Weil er in einer Notsituation ohne nachzudenken und beherzt zupackte, rettete ein St. Georgener in München einer Frau vermutlich das Leben, die möglicherweise ansonsten von einer S-Bahn erfasst und mitgeschleift oder zumindest ins Gleisbett gestürzt worden wäre. Die Rettungsaktion erregte wie bereits berichtet bundesweite Aufmerksamkeit.

Fahndungsaufruf gestartet

Doch wie erlebten Jürgen Hermann mit seiner Frau Petra und seiner Tochter Finnja diese Zeit in München ganz persönlich? Eigentlich wollten sie nur ein paar entspannte Urlaubstage in der bayrischen Landeshauptstadt verbringen. Ein paar Tage Großstadtluft schnuppern und Tochter Finnja ein Shoppingerlebnis bieten, die das Großstadtflair liebt. Doch statt Einkaufsbummel, leckerem Essen im Hofbräuhaus, flanieren im Englischen Garten und einem lehrreichen Besuch im Deutschen Museum erlebte die Familie zunächst einen Urlaub, den sie nicht vergessen wird. Sogar die bayrische Bundespolizei startete einen Fahndungsaufruf nach ihm. Doch nicht etwa, weil Jürgen Hermann im Verdacht stand, eine Straftat begangen zu haben. Sondern weil sich die Polizei bei ihm für sein beherztes Eingreifen am Bahnsteig bedanken wollte.

„Diesen Urlaub werden wir sicher nicht vergessen“, sagt Jürgen Hermann, als er wieder in St. Georgen ist. Knapp eine Woche ist es jetzt her, dass er in einer Münchner S-Bahn-Station eine im Rollstuhl sitzende Frau davor bewahrte, ins Gleisbett zu stürzen (siehe Infokasten). Als Held fühle er sich deswegen aber auf keinen Fall. „Ein bisschen stolz vielleicht“, gibt er bescheiden zu.

Das Überwachungsbild zeigt den dramatischen Moment.
Das Überwachungsbild zeigt den dramatischen Moment. | Bild: Bundespolizei München

Plötzlich hört er Lärm

Grade mal ein paar Minuten vor dem Ereignis war die Familie am vergangenen Mittwoch in München angekommen. Nachdem er Frau und Tochter im Hotel abgesetzt hatte, fuhr Jürgen Hermann zu einem Park&Ride-Parkplatz und von dort mit der S-Bahn an den Hauptbahnhof zurück. Als er ausgestiegen ist, hörte er einen Lärm etwa 30 Meter hinter sich. Er schaute und sah, dass der aus dem Bahnhof ausfahrende Zug nahezu in voller Länge an einer Frau im Rollstuhl entlang schrammte, deren Rad sich zwischen Bahnsteig und Zug verkeilt hatte.

Spontan zur Rettung geeilt

„Ohne nachzudenken“, wie er sagt, rannte er los und schaffte es, den Rollstuhl samt Frau von der Bahn wegzuziehen und so einerseits zu verhindern, dass die Frau von den Waggons mitgerissen wurde und andererseits, dass sie ins Gleisbett stürzte, wenn der letzte der acht oder neun Waggons vorbeigefahren ist. Zusammen mit einigen weiteren Passanten, die ihm zu Hilfe eilten, konnten sie die Frau retten und den inzwischen eingetroffenen Rettungskräften übergeben. Als Jürgen Hermann sah, dass die Frau medizinisch versorgt wurde, entfernte er sich von der Unglücksstelle, um zu seiner Familie ins Hotel zurück zu kehren. „Ich dachte, der Fall wäre damit erledigt.“

Polizei sucht ihn

Zwar erwähnte Jürgen Hermann den Vorfall beiläufig im Familienkreis, sie maßen der Geschichte jedoch keine weitere Bedeutung bei und widmeten sich ihrem Urlaubsvergnügen. Am Abend entdeckte dann seine Frau Petra auf dem Onlineportal einer Boulevardzeitung ein Foto von der Szene und dem Hinweis, dass der bis dahin unbekannte Retter von der Polizei gesucht werde. „Also bin ich am nächsten Tag zur Bundespolizeistation am Hauptbahnhof. Die Beamten waren sehr nett und haben sich tausendmal für das couragierte Eingreifen bedankt“, sagt Jürgen Hermann.

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Telefon steht nicht mehr still

Als die Bundespolizei tags darauf noch einmal anrief um die Erlaubnis zu bekommen, seine Kontaktdaten an einen oder zwei Zeitungsreporter weiter zu geben, willigte Hermann ein. Doch damit stand das Mobiltelefon praktisch nicht mehr still. „Den ganzen Tag klingelte das Telefon, Reporter von Zeitungen und Radio wollten die Geschichte hören und Interviews und Fotos am Bahnsteig machen“, beschreibt er. Sehr zum Leidwesen von Tochter Finnja, die praktisch alleine durch Deutsche Museum schlendern musste, „weil der Papa die ganze Zeit nur draußen am Telefonieren war“, wie sie sagt. Und die dennoch sehr stolz auf ihren Papa ist, der in ihren Augen schon ein großer Held ist.

Glückwünsche von fremden Passanten

Die medial verbreitete Rettungsaktion sprach sich auch in München schnell herum. „Als wir über den Marienplatz und den Viktualienmarkt gelaufen sind, kamen fremde Menschen auf mich zu und haben mich beglückwünscht“, wundert sich Hermann. Und auch in St. Georgen verbreitete sich die Heldentat schnell. „Von Menschen wie ihnen müsste es mehr geben“, rief ein Mann über die Straße, der den Müncher „S-Bahn-Engel“, wie er von einer Münchner Zeitung bezeichnet wurde, beim Pressetermin erkannte.

Immerhin, nachdem sich der Trubel um seine Person und seine Rettungsaktion gelegt hat, konnten Jürgen Hermann und seine Familie die verbleibenden zwei Tage in München doch noch genießen. Und bei einem Besuch im Englischen Garten und im Thermalschwimmbad ordentlich entspannen.

Jetzt möchte er vor allem wissen: Wie geht es dem Unfallopfer?

Ob sich die Sache jetzt erledigt hat, weil Jürgen Hermann nicht. „Es kann sein, dass ich noch mal nach München kommen muss, um meine Aussage zu machen“, so Hermann. Auch habe der Bundespolizeipräsident von München persönlich anklingen lassen, dass er sich bei dem Retter bedanken wolle. Jürgen Hermann selbst kann sich die ganze Aufregung gar nicht so richtig erklären. „Es passieren doch bestimmt jeden Tag solche Dinge, in denen Menschen anderen, die in Not sind, helfen.“ Viel wichtiger als der Rummel um seine Person wäre für ihn, zu wissen, wie es der Frau geht. „Sie ist sicher noch im Krankenhaus, denn die Verletzungen durch die S-Bahn-Waggons waren erheblich.“ Er wünscht der Frau, die vom Ammersee stammt, „dass sie bald wieder gesund wird.“