Die Zahlen sind ernüchternd. Mehr als ernüchternd sogar. Leon Lorenz ist Rettungssanitäter und absolviert gerade seine Ausbildung zum Notfallsanitäter. 25 Mal wurde er mit dem Rettungswagen zu einem Herz-Kreislaufstillstand gerufen. Zwei Mal hatten Ersthelfer bereits geholfen. 23 Mal hatte niemand etwas gemacht. 23 Mal.
Jede Minute zählt
Der Rettungswagen braucht im Kreis zwischen acht und zwölf Minuten, bis er vor Ort ist. Mit jeder Minute, die später mit der Herzdruckmassage begonnen wird, sinken die Überlebenschancen um zehn Prozent. Zehn Minuten nichts tun und die Überlebenschance sinkt gegen null.
Leon Lorenz erinnert sich an einen Notfall auf einem Flohmarkt. 50 oder 60 Leute standen um einen Menschen herum. Keine Atmung, kein Puls. Keiner half. Jeder hatte Angst etwas falsch zu machen, sich vor den anderen zu blamieren, so erklärt es Leon Lorenz.
„Die Angst ist unbegründet, weil er ist ja sonst tot“, sagt Jens Schwarzwälder, Kreisausbildungsleiter beim DRK. Auch er hat häufiger, als ihm lieb sein kann, erlebt, wie keiner sich traut. Weder eine Herzdruckmassage zu beginnen, noch den Defibrillator zu nutzen.
Defibrillatoren werden viel zu selten benutzt
Solche sogenannten AEDs (automatisierte externe Defibrillatoren) hängen inzwischen in vielen Supermärkten, Banken oder Rathäusern. Sie sind ausdrücklich für Laien geeignet. Benutzt werden sie jedoch noch viel zu selten.

Auch der Defibrillator ist kein Garant dafür, dass der Patient überlebt. „Aber“, sagt Schwarzwälder, „die Chancen steigen, je früher der Defibrillator eingesetzt wird“. Die Anwendung ist nicht schwer. Das Gerät spricht mit einem, erklärt jeden Schritt. Das Wichtigste: Man muss sich trauen.
Damit das gelingt, gibt es im folgenden ein Schritt für Schritt Video-Erklärung mit den beiden Notfallsanitäter-Azubis Leon Lorenz und Liz Limberger. Sowie Tipps, wie man sich in Notfall richtig verhalten sollte.
Die wichtigsten Regeln
1. Atmung und Puls checken
2. Notruf absetzen
3. Oberkörper des Patienten frei machen
4. Herzdruckmassage starten: 30 Mal möglichst schnell in der Mitte des Brustkorbs drücken. Mindestens fünf Zentimeter tief, ansonsten bringt es nichts. Nach 30 Mal kann zwei Mal beatmet werden. Wer das bei Fremden oder in Coronazeiten nicht möchte, kann einfach weiter drücken.
5. Hilfe holen (gerne auch schon früher, sodass einer die Herzdruckmassage startet und ein anderer den Notruf wählen kann).
Der Einsatz des Defibrillators ist nur zu zweit möglich. Einer muss konstant die Herzdruckmassage durchführen, während der andere die Pads anbringt und das Gerät bedient.
Das Gerät führt selbstständig eine Herzrhythmus-Analyse durch.
Der vielleicht größte Irrtum
Das Gerät ersetzt nicht die Herzdruck-Massage. Auf keinen Fall. Lediglich für die kurzen Sekunden, in denen das Gerät den Elektrostoß abgibt, darf die Herzdruck-Massage unterbrochen werden. Nach dem Schock muss sofort weitergemacht werden.
Es gibt zwei Arten von AED-Geräten. Bei den einen muss der Ersthelfer selbst den Knopf für den Elektroschock drücken – mindestens drei Sekunden lang, damit er überhaupt auslöst.

Im anderen Fall löst das Gerät den Schock selbst aus, wenn er benötigt wird.

Rippen können nicht brechen
Ein Gerücht, das sich hartnäckig hält, ist, dass man dem Patienten die Rippen brechen kann, wenn man zu fest drückt. „Das geht nicht“, sagt Schwarzwälder. Es ist nahezu unmöglich. Die Rippen sind viel weiter unten. Das was nach etwa 20 Mal Drücken auf den Brustkorb knackst, ist lediglich ein Knorpel am Brustbein. Das ist normal, das passiert auch wenn Profis Wiederbeleben.
Insgesamt zwei Minuten muss die Herzdruckmassage durchgeführt werden, bis der Defibrillator erneut eine Herzrhythmus-Analyse startet.
Das passiert im Körper
Man muss sich das Herz vorstellen, wie eine Schulklasse, sagt Jens Schwarzwälder. Eine vierte Klasse zum Beispiel. Wenn der Klassenlehrer den Raum verlässt, dann bricht Chaos aus. Die Kinder machen, was sie wollen. Der Klassenlehrer ist in seinem Beispiel der Herzrhythmus. Also der Taktgeber des Herzens. Wenn der plötzlich fehlt, beginnt das Herz zu flimmern. Es herrscht also Chaos.
In der Klasse herrscht solange Chaos, bis jemand von draußen kommt und sagt „Jetzt ist Ruhe.“ Für den Körper übernimmt der Defibrillator diese Rolle. Er ist sozusagen der Schrei ins Klassenzimmer. Das Herzflimmern hört auf. Und im Herzen herrscht wieder Ruhe.
Die Herzdruckmassage auf der anderen Seite ist so wichtig, weil durch sie Sauerstoff ins Gehirn gebracht wird. Das ist überlebensnotwendig.
Es kann bis zu zwölf Minuten dauern, bis der Rettungswagen eintrifft. Daher ist es ratsam, sich bei der Herzdruckmassage irgendwann abzuwechseln.
Es kostet Überwindung, einem wildfremden Menschen so nah zu kommen. Es kostet Überwindung, jemand Fremden zu beatmen, einen Stromschlag durch den Körper zu jagen oder minutenlang den Brustkorb zentimetertief einzudrücken. Am Ende rettet man damit aber vielleicht ein Leben. Und dann war es wohl ein kleiner Preis.