Der 7. März 2020 ist ein Samstag. Ein Hauch von Frühling weht durch die Luft, die Menschen zieht es nach draußen. Zehn Tage zuvor hat der Aschermittwoch den Beginn der Fasten- und das Ende der närrischen Zeit markiert. In den Nachrichten gehört das Coronavirus seit Jahresbeginn dazu – und scheint doch weit weg.

Hamsterkäufe und Homeoffice

Dass es in wenigen Wochen Hamsterkäufe geben wird, Nudeln und Toilettenpapier Mangelware und die Straßen gespenstisch leer sein werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand. Das Coronavirus scheint die rund 200.000 Einwohner des Schwarzwald-Baar-Kreises bislang nicht zu bedrohen. Bis zu jenem Samstag.

So berichtete der SÜDKURIER am 7. März über den ersten Corona-Fall im Landkreis.
So berichtete der SÜDKURIER am 7. März über den ersten Corona-Fall im Landkreis. | Bild: Nathalie Göbel

Um 14.06 meldet der SÜDKURIER auf seiner Internetseite, was das Landratsamt eine Stunde zuvor bekannt gegeben hat: Es gibt einen ersten bestätigten Corona-Fall im Kreis. Erkrankt ist eine Person aus St. Georgen, die kurz zuvor von einer Mittelmeer-Kreuzfahrt zurückgekehrt war.

Nach diesem ersten bestätigten Fall werden sich Voraussagen von Wissenschaftlern in kürzester Zeit zur Realität: Die Verbreitung des Virus ist nicht mehr aufzuhalten. Am 17. März sind bereits 27 Menschen nachweislich infiziert, zehn Tage später gibt es die ersten beiden Todesfälle zu beklagen. Woran erinnern sich Menschen aus dieser Zeit?

Die Urlauber:

Es sollte ein ganz besonderer Urlaub für Christine und Peter Wehrle aus Villingen werden. Das Paar wollte mit dem Kreuzfahrtschiff Artania auf große Reise gehen, Australien, Neuseeland, die Südsee und Peru kennenlernen. Stattdessen erlebten sie ein Reiseende nach nur wenigen Tagen. Fiebermessen statt Kreuzfahrt-Dinner, Heimreise unter Vollschutz statt Landgang in Neuseeland.

Christine und Peter Wehrle im März 2020 vor dem MV Artania in Sydney. Kurz darauf wurde das Paar aus Villingen mit knapp 200 weiteren ...
Christine und Peter Wehrle im März 2020 vor dem MV Artania in Sydney. Kurz darauf wurde das Paar aus Villingen mit knapp 200 weiteren Gästen in gecharterten Flugzeugen nach Deutschland gebracht: Auf dem Kreuzfahrtschiff war das Coronavirus ausgebrochen. Bild: Christine Wehrle/privat | Bild: Göbel, Nathalie

„Wir waren von dem langen Flug nach Australien total platt“, erinnert sich Christine Wehrle an die Ankunft in Australien. Die Stimmung unter den Reisenden sei angesichts der unsicheren Lage schon zu Beginn angespannt gewesen. Nach zwei Tagen auf See mit dem Motorschiff Artania auf dem Weg nach Freemantle wird per Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben, dass die Reise abgesagt werden müsse.

Ein erster Passagier war positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die verschiedenen Botschaften würden Landgänge ohnehin nicht erlauben. „Die Reiseleitung versuchte aber trotzdem, es uns so angenehm wie möglich zu machen“, sagt Christine Wehrle. Unter anderem seien Ausflugsfahrten mit Shuttlebussen organisiert worden. Nachdem in Freemantle mehrere weitere Passagiere und auch Crewmitglieder positiv getestet worden waren, fiel die Entscheidung zur Evakuierung.

Die menschenleere Villinger Innenstadt – nicht an einem Sonntag, sondern am Donnerstag, 26. März, im ersten Lockdown.
Die menschenleere Villinger Innenstadt – nicht an einem Sonntag, sondern am Donnerstag, 26. März, im ersten Lockdown. | Bild: Nathalie Göbel

Die Passagiere durften die Kabinen bis dahin nur noch stundenweise verlassen, um auf dem Mitteldeck spazieren zu gehen. „Und das auch nur mit Fiebermessen kurz davor“, erinnert sich Christine Wehrle. Für die Heimreise wurden die Villinger zusammen mit weiteren Passagieren in Vollschutzkleidung in Busse und in diesen eskortiert von der Polizei zum Flughafen gebracht – direkt auf die Rollbahn. Besonders die Flugbegleiterinnen sind Christine Wehrle als nett und geduldig in Erinnerung geblieben.

18. April 2020, Australien, Fremantle: Das Kreuzfahrtschiff MV Artania verlässt den Hafen von Fremantle, wo es seit Ende März im Hafen lag.
18. April 2020, Australien, Fremantle: Das Kreuzfahrtschiff MV Artania verlässt den Hafen von Fremantle, wo es seit Ende März im Hafen lag. | Bild: dpa

Gleichwohl aber auch auch renitente Mitreisende, die im Flieger keine Maske tragen wollten: „Letztlich musste der Pilot eine energische Durchsage machen, weil er sonst die Startzeit überschritten hätte.“ Nach der Landung in Frankfurt wurden die Passagiere noch im Flugzeug vom Gesundheitsamt untersucht, bevor es mit dem Zug zurück nach Villingen ging. Einzig für das Gepäck der Wehrles war die Reise nicht so schnell beendet: Ihre Koffer kamen erst im Frühsommer im Schwarzwald an, nachdem die Artania am 8. Juni in Bremerhaven eingelaufen war.

Der Katastrophenschützer:

Zwei Jahre Corona, 24 Monate Krisenmodus: Eine wichtige Schaltstelle in dieser Zeit war und ist das Landratsamt, dem das Amt für Katastrophenschutz sowie das Gesundheitsamt angehören. Denkt man bei Katastrophenschutz in erster Linie an Hochwasser, Großbrände oder schwere Unfälle im Schienenverkehr, sah sich das Amt von Arnold Schuhmacher ab dem Frühjahr 2020 mit einer unsichtbaren Bedrohung konfrontiert.

Arnold Schuhmacher leitet das Amt für Katastrophenschutz im Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises.
Arnold Schuhmacher leitet das Amt für Katastrophenschutz im Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises. | Bild: Norbert Trippl

Neuland für alle, egal in welcher Position. „Eine vergleichbare Situation, in der sich der Arbeitsalltag von heute auf morgen verändert, kannte ich bisher nicht“, blickt Schuhmacher zurück. Nachdem über das Virus zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viel bekannt war, sei für ihn die Frage: „Was kommt da auf uns beziehungsweise mich zu?“ schwierig abzuschätzen gewesen.

Die Dimension der Einschränkungen bis hin zum Lockdown und die notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung des Regelsystems hinsichtlich der Durchführung von Impfungen hätten da noch in weiterer Ferne gelegen.

Die große Verunsicherung

Was Schuhmacher von jenen Tagen im Frühjahr 2020 besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben ist: das Informationsbedürfnis der Menschen. Man habe „unwahrscheinlich viele“ Anfragen von den verschiedensten Personen bekommen, die Fragen zu den Corona-Verordnungen hatten – Privatpersonen und Gewerbetreibende, Gastronomen und Vereine, Brautpaare und Umziehende, Urlaubsreisende und Grenzgänger.

Der Mediziner:

Für Hatem Saleh, Leiter des Gesundheitsamtes, kam die Entwicklung nicht überraschend – wenngleich der Mediziner nicht erwartet hätte, dass die Pandemie die Menschen rund um den Globus so lange beschäftigen würde. An den 7. März 2020 erinnert er sich noch gut: Die Aufregung sei groß gewesen. „Als der Anruf aus dem Labor kam, haben wir im Büro das Telefon auf laut gestellt, weil alle hören wollten, was mitgeteilt wurde“, blickt er zurück.

Hatem Saleh leitet das Gesundheitsamt. An die Meldung des ersten Corona-Falls im Landkreis kann er sich noch gut erinnern: „Wir ...
Hatem Saleh leitet das Gesundheitsamt. An die Meldung des ersten Corona-Falls im Landkreis kann er sich noch gut erinnern: „Wir haben im Büro das Telefon auf laut gestellt.“ | Bild: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis

Überrascht hat den Mediziner die Entwicklung der folgenden Wochen nicht. „Wir haben schon zu diesem Zeitpunkt erwartet, dass bald mehr Fälle auch in unserem Landkreis folgen werden.“

Impfung mit Laufzettel – das Bild entstand im Mai 2021 im Kreisimpfzentrum. Längst ist das Procedere unkomplizierter, sogar in ...
Impfung mit Laufzettel – das Bild entstand im Mai 2021 im Kreisimpfzentrum. Längst ist das Procedere unkomplizierter, sogar in Apotheken wird geimpft. | Bild: Nathalie Göbel

Weil die Auswirkungen von eventuell mutierten Virusvarianten nicht abzusehen waren, habe er eine so lange Pandemie-Dauer nicht unbedingt erwartet. „Wir waren aber auch überrascht, welche Fortschritte die Forschung machte, insbesondere bei der schnellen Entwicklung der Impfstoffe.“

Überrascht haben den Mediziner auch die gesellschaftlichen Folgen: Querdenker, Impfgegner und die so genannten Spaziergänger. „Das Ausmaß der Wirkung von Desinformation, so dass große Teile der Gesellschaft sich nicht impfen lassen möchte, war nicht absehbar“, fasst er zusammen.