Wenn man die Augen schließt, unterscheiden sich ihre Stimmen nur um Nuancen. Judith Marks spricht kräftiger. Dunkler. Susanne Marks klarer. Auch äußerlich unterscheiden sich die Schwestern kaum. Ihr Markenzeichen: langes, rotes Haar.
Kein Wunder eigentlich – denn Judith und Susanne Marks sind eineiige Zwillinge. Beide 22 Jahre.
Ein unsichtbares Band?
Und wir haben da ein paar Fragen: Wie ist das, als Duo aufzuwachsen? Immer jemanden an der Seite zu haben? Nie allein sein zu müssen? Nie allein sein zu können? Und gibt es dieses unsichtbare Band, das man Zwillingen nachsagt?
„Nein“, sagt Judith Marks und lacht. „Ein unsichtbares Band gibt es nicht.“ Die Gedanken ihrer Schwester kann sie nicht lesen. Doch: Eine besondere Nähe hätten die beiden sehr wohl. Eine Nähe, die ihre Schwester als Geschenk bezeichnet. „Wir hatten als Kinder immer jemanden zum Spielen.“
Zwischen Schutz und permanenter Aufmerksamkeit
Nach außen half das Zwilling-Sein: Ein Duo, das bedeutet Schutz, gegenseitige Hilfe, eine Weggefährtin. Von Anfang an. Doch: Es bedeutet auch permanente Aufmerksamkeit. Ob in der Grundschule in Tuningen, auf dem Gymnasium in Trossingen, das die beiden gemeinsam meisterten. Oder unterwegs mit Freunden – sie fielen immer auf.
So sehr: „Dass wir manchmal extra unauffällige Klamotten gekauft haben“, sagt Judith Marks. „Um wirklich nicht aufzufallen.“ Um einmal nicht angeschaut, nicht verglichen zu werden. Und doch, die üblichen Zwillingsstreiche hätten auch sie gemacht.
Ein Streich für die Lehrer
Zweimal, einmal in der Grundschule, einmal auf dem Gymnasium seien sie als die jeweils andere zur Schule gegangen, hätten ihre Plätze und Aufgaben getauscht, ihr Verhalten der anderen angepasst. Ja, sogar die Klassenkameraden mussten mitspielen.
Denn: Ausgetrickst werden sollten – natürlich – die Lehrer, denen es deutlich schwerer fiel, ihre Schülerinnen Judith und Susanne auseinanderzuhalten.

Doch: Selbst für die Zwillinge verschwimmen die Unterschiede. Manchmal.
Es gibt dieses eine Bild, ein professionelles Fotoshooting, das sie auf Instagram geteilt haben. Die Schwestern in einem Kleid aus Kaffeefiltern. Ästhetisch. Und einander so ähnlich, dass Susanne Marks sagt: „Da sehe ich selbst die Unterschiede nicht mehr. Ich musste Judith erst fragen, wer von uns wer ist.“

Und ein wenig hat man den Eindruck, dass Judith und Susanne immer zwischen dem Gemeinsamen und Eigenen schwanken. Wenn Judith etwa sagt: „In der Schule waren wir die Pferdemädchen.“ Weil sie oft und gerne ritten. Oder wenn Susanne Marks sagt: „Heute machen wir zusammen Fotoshootings.“
Heute, das begann vor sechs Jahren, als die beiden mit der Kamera auf eine Wiese stiefelten und sich gegenseitig fotografierten – und als Susanne Marks ein paar Jahre später von einem Fotografen auf Instagram angeschrieben wurde, ob sie Lust hätte, auf ein TFP-Shooting (englisch: Time for Prints).
Die ersten Shootings
Bei einem TFP-Shooting zahlen weder Model noch Fotograf etwas. Als Gage erhält das Model die entstandenen Bilder. „Das ist aber nicht ganz ungefährlich“, sagt Susanne Marks.
„Man weiß nie, an welchen Menschen man gerät. Und ob jemand das ausnutzen will.“ Sie frage daher immer bei Models, mit denen die Fotografen schon gearbeitet hätten, nach deren Erfahrungen.
Eine Leinwand für den Fotografen
Trotzdem sei sie nervös gewesen. Beim ersten TFP-Shooting. Damals, im Schwenninger Moos. „Am Anfang ist das immer komisch“, sagt Judith, die solche Shootings inzwischen auch macht. „Wenn du jemand komplett Fremden auf der anderen Seite hast. Und du eigentlich wie eine Leinwand für den Fotografen bist.“
Die Aufregung habe sich aber schnell gelegt. Susanne Marks hätte Feuer gefangen, ihre Schwester mit angesteckt, sagen die Zwillinge. Seither stehen sie für Fotografen aus dem Raum Villingen-Schwenningen oft gemeinsam vor der Kamera. Und teilen ihre Schnappschüsse auf Instagram.
Instagram? Das ist für Judith Marks, auf der Plattform ju_ma7, „wie ein Album“, sagt sie. Ein Erinnerungsort. Für Schwester Susanne, auf der Plattform sunsusirise, ist Instagram dagegen, „ein Hobby“ und eine Art digitale Visitenkarte.
Die Schattenseiten von Instagram
Ihr Account wirkt tatsächlich wie eine kuratierte Fotoausstellung. Mal post sie im Neonlicht vor einer schwarzen Leinwand, mal vor einer historischen Mauer, mal fotografiert sie sich mit ihrer Schwester im ästhetischen Twinlook. Mal steht sie im Abendkleid vor einem Pferd und mal läuft sie eine verschneite Winterlandschaft entlang.
Es sind Bilder, sagt ihre Judith Marks, „auf denen man sich mal anders sieht“. Bilder, die aber auch viele sehen, die auf Instagram nach etwas ganz anderem suchen. Nach Bewunderung. Nach dem Blick von außen.
Susanne Marks sagt deshalb, man solle sich von der Plattform nicht beeinflussen lassen. „Es gibt viele Leute, die sich auf Social Media in einem Licht zeigen. Und im realen Leben ganz anders sind. Und es gibt Körperideale – stark retuschierte, in den Proportionen veränderte Bilder – denen junge Menschen nacheifern. Und sich dabei selbst kaputtmachen.“
So gleich und doch so unterschiedlich
Instagram sei nicht zum Vergleichen, sagt die 22-Jährige. Und auch wenn auf manchmal Fotos die Grenzen zwischen ihnen beiden verschwimmen, seien die Zwillinge doch völlig unterschiedlich.

Judith Marks sei die ruhigere, die sich in der Schule eher für Naturwissenschaften und Autos interessierte. Susanne Marks sei die Impulsivere. Die Verrückte, die abends um neun noch um die Häuser ziehe. Die sich spontan Ohrlöcher stechen ließ. Und Sprachen liebt.
Wenn ein „Ich habe dich lieb“ die Welt bedeutet
Die eine Begebenheit, die ihre Beziehung beschreibe, gibt es nicht, sagen beide. Wohl aber Momente, in denen ihnen ihre Nähe bewusst wird. Darauf angesprochen, was sie am anderen schätzen, antworten beide fast zeitgleich: „Deinen Humor.“ Und lachen.
Später sagt Judith Marks: „Weißt du noch, als es mir richtig schlecht ging? Da hast du mich in den Arm genommen und gesagt: ‚Ich habe dich lieb‘. Und ab da war alles wieder gut. Ich denke, das ist mein Moment.“
Susanne Marks lächelt. Sie weiß es noch.