
Überwiegend zweistellig summierten sich die Verluste der ehemals beiden großen Volksparteien CDU und SPD im Jahr 2016 bei den Landtagswahlen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Die Wähler haben die politische Landschaft auf den Kopf gestellt. In einer über Jahrzehnte von der CDU bei überregionalen Wahlen dominierten Abstimmregion lagen plötzlich die Grünen vorne. Erstmalig holte nicht die CDU sondern die Grünen das Direktmandat im Wahlkries 54 Villingen-Schwenningen.
Die Union wird bei der Wahl am kommenden Sonntag versuchen, die Lage aus Ihrer Sicht geradezurücken. Ob das gelingt angesichts der Debatte um Vermittlungsgeschäfte mit Corona-Masken eines bisherigen baden-württembergischen CDU-Abgeordneten? Oder wird der Schaden dieser Vorgänge doch parteiübergreifend ausfallen? Messlatte für breit gestreute Auswirkungen kann die Wahlbeteiligung sein. 2016 lag sie bei 68,5 Prozent in VS.
Um zu unterstreichen, welchen politischen Erdrutsch die Wahl 2016 ausgelöst hat, haben wir uns die Ergebnisse noch einmal genauer angesehen. Und zwar so kleinteilig, wie es geht: auf der Ebene der Gemeinden mit dem Blick auf regionale und lokale Besonderheiten.
Die CDU verliert überall, nur in einer Gemeinde nicht
Die CDU verlor 2016 in allen Städten und Gemeinden des Schwarzwald-Baar-Kreises ihre Vormachtstellung als stärkste Partei, die sie jahrzehntelang inne hatte. Nur nicht in Schonach. Die Schwarzwaldgemeinde ist Heimat des bisherigen Landtagsabgeordneten Karl Rombach. Hier fuhr er noch einmal ein Ergebnis von 50,5 Prozent ein. So war das früher fast überall. Schon im benachbarten Schönwald wurde die 50er-Grenze deutlich verfehlt. Mit zweistelligen Verlusten gegenüber der Wahl im Jahr 2011.
In den Städten Donaueschingen und Villingen-Schwenningen rutschte die Partei markant unter die 30-Prozent-Grenze. Aber: Im Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen gab es ein Schluss-Resultat. Mit Guido Wolf kann die CDU 2016 das Direktmandat mit dem Wahlkreis-Sieg deutlich verteidigen. Aber auch er muss einstecken, stürzt von 46,3 auf 33,7 Prozent ab.
Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat drei Städte mit 13.000 Einwohnern. Sankt Georgen, Bad Dürrheim und Blumberg. Dort, wie auch in Niedereschach, Unterkirnach, Brigachtal, holten die CDU-Wahlkämpfer noch mehr als 30 Prozent. Blumberg hielt den Christdemokraten noch am deutlichsten die Treue, mit sechs Prozent Abstand folgte Sankt Georgen, dann Bad Dürrheim mit einem Endergebnis für die CDU von noch knapp über 25 Prozent.
Die Grafik macht es auf einen Blick deutlich: 2011 lagen die Christdemokraten noch in jeder Kommune im Schwarzwald-Baar-Kreis vorne. 2016 nur noch in neun.
Die Wahlparty der CDU platzte angesichts der Ergebnisse im März 2016, Karl Rombach weinte, als feststand, dass die Grünen Platz eins im Wahlbezirk geholt hatten. Dass er spät in der Nacht noch ein Ausgleichsmandat erhielt, rettete die Nacht für ihn auch nicht mehr.
Grüne holen ihre Stimmen nicht nur in den Städten
Die grüne Lawine wurde von den Wählern auch in die kleineren Gemeinden geschickt. Tuningen, Königsfeld, Dauchingen, um nur einige zu nennen. Der Wahlsieg von Martina Braun und ihrer Partei fiel deutlich aus. Und war doch so überraschend. Aus der Landwirtin, die in der einst tiefschwarz politisch gefärbten Region gewonnen hatte, brach die Freude aus.
Im Schwarzwald-Baar-Kreis gewannen die Grünen die Mitte. Die Grafik zeigt es: im Süden und im Norden der Region lagen 2016 noch die Christdemokraten vorne, teils auch sehr knapp.
Im Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen müssen sich die Grünen trotz eines zweistelligen Zuwachses mit Platz zwei zufrieden geben. Von 17,5 auf 27,0 Prozent sind sie im Vergleich von 22011 zu 2016 angewachsen.
Brigachtal zum Beispiel sah im Wahlkreis 54 2016 noch einmal die CDU vorne. Die Grünen lagen knapp auf. In Bad Dürrheim aber, wo sich mit der LBU traditionell ein starker lokalpolitischer Ast etablieren konnte, wurde Platz eins von den Grünen geholt. Ein Riesen-Erfolg.
Die Wahlerfolge der Grünen sind nicht nur im Regionalen festzumachen. Die Karte Kretschmann sticht. Schön zu sehen im Wahlkampf 2021. Fast überall plakatieren die Grünen den Landesvater, Martina Braun beispielsweise ist im öffentlichen Raum bei der Wahlwerbung kaum zu sehen. Das ist kein Affront gegen die Landwirtin aus Urach sondern Parteikalkül und ein bisschen auch typisch Martina Braun, die sich oft bescheiden eben nicht in den Vordergrund drängt, in den fünf Jahren zwischen 2011 und 2016 als Direktkandidatin aber auch die Aufgabe angenommen hat, First Lady des Wahlkreises zu sein.
Können die Genossen den SPD-Absturz stoppen?
Die Sozialdemokraten setzen ihren Tiefflug bei der Abstimmung 2016 fort. Im Wahlkreis 55 Tuttlingen Donaueschingen stürzen sie von 21,0 auf 8,8 Prozent ab. Freier Fall kann so etwas auch genannt werden. Im Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen: Von 22,2 auf 10,0. Die Sozialdemokraten wollen das 2021 zu drehen beginnen. Nicola Schurr aus Villingen-Schwenningen hofft für die Abstimmung, „besser abzuschneiden als zuletzt“, wie er das im Gespräch mit dieser Redaktion unlängst formulierte. Schurr und die SPD: Kann der in der Region rund ums Oberzentrum recht bekannte Bewerber die Verhältnisse drehen? Oder muss er eine bundespolitische Abrechnung hinnehmen? Die SPD geht mit einer neu ausgerichteten Parteispitze in die Wahlkämpfe.
Dramatisch die Detailbetrachtung der 2016er-Resultate: Niedereschach: 6,9 Prozent SPD, Hüfingen 8,0. Bräunlingen 8,7. Was passiert hier 2021 im März mit den Genossen? Es muss eigentlich eine Trendwende eingeleitet werden. Noch weniger Stimmen wären fatal.
Die FDP gegen den Trend und mit verblüffenden Chancen 2021
Von 7,0 auf 8,3. Die FDP schaffte im Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen mit Niko Reith 2016 eine Steigerung des Ergebnisses von 2011 zu 2016 – auf niedrigem Niveau. Ähnlich im Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen. Von 5,1 auf 7,9 ging es mit Andrea Kanold hoch. Nicht jede bürgerlich ausgerichtete Partei stürzte bei der Abstimmung also in ein noch tieferes Wellental.
Auffällig und in der Grafik klar ersichtlicher: Im ganzen Landkreis hat der Süden 2016 mehr Stimmen an die Liberalen vergeben als der Norden. Beispiel Bad Dürrheim: 12,3 Prozent FDP. Donaueschingen 13,0. Der nördliche Landkreis – Sankt Georgen: 6,4 Prozent FDP. Furtwangen 6,0. Villingen-Schwenningen 8,2. Eine Frage der Kandidaten?
Wohl eher ist dazu eine Antwort in der traditionellen Verankerung der Liberalen im örtlichen politischen Geschehen zu sehen: Niko Reith wirkte schon im Landtag. Und: Er hat in seinem Sprengel, vor allem im südlichen Landkreis Schwarzwald-Baar, starke Vorarbeiter in den Kommunalparlamenten. Und dies über Jahrzehnte, ob in Hüfingen, Donaueschingen oder Blumberg, Beispielhaft für diese These steht der Name Harald Mattheit. Er zog die Karre für seine Organisation im Blumberger Gemeinde- wie im Kreisrat Schwarzwald-Baar über Jahrzehnte – die Partei FDP stand mit ihm alles andere als im Schatten.
Spannend wird das Wahlergebnis der FDP 2021. Können die Liberalen Stimmen abfischen, die der CDU vielleicht verloren gehen? In Umfragen zur Landestagswahl wie auch zur Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres scheint sich dieser Trend abzuzeichnen. Die Liberalen legen zu, nachdem sie noch vor 10 Monaten Sorgen hatten, ob sie etwa im Bund die 5 Prozenthürde schaffen können. Plötzlich winken wieder zweistellige Ergebnisse. Und eine politische Pokerkarte entsteht, die vor allem bei der CDU am liebsten nicht diskutiert wird. Reicht es in Baden-Württemberg am Ende für eine Ampel-Koalition mit den Grünen, der FDP und der SPD? Das wäre der Genickschlag für die CDU, wenn sie 2021 nicht mehr mitregieren dürfte.
Die AfD wird 2016 aus dem Nichts deutlich zweistellig
Die Alternative für Deutschland (AfD) holt im Wahlkreis 54 Villingen-Schwennigen 14,8 Prozent. 2011 war sie noch nicht am Start. Mit dem Bewerber Markus Frohnmaier schickten die Rechtspopulisten einen auswärtigen Bewerber an den Start, der in einem Video vor der Wahl versprochen hatte, die Partei werde „aufräumen, wenn wir drankommen“. In der Bilanz muss sich Frohnmaier, mittlerweile Bundestagsabgeordneter, vorhalten lassen, dass vor allem abgeräumt wurde und zwar in den eigenen Reihen. Von 23 Abgeordneten der AfD zum Start der Legislaturperiode 2011 blieben noch 15 übrig.
Bewerber Martin Rothweiler aus Villingen-Schwenningen erklärt vor der Wahl 2021 im Gespräch mit dieser Zeitung diese vernichtenden Flügelkämpfe als „Übungsphase“. Tatsächlich gab es maximale Uneinigkeit, heftige Enttäuschungen von Kandidaten und Unterstützern, zum Beispiel in Donaueschingen. AfD-Landtagsabgeordnete Doris Senger trat erst im November 2020 aus Fraktion und Partei aus. Joachim Senger, der die AfD im südlichen Kreis geführt hatte, trat im Dezember 2020 aus der Partei aus.
Ist die AfD nur im ländlichen Raum stark? In Villingen-Schwenningen schnitt sie mit 17,4 Prozent fast 2 Punkte über dem Landesschnitt ab, Donaueschingen: 17,9. Dagegen Vöhrenbach 11,1. In Furtwangen nur 9,5 und in Sankt Georgen 11,3. Königsfeld 10,4.
Hat die AfD zur Wahl 2021 ihre Wähler mit dem von Martin Rothweiler so titulierten „Üben“ die eigenen Wähler enttäuscht? Umfragen im Land scheinen darauf hinzudeuten. Die Partei liegt im Moment deutlich einstellig und damit beinahe halbiert zum Ergebnis von 2016. Ob die neuen Landtagskandidaten Rüdiger Klos (Tuttlingen-Donaueschingen) und Martin Rothweiler (Villingen-Schwenningen) diese sich abzeichnenden Tendenzen drehen können? Über der AfD insgesamt hängt seit dem Frühjahr 2021 auch die publik gewordene Ankündigung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz.