Er klopft auf das auffällig dicke Blech und sagt: „Das Grün ist schon krass.“ Linus Dold ist St. Georgener und steht vor seinem Lupo. Der kleine Volkswagen schaut mit seinen Kulleraugen-Scheinwerfern in die Sonne, als würde er stolz lächeln. Linus Dold ist 21 Jahre alt, sein Lupo ist Baujahr 98 und damit viel älter, nämlich 23.
Der junge Mann schätzt seinen Wagen, wie einer sein Auto eben mag, wenn er abends im Schwarzwald zu Freunden oder zum Dönerstand in Villingen will. Das Auto bringt Mobilität und weil der Lupo zwei dicke Rallyestreifen von der Stoßstange bis zur Dachkante trägt, wirkt er nicht nur knuffig sondern auch ziemlich fetzig.
Der Lipo und sein Fahrer waren schon ein paarmal bei den so genannten Posertreffen in der Region dabei. Sowohl im Hegau als zuletzt auch in Villingen-Schwenningen. Linus Dold kennt da nichts: Er stellt sich seelenruhig zu den tiefer gelegten BMWs und den rundum abgedunkelten Audis.
Linus Dold trifft dort Gleichgesinnte. „Mal übers Auto reden“, das vermisst er in Coronazeiten wie andere das Fußballspielen oder die Yogagruppe.
Vielschichtiges Publikum
Linus Dold zeigt seinen Wagen an einem Samstagnachmittag dem SÜDKURIER. Er hat nichts zu verbergen, er will VOR ALLEM erklären, dass die Treffs mit bis zu 400 Autofahrern bei Villingen ein vielschichtiges Publikum anlocken. Zum Beispiel Menschen wie ihn.
Bei der Villinger Gärtnerei Späth parkierten diese Autofahrer zuletzt über Ostern und hinterließen unter anderem dort einen zugemüllten Parkplatz. Bremsstreifen auf dem Privatgelände zeugen am anderen Morgen von den Umtrieben der Poserszene. Der Morgen nach den Umtrieben: Ein Mann im Gärtnerdress räumt frühmorgens bei Späth auf. Drei Müllbehälter schiebt er über das Areal. Seit Stunden sei er am Einsammeln, sagt er zum SÜDKURIER. Hinterher heißt es aus der Szene, man habe den Parkplatz aufräumen wollen. Offenbar nachdem seitens der Eigentümerschaft längst aufgeräumt war.

Der Fahrer des grünen Lupos bewertet diese nächtlichen Eskalationen als „richtigen Mist“. Leute wie Dold ticken völlig anders, Für einen wie ihn ist das eigene Auto schlicht Hobby. In vielfältigen Dimensionen. Linus Dold dreht den Zündschlüssel um. Der Lupo bullert leise vor sich hin. Als der alte Auspuff durchgerostet war, konnte er nicht widerstehen. Das neue Doppelrohr war fast gleich teuer wie ein identischer Originalteil-Ersatz. Dold versichert: In seinem Wagen gebe es keine verborgenen Schalter für Klappenauspuff oder für eine geheime Motorsteuerung. Innen, so sagt er, habe er sowieso fast alles belassen, wie es ab Werk war.
Die grüne, kleine Burg
„Bis auf das Radio“, ergänzt er dann schnell und muss lachen. Die alten Lautsprecher hat er ausgewechselt und dann ist da noch eine schwarze Kiste im Kofferraum. Obendrauf ein Steuergerät. „Das sind der Subwoofer und die Endstufe“, erklärt Dold. Deutschrap bis Elektro und auch mal K-Pop hört er am Steuer am liebsten.
Der Lupo ist auch tiefer gelegt. 35 Millimeter. Die Bereifung ist dezent breiter. Dass die Räder stimmig mit der Karosserie abschließen, dafür sind Distanzscheiben montiert. Sie schieben die Felgen etwas nach außen. Der Wagen wirkt fast wie ein Würfel. Oder wie eine kleine Burg. Denn natürlich ist ein Auto in Zeiten von Corona auch ein Rückzugsgebiet. Wie heißt es doch gleich: Platz ist in der kleinsten Hütte.

Opa Josef hat den Wagen vor Linus Dold gefahren und der Lupo wird komplett in Ehren gehalten. 140.0000 Kilometer sind auf dem Tacho. Es sollen noch mehr werden. Das gute Stück später mal weiterreichen in der eigenen Familie? „Ja, das wär‘s.“ Linus Dold denkt kurzfristiger. Bald muss das Auto zum TÜV. Als Mechatroniker-Azubi hat er da keine Sorge. Er kennt sein Auto bis ins Detail.
Was gegen Spaßtouren spricht
Wer den Wagen länger anschaut, der entdeckt immer wieder Neues: Zum Beispiel die Sitze. Sie schimmern ebenfalls in hellgrün – aber nein, das ist nicht nachgerüstete Textil-Kosmetik: „Das ist noch original so“, erklärt er. Man könnte auch sagen: Gute Pflege über viele Jahre.
Linus Dold muss am Samstag plötzlich ans Feuerwehrhaus rennen. Einsatz. Eine ältere Dame ist in Not, in 45 Minuten ist ihr geholfen. Seit er 10 Jahre alt ist, sei er in der Feuerwehr. Prägt das beim Autofahren? „In jedem Fall“, heißt es zur Antwort. Mal nach Triberg runterheizen über die kurvige Bundesstraße? „Es gibt ja da die Straßenverkehrsordnung“, sagt er formal. Ganz klar: Hier spricht der Feuerwehrmann.

Viele Tuner lackieren ihre Autos in Bonbon-Farben. Helles Türkis, Gelb oder auch Rosa. Das Lupogrün fällt also gar nicht auf, wenn sich chipgetunte Fahrzeuge aufreihen. 50 PS hat der Wagen des St. Georgeners. Er grinst. Weil er weiß, das ist so anders. Das Lupogrün schmückt nicht nur das Blech. Unter den Felgen schimmert es ebenfalls grasgrün. Lackierte Bremssättel wie bei den großen Porsches etwa. Wieder winkt Dold ab. „Nur schön lackiert, nicht aufgerüstet“, sagt er zu dieser Maßnahme.
Dold ist mannigfaltig in seiner Stadt engagiert. Nicht nur, dass er Mitglied des Pfarrgemeinderates ist. „Ich bin auch im örtlichen Reparaturcafé dabei“, sagt er. Und schmunzelt. Der Lupofahrer ist obendrein gefragt in seinem Bekanntenkreis. „Ich helfe schon vielen“, schildert er. „Ob mal beim Reifenwechsel oder bei größeren Sachen“, skizziert er.
Einer seiner Kernsätze lautet so: „An der Sicherheit darf man nicht sparen.“ Er selbst lässt auch seine Bremsen lieber von einem Spezialisten machen. Dafür schraubt er sonst gerne an seinem Wagen: „Ventilspiel einstellen, Zahnriemen wechseln“, so etwas macht er dann wieder eigenhändig. Und ganz sicher mit Bedacht.
Das Geheimnis der besonderen Beziehung zwischen Linus Dold und seinem Lupo gründet letzten Endes im Emotionalen. Gas geben und Bremse drücken – so, dass der Wagen auf der Stelle dreht? Auffallen wollen wie ein Poser ist nicht sein Ding. Tunen, um den Lupo schneller bretzeln lassen zu können – nunja, das ist mit 50 Pferdestärken unter der Haube so eine Sache. Aber was ist es dann? Er selbst macht das ganz woanders fest: „Ich freue mich einfach, wenn die Leute das Auto sehen und lächeln.“ Und sein Lupo, der macht das jedem Betrachter leicht. So schöne Kulleraugen hat sonst keiner.