Ob es jetzt wirklich der Maßstab 1:100 ist? Für Gerhard Oberling ist das nicht entscheidend. Denn er hat das alte St. Georgener Krankenhaus in den richtigen Proportionen mit Holz, Papier, Farbe und Folien nachgebaut. Weil ihm keine Baupläne zur Verfügung standen, an denen er sich orientieren konnte, hat er gemeinsam mit seiner Frau Doris dem leerstehenden Gebäude kurz vor dessen Abriss viele Besuche abgestattet und mit Zollstock und Bandmaß die Größenverhältnisse dokumentiert.

In 250 Arbeitsstunden baute der heute 80 Jahre alte Rentner im Spätjahr 2015 nicht nur die Gebäude, sondern das gesamte parkähnliche Hanggrundstück nach. Eine neue Herausforderung für den begeisterten Modellbauer, der sich dabei zum ersten Mal dem Landschaftsbau in miniaturisierter Form gegenüber sah. "Hätte ich mal nur nicht zugesagt", sagt er. Aber er lacht und ist stolz darauf, dass ihn seinerzeit Bürgermeister Rieger zu diesem Vorhaben animierte.

So manche Nacht sei er wach gelegen und habe über bessere Lösungen gegrübelt, erzählt der Tüftler. Zunächst erstellte er wegen der Dimensionen das Gebäude aus Pappe, danach entstand der Kliniknachbau aus Holz. Details wurden zu Herausforderungen. "Schauen Sie hier die Fensterkreuze", zeigt er auf die dünnen Stäbe vor den Folienfenstern. Die Nottreppe am Kopfende des Gebäudes war diffizile Arbeit, die Papierauflage, die die Ziegeldächer sehr gut nachahmt, habe er nur nach langer Suche im Onlinehandel bekommen. Und oft passte die erste Lösung nicht. Weil eine Fassadengestaltung mit einfacher Farbe das Krankenhaus wie einen Neubau wirken ließ, beklebte Oberling das Modell mit Raufasertapete: Und der Alterungseffekt stellte sich ein.

Die Nottreppe am Kopfende war für den Bastler eine Herausforderung, die Bäume waren für die realitätsnahe Darstellung ein Muss.
Die Nottreppe am Kopfende war für den Bastler eine Herausforderung, die Bäume waren für die realitätsnahe Darstellung ein Muss. | Bild: Jens Wursthorn

Dabei entstehen Oberlings Modelle keineswegs in einem mit Profiwerkzeugen ausgestatteten Hobbykeller sondern mit einfachen Mitteln am Küchentisch einer Zweizimmerwohnung in der Bergstraße. "Ich habe nur eine Stichsäge", sagt der Bastler, der stets nach drei bis vier Stunden den Küchentisch für die eigentliche Nutzung freiräumen musste. Die Lust aufs Basteln rührt weit zurück. Oberling war erst Mitte 40, als er in seiner Heimat Halle noch zu DDR-Zeiten aus seiner Tätigkeit in der Baubranche in den Vorruhestand geschickt wurde. Mit was sollte er sich nun beschäftigen? Er passte eine Wassermühle in den Garten seiner Tochter ein, ließ Weihnachtspyramiden entstehen und baute für eine Bekannte Puppenhäuser. Nach der Wende zog das Ehepaar nach St. Georgen, woher Oberlings Mutter stammte. Die Pariser Kathedrale Notre Dame, aus 7500 Hölzchen geklebt, war das erste Gebäude, das Oberling bastelte. Es folgten das Brandenburger Tor, die Tower-Bridge, der Eiffeltum, das indische Grabmal Taj Mahal und weitere Wahrzeichen als Bausätze.

Auch der Rücken kann entzücken: Mit dem Modell möchte Oberling das Herzstück der St. Georgener Gesundheitsversorgung den Bürgern im ...
Auch der Rücken kann entzücken: Mit dem Modell möchte Oberling das Herzstück der St. Georgener Gesundheitsversorgung den Bürgern im Gedächtnis halten. | Bild: Jens Wursthorn

Aber auch in St. Georgen habe ihm schon Gebäude Modell gestanden. Das Schwarze Tor hat er ebenso nachgebaut wie das Wanderheim Lindenbüble. Beide Modelle hat er den Besitzern geschenkt. In diese Reihe gesellt sich auch die Miniatur eines typischen Schwarzwälder Bauernhof, dessen Originalvorlage im Glastal steht. Richtig groß wird sein aktuelles Werk: ein Modell der Lorenzkirche, passend zum 150-jährigen Jubiläum dieses Jahr. "Für den Transport kann man den Turm abnehmen", denkt Oberling praktisch. Auch dieses Mal war er gemeinsam mit seiner Frau zum Vermessen im Gotteshaus unterwegs, ehe er später Pläne zur Verfügung gestellt bekam.

Die Lorenzkirche bekommt sogar eine Beleuchtung. "Für das Krankenhaus ließe sich das nachträglich einfügen", ergänzt er. Oberling durchdenkt seine Modelle. Das wird ihm allmählich zuviel. Nach der Lorenzkirche soll deshalb Schluss sein. Eigentlich. Denn die River-Kwai-Brücke aus dem berühmten Spielfilm: Die steht noch auf dem Bau-Plan des agilen Rentners.


In Stadtbesitz

Die Stadt St. Georgen hat das von Gerhard Oberling gefertigte Krankenhausmodell gekauft. "Denn das Gebäude ist bei vielen Bürgern in positiver Erinnerung", sagte Stadtsprecherin Andrea Lauble bei der Vorstellung. Gegenwärtig steht das Modell in einem geschlossenen Nebenraum der Tourist-Info und ist nur durch eine Glasscheibe von der Rathausterrasse aus zu sehen. Das soll sich ändern. Bevor dieses Stück Stadtgeschichte gezeigt werden kann, muss die Anlage zum Schutz vor Staub und Beschädigung mit einer Glashaube versehen werden.