kaufland Bad Dürrheim. Rund 25 sind von Konstanz mit dem Bus angefahren, weitere zehn aus Waldshut und ebenso viele aus Radolfzell. Von den rund 150 Mitarbeitern des Bad Dürrheimer Lebensmittel-Vollsortimenters beteiligen sich lediglich 15 am Streik, berichtet Markus Klemt. Dem Gewerkschaftssekretär für die Sparte Handel im Verdi-Bezirk Südbaden ist klar, dass diese dünne Beteiligung keine machtvolle Demonstration ist.

Erste Streik seit zehn Jahren

Die Gewerkschafter der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) – vor Ort ist auch der Verdi-Kreisvorsitzende und DGB-Kreisvorsitzende Andreas Merz sowie Gewerkschaftssekretärin Gabriele Wülfers – lassen sich dadurch aber nicht beirren. „Es ist der erste Streik hier seit zehn Jahren“, berichtet Markus Klemt.

Gerade „bei den Jungen“ sei eine Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht sehr verbreitet, stellt er fest. Was sich aber noch ändern kann. Am Montagmorgen haben sich gleich fünf Beschäftigte des Kauflands als neue Mitglieder eingetragen. Die Tarifauseinandersetzung mobilisiert. „Die fünf Neuen haben sich gleich die Streikweste anzogen“, berichtet Klemt mit Freuden.

Gewerkschaftssekretärs Markus Klemt organisiert die Streiks im südbadischen Einzelhandel.
Gewerkschaftssekretärs Markus Klemt organisiert die Streiks im südbadischen Einzelhandel. | Bild: Oliver Hanser

Der Aufzug vor dem Haupteingang hat auch gleich die Geschäftsleitung des Hauses mobilisiert. Die beiden Herren schauen sich an, was sich da vor ihrem Hause tut, schießen – mit gnädiger Erlaubnis der Gewerkschafter – ein Foto vom Streik. Auch eine Polizeistreife schlendert heran und schaut kurz nach dem Rechten.

„Es fehlen 150 bis 200 Euro im Monat“

15 Prozent mehr Lohn fordert die Gewerkschaft für die Beschäftigten im Einzelhandel. Zu viel? Keineswegs, sagt Klemt. Über acht Prozent lag die Inflation im vergangenen Jahr, in diesem Jahr über sechs Prozent. „Macht zusammen 15 Prozent“, rechnet er vor. Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine fehlten den Beschäftigten durch die Inflation monatlich rund 150 bis 200 Euro im Geldbeutel.

Die geringbezahlten Mitarbeiter im Einzelhandel litten besonders. „Viele sind am Monatsende im Minus“, berichtet Markus Klemt. Ohne Lohnverbesserung drohten ihnen kurzfristig die Überschuldung, langfristig die Altersarmut.

Mit Gewerkschaftsfahnen und Warnwesten ziehen Beschäftigte aus dem Einzelhandel vor den Haupteingang des Kauflands in Bad Dürrheim.
Mit Gewerkschaftsfahnen und Warnwesten ziehen Beschäftigte aus dem Einzelhandel vor den Haupteingang des Kauflands in Bad Dürrheim. | Bild: Stadler, Eberhard

Den Auftritt vor dem Kaufland Bad Dürrheim sehen die Gewerkschafter auch als klares Signal gegen die Streikbrecher, die nach Aussage von Verdi seit Jahren regelmäßig aus der Belegschaft in Bad Dürrheim rekrutiert werden, wenn andere Kaufland-Niederlassungen in der Region bestreikt wurden. „Das ärgert uns sehr“, sagt Klemt.

Empört über ständige Streikbrecher

Diese Streikbrecher werden nach Informationen der Gewerkschafter vom Unternehmen finanziell geködert. Zu ihrem Lohn, so berichten die Verdi-Leute, gäbe es 110 Euro Lohnzuschlag pro Arbeitstag oben drauf. Macht in einer Woche 550 Euro extra. Der Fahrzeit werde als Arbeitszeit vergütet und eigens Mietwagen zur Verfügung gestellt.

Am Montag, so die Gewerkschafter, seien erneut sechs Leute von Dürrheim als Streikbrecher zur Kauflandfiliale Konstanz entsandt worden. Es handle sich um neu eingestelltes Personal, das für die künftige Kaufland-Filiale im Schwarzwald-Baar-Center in Villingen-Schwenningen ausgebildet werde. Dass hier neue Mitarbeiter für solche Zwecke eingesetzt würden, wird von Gewerkschaftsseite als besonders verwerflich kritisiert.

Finanziell nicht auf Rosen gebettet sind viele Mitarbeiter im Einzelhandel, die Inflation nagt am Einkommen. Die Gewerkschaft fordert 15 ...
Finanziell nicht auf Rosen gebettet sind viele Mitarbeiter im Einzelhandel, die Inflation nagt am Einkommen. Die Gewerkschaft fordert 15 Profzent mehr Lohn. | Bild: Stadler, Eberhard

Zum Vorwurf der Streikbrecherei wollten die Verantwortlichen der Geschäftsleitung auf Nachfragen am Montag vor Ort keine Auskunft geben. Sie verweisen an die Pressestelle des Konzerns in Neckarsulm. Nur so viel lassen sie sich entlocken: Dass am Montag sechs Mitarbeiter von Dürrheim nach Konstanz gefahren seien, habe mit dem Streik nichts zu tun. Diese Mitarbeiter seien in Ausbildung und würden schon seit drei Wochen in Konstanz eingesetzt.

Das könnte Sie auch interessieren

„Verrat an den eigenen Kollegen“

In einem Informationsblatt an die Mitarbeiter des Kauflands Bad Dürrheim schreibt die Gewerkschaft: „Mit Verlaub: Streikbruch ist letztendlich ein Verrat an den eigenen bei Kaufland für mehr Lohn kämpfenden Kolleginnen und Kollegen und verlängert unnötig zulasten aller anderen ehrlichen Beschäftigten den Arbeitskampf. Selbst das Bundesarbeitsgericht urteilt in einer Entscheidung: Tarifverhandlungen ohne Streiks sind kollektives Betteln!“ Die Mitarbeiter werden aufgefordert, sich kollegial und solidarisch zu verhalten.

Bislang liegen die Forderungen der Gewerkschaft und das Angebot der Arbeitgeber weit auseinander. Die nächste Tarifverhandlung findet am 6. Oktober statt. Die Gewerkschaft gibt sich kämpferisch. Wenn dann keine Einigung erzielt wird, werde man die Streiks bis ins Weihnachtsgeschäft fortsetzen.

Am Montag hat die Kundschaft vom Streik im Supermarkt nicht allzu viel mitbekommen. Nach zwei Stunden ziehen die Streikenden weiter: Zur Kauflandfiliale nach Rottweil.