„Vogel friss oder stirb.“ Gemäß diesem Sprichwort haben die Stadträte im Technischen Ausschuss dem Neubau der Verbindungsstraße vom Industriegebiet-Ost in Schwenningen zum Autobahnzubringer B 523 zugestimmt. Bitter für die Stadt: Die Kosten für das 531 Meter lange Straßenstück haben sich im Laufe eines langen Planungsprozesses von knapp fünf Millionen Euro auf rund 10,4 Millionen verdoppelt. Für das Geld könnte man auch zwei Kindergärten bauen. Angesichts der schwierigen Haushaltslage eine schmerzhafte Entwicklung für den Gemeinderat.

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Altes Anliegen

Die Anbindung des Industriegebiets im Schwenninger Osten an die Bundesstraße wird schon seit Jahrzehnten gefordert und seit vielen Jahren planerisch vorangetrieben. Altgediente Stadträte konnten sich erinnern, dass dieser Straßenbau schon in der Ära des ehemaligen Oberbürgermeisters Gerhard Gebauer ein Thema war. Der geplante Straßenbau dient zum einen der besseren Anbindung des Industriegebiets an das bestehende überörtliche Straßennetz. Zum anderen erwarten die Planer eine erhebliche Verkehrsentlastung der Schwenninger Innenstadt. Sie rechnen damit, dass die neue Straße täglich von über 8000 Fahrzeugen frequentiert wird, die andernfalls durch die Stadt rollen würden.

Neue Standards

Die lange Planungsphase des Projekts hat aber der Stadt einige herbe Mehrkosten beschert. So mussten 2019 die Sicherheitsstandards des Straßenausbaus angepasst werden, da die ursprüngliche Planung aus 2005 stammt. Auch die landschaftsökologische Begleitplanung musste angepasst werden. Auf Wunsch der örtlichen Wandervereine wurde außerdem eine sichere Querungsstellung mit Mittelinsel am Wanderweg „Völkestalweg“ neu aufgenommen.

Herbe Mehrkosten

Zugleich wurde 2019 die Kosten neu berechnet, die 2005 auf rund 4,9 Millionen kalkuliert werden. Mehrkosten entstanden durch die sehr aufwendige Straßenentwässerung, die umfangreichen Vorarbeiten im Straßenkörper der B 523 (Kanalumverlegung, provisorische Baustellenumfahrung), zusätzliche Maßnahmen für den Artenschutz, die Verteuerung der Umplanung durch die inzwischen höheren Anforderungen der Sicherheitsstandards seit 2005 und durch ein gestiegenes Preisniveau für Tief- und Straßenbauarbeiten. Deutlich gewachsen ist auch die Ablösesumme, die die Stadt an das Land überweisen muss. Fällig wird sie, weil die Stadt die Unterhaltung des Brückenbauwerks nach Fertigstellung an die Straßenbauverwaltung des Landes abgibt. Dafür muss die Stadt einmalig rund 1,3 Millionen Euro bezahlen. Und schließlich wurde in die Kalkulation noch eine „Sicherheitsreserve“ von 1,6 Millionen für unvorhergesehen Mehrkosten eingeplant.

Nur zwei Millionen Zuschuss

Insgesamt summieren sich die Baukosten damit auf rund 10,4 Millionen Euro, die in der Bauphase vier Jahre lang von 2020 bis 2023 den städtischen Haushalt belasten. Als Zuschuss vom Land kann die Stadt dabei mit einem Betrag zwischen 1,9 und 2,3 Millionen Euro rechnen. Diese Fördersumme bezieht sich auf die ursprünglich von der Stadt beim Land angemeldeten Kosten von 4,9 Millionen Euro. Um den vollen Fördersatz von weiteren zwei Millionen Euro als Zuschuss vom Land zu bekommen, müsste die Stadt das gesamte Projekt neu anmelden. Dies hätte aber zur Folge, so verdeutliche Oberbürgermeister Jürgen Roht den Stadträten, dass die Stadt nicht 2020 mit dem Bau beginnen könnte. Eine Neuanmeldung ergäbe weitere Risiken wie strengere Gesetze, neue Einsprüche gegen das Projekt, eine Zeitverzögerung von mehreren Jahren und damit wohl auch nochmals deutlich höhere Kosten. Er empfahl dem Gemeinderat daher, das Projekt jetzt in Angriff zu nehmen.

Kreuzungsfrei wird teuer

„Wir müssen zustimmen, wenn auch mit zwei geballten Fäusten in der Hosentasche“, brachte Dietmar Wildi die Stimmung in der CDU-Fraktion zum Ausdruck. Ein wesentlicher Faktor für die Kostensteigerung sei die Entscheidung des Gemeinderates gewesen, den Anschluss der neuen Straße an die B 523 kreuzungsfrei zu bauen. Dies hatten vor allem die Unternehmer im Industriegebiet verlangt. Die Folgen: Nun müssen an der Anschlussstelle der Bundesstraße eine große Brücke mit vier Auf- und Abfahrtsrampen gebaut werden, was das Projekt erheblich verteuert.

Grüne lehnen ab

Dieser Analyse konnte Helga Baur von den Grünen nur beipflichten. Sie zog aber völlig andere Schlussfolgerungen als die CDU. „Das Vorhaben ist völlig überdimensoniert“, kritisierte sie. Anstatt der Brücke mit Rampen hätte es als Anschluss auch ein flächensparender Kreisverkehr getan. „Uns ist das viel zu viel.“ Staus gebe es beim Industriegebiet-Ost nur zu den morgendlichen und abendlichen Stoßzeiten, ansonsten komme man dort gut durch. Die Grünen hätten der Straße zugestimmt, wenn ein Kreisverkehr gebaut worden wäre. So aber lehne die Fraktion die Straße ab. Angesichts der prekären Haushaltslage gebe es wichtigere Vorhaben, etwa die Erneuerung des Schulverbundes Deutenberg.

Ampel statt Brücke?

„Wir glauben schon, dass man diese Anbindung braucht“, bekräftigte Andreas Flöß die Unterstützung der Freien Wähler für die Straße. „Doch die Kosten sind brutal.“ Sein Vorschlag: Anstellte der Brücke und der vier Rampen sollte eine einfach Ampelanlage an der B 523 die Zufahrt regeln. Dies funktioniere an der B 33 bei Peterzell überraschend gut. Zustimmung signalisierte auch Edgar Schurr für die SPD.

Im Oktober geht‘s los

OB Roth erklärte, die Stadt habe keine Zeit mehr für Umplanungen. Der Planfeststellungsbeschluss stamme von 2012 und habe acht Jahre Gültigkeit. „Die Bagger müssen ab Oktober 2020 rollen. Sonst verfallen unsere Fördermittel“, sagte er. „Wir sind jetzt in der Situation, wo wir entscheiden müssen oder das Projekt beerdigen.“ Die Botschaft kam an. Am Ende stimmten elf Ausschussmitglieder für den Bau, vier grüne Stadträte dagegen. Am nächsten Mittwoch soll der Gemeinderat die Straße endgültig beschließen.