Ein 27-Jähriger wird Tage nach seinem Verschwinden von einem Freund tot in Nußbach aufgefunden. Nun fragen sich die Angehörigen: Warum hat die Polizei nicht früher nach dem Vermissten gesucht?
„Ich bin die Strecke, die er nehmen wollte, abgelaufen – und dann habe ich ihn gefunden.“ Jason Rodgers erzählt ruhig und gefasst von dem, was für ihn, seine Freunde und die Familie noch schwer zu verstehen ist: Ein junger Mensch wurde mitten aus dem Leben gerissen, ist von einem auf den anderen Tag weg. Doch in die Trauer mischt sich bei den Freunden und Angehörigen auch Unverständnis – denn sie können nicht nachvollziehen, weshalb die Polizei nicht früher nach dem 27-Jährigen gesucht hat.

Rückblick: Es ist Mittwoch, der 15. Juni. Der Schonacher macht sich zwischen 16 und 16.20 Uhr mit seinem E-Bike auf den Heimweg, will von Nußbach aus über den Lidl weiter in Richtung Schonach fahren. „Am Lidl war er mit seiner Freundin verabredet“, erklärt Rodgers. Doch dort kommt er nie an. Im ersten Moment macht sich die Freundin, wie sein Kumpel erklärt, keine Sorgen. „Sie hat gedacht, dass er vielleicht noch einen Abstecher zu einem Freund gemacht hat.“ Doch: Auch am Donnerstag hören Freunde und Familie nichts von ihm. Zwischenzeitlich fällt ihnen auf: Er hat seine Katzen nicht versorgt. „Das war total untypisch für ihn, seine Freundin hatte große Bedenken.“ Als es auch am Freitag kein Lebenszeichen von ihm gibt, reagiert sie – geht gegen Mitternacht auf das Polizeirevier nach St. Georgen.
Doch die Aufnahme der Vermisstenanzeige ist anders gelaufen, als sie es sich vorgestellt hat. Rodgers erzählt: Die Freundin sei „abgewimmelt“ worden, als 27-Jähriger könne man machen, was man möchte, habe man ihr gesagt. Und „der Beamte hat ihr erzählt, dass es öfter mal passiert, dass ein Mann nicht möchte, dass seine Freundin weiß, wo er ist und er mit einer anderen Frau abgetaucht ist“. Auch ihre Erzählungen, dass ihr Freund unter Depressionen litt und sie deshalb große Sorgen habe, hätten nicht zu einer sofortigen Suche nach dem seit mittlerweile zwei Tagen Vermissten geführt. Bis Montagmorgen habe sie lediglich zwei Anrufe der Polizei erhalten, ob der Freund aufgetaucht sei.
Am Mittag des 20. Juni geht sie schließlich nach Villingen zur Polizei, schildert erneut den Fall. „Die Kriminalpolizei wurde dann sofort eingeschaltet“, erzählt Rodgers. Erst jetzt fühlt sie sich ernstgenommen, hofft, dass nun endlich Suchmaßnahmen eingeleitet werden und die Polizei ihren Freund findet. Doch es kommt anders. „Ich bin am Dienstagmorgen dann selbst losgegangen.“ Er entdeckt seinen Kumpel sechs Tage nach seinem Verschwinden. Die sofort alarmierten Rettungskräfte können nichts mehr für den 27-Jährigen tun. Er war mit seinem E-Bike in das Bachbett des Vordertalbachs gestürzt, erlitt schwerste Kopfverletzungen. Ob man ihm tatsächlich hätte helfen können, wenn die Polizei sofort mit einer Suche begonnen hätte, das möchte der Kumpel gar nicht in den Vordergrund stellen – „aber uns ist es einfach ein Rätsel, warum die Polizei keine große Suche gestartet hat“.
Wir konfrontierten die Polizei mit den Vorwürfen. Polizeisprecher Uwe Vincon erklärt: Die Polizei handelt bei solchen Fällen nach einer speziellen Anweisung für die Bearbeitung von Vermisstenfällen – „nur wenn besondere Merkmale zutreffen, darf die Polizei tätig werden“. Denn grundsätzlich darf jede erwachsene Person „ihren Aufenthaltsort selbst bestimmen und selbst entscheiden, wen sie wann darüber informiert“, betont Vincon.
Die Polizei wehrt sich deshalb gegen den Vorwurf, zu spät etwas unternommen zu haben und verweist auf bestehende Richtlinien. Man habe am Samstag, 18. Juni, erstmals vom Fehlen des Mannes erfahren, „aber bei der Beurteilung aller Fakten keine Hinweise auf eine Eigengefährdung beziehungsweise eine hilflose Lage erkennen können“. Die von der Freundin erwähnten Depressionen habe man laut Polizeisprecher „in die Gesamtbetrachtung mit einbezogen“. Aber: „Selbst wenn er unter Depressionen litt, ist das nicht per se ein Grund, direkt einen Hubschrauber loszuschicken.“ Nachdem der Vermisste am Montag immer noch nicht aufgetaucht sei, habe man die Suche aufgenommen – auch, weil „andere bekannt gewordene Dinge nicht seinen gewohnten Lebensumständen entsprachen“. Vincon: „Wir haben verschiedene Hinwendungsorte und Kontaktadressen bis spät in die Nacht abgeklärt.“ Bevor weitere Suchmaßnahmen in die Wege geleitet werden konnten, sei der Mann schließlich gefunden worden.
Für Rodgers und seine Freunde hat die Angelegenheit dennoch einen faden Beigeschmack. „Wir haben uns nicht gehört gefühlt, die Kommunikation war schlecht“, erklärt er. Deshalb habe er für diesen Fall sensibilisieren wollen, auch wenn sich dadurch an dem tragischen Tod seines Freundes nichts ändern wird.