Wie verändert die Digitalisierung meinen Arbeitsplatz?

Werde ich in fünf Jahren noch denselben Job ausüben?

Diese Fragen stellen sich immer mehr Arbeitnehmer in der Industrie, denen der Strukturwandel und die zunehmende Automation in den Fabrikhallen nicht verborgen bleibt. Immer mehr Roboter übernehmen Aufgaben in der Produktion, für die früher ein Heer von Arbeitern benötigt wurde. Mittlerweile haben sich die Reihen gelichtet: Deutschland hat nach Südkorea und Singapur weltweit die dritthöchste Dichte an Robotern. Diese Entwicklung bedeutet jedoch bislang nicht, dass Arbeitsplätze verloren gehen: Dort, wo gering qualifizierte Arbeiten wegfallen, entstehen gleichzeitig Jobs, für die gut ausgebildete Mitarbeiter benötigt werden.

Skepsis: Eine Mehrheit ist der Meinung, dass Roboter Arbeitsplätze gefährden.
Skepsis: Eine Mehrheit ist der Meinung, dass Roboter Arbeitsplätze gefährden.

Mehr Wertschöpfung bei gleich vielen Mitarbeitern

Auch bei Kendrion in Villingen verändert die Digitalisierung viele Prozesse und Arbeitsplätze. "Wir steigern unseren Umsatz und Wertschöpfung bei einer konstant bleibenden Mitarbeiterzahl von etwa 450", erklärt Geschäftsführer Ralf Wieland, während neben ihm in der Produktionshalle ein fahrerloses Fahrzeug Teile autonom von A nach B transportiert. Während die klassischen Produktionsarbeiten mittlerweile in Tschechien oder China stattfinden, benötigt das börsennotierte Unternehmen in Deutschland hoch qualifizierte Fachkräfte.

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Sowohl Ralf Wieland als auch Arbeitsagenturchefin Erika Faust, auf deren Initiative der Firmenrundgang bei Kendrion stattfindet, geben sich optimistisch, was die Digitalisierung angeht. "Ohne den Menschen läuft nichts", resümiert Faust.

So viele Unternehmen haben bereits Maßnahmen im Zusammenhang mit Industrie 4.0 umgesetzt oder geplant.
So viele Unternehmen haben bereits Maßnahmen im Zusammenhang mit Industrie 4.0 umgesetzt oder geplant. | Bild: Schönlein, Ute

Vier Mitarbeiter erklären ihren Werdegang

An dieser Stelle kommen vier Mitarbeiter von Kendrion zu Wort, die erklären, wie sich ihr Arbeitsplatz verändert hat und was sie persönlich tun, um in der digitalen Arbeitswelt Schritt zu halten.

Anna Fichter überwacht das sogenannte ERP-System, das zentrale Leit- und Steuerungssystem der Produktion. Die Daten können in Echtzeit ...
Anna Fichter überwacht das sogenannte ERP-System, das zentrale Leit- und Steuerungssystem der Produktion. Die Daten können in Echtzeit analysiert und ausgewertet werden. | Bild: Kevin Rodgers

Anna Fichter: Sie analysiert die Arbeit ihrer Kollegen in Echtzeit

Auch Anna Fichter ist ein Eigengewächs. Die 29-Jährige hat bei Kendrion eine Ausbildung zur Industriemechanikerin absolviert. Danach hat sie berufsbegleitend den Techniker erlangt. Jetzt steht Fichter vor drei großen Monitoren, auf denen bunte Diagramme und Grafiken in Echtzeit Auskunft über die Effizienz von Fichters Kollegen geben. „Früher haben wir diese Daten und Kennlinien aufgeschrieben und danach händisch digitalisiert. Dann konnten wir sehen, wie wir am Vortag gearbeitet haben.“ Jetzt kann das sogenannte ERP-System die Vorgänge an den einzelnen Arbeitsplätzen sofort nachvollziehen. Entsprechend schneller können Änderungen im Ablauf erfolgen. Außerdem gibt es jeden Morgen um 9 Uhr es ein „Shopfloor Meeting“, bei dem die Daten des Systems ausgewertet werden.

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Mit diesem „Großhirn“ der Produktion können mehr Daten schneller ausgewertet werden. Das System soll nicht dazu dienen, die Mitarbeiter zu überwachen. Dennoch sind auch sie von der Beschleunigung betroffen: Fehler können schneller erkannt werden. Das ERP-System hat jedoch auch eine Schwachstelle: Kendrion registriert 25 Hackerangriffe – jeden Tag.

Hat die Kontrolle über den Roboter: Arthur Knapp hat ursprünglich in der Montage bei Kendrion angefangen. Heute parametriert der ...
Hat die Kontrolle über den Roboter: Arthur Knapp hat ursprünglich in der Montage bei Kendrion angefangen. Heute parametriert der 39-Jährige die Roboter einer voll automatisierten Nietanlage, die im Untergeschoss der Firma aufgebaut ist. | Bild: Kevin Rodgers

Arthur Knapp: Er hat in der Montage angefangen, heute programmiert er Roboter

Die Arbeitswelt von Arthur Knapp hat sich in den zehn Jahren, seitdem er bei Kendrion arbeitet, komplett verändert. Angefangen hat er in der Montage, wo er eine CNC-Drehmaschine bedient hat. Von 2014 bis 2017 hat er sich weitergebildet. Heute parametriert er die Roboter einer voll automatisierten Nietanlage, die im Untergeschoss der Firma aufgebaut ist. Knapp ist sich sicher: "Weiterbildung wird in Zukunft ein lebenslanges Thema sein." Und Ralf Wieland stellt auch klar. "Wir betreiben in unserem Unternehmen eine intensive Personalarbeit. Solche Stellen, für die man hoch qualifizierte Leute braucht, wachsen nicht auf dem Baum."

Alexander Jäckle prüft und untersucht den Ausschuss aus der Produktion. Ein Computer liefert ihm dazu vollautomatisch die Daten in eine ...
Alexander Jäckle prüft und untersucht den Ausschuss aus der Produktion. Ein Computer liefert ihm dazu vollautomatisch die Daten in eine Datenbank. | Bild: Kevin Rodgers

Alexander Jäckle: Er meint, dass Mitarbeiter neuen Entwicklungen offen begegnen müssen

Alexander Jäckle zählt in der Villinger Wilhelm-Binder-Straße schon zu den „alten Hasen“ – weniger aufgrund seines Alters, sondern eher, weil er bereits seit mehr als elf Jahren in jenem Unternehmen arbeitet, das viele Einheimische noch unter dem früheren Namen Binder Magnete kennen. Mit der Digitalisierung halten auch viele Anglizismen Einzug in die Arbeitswelt. Und so arbeitet Jäckle in einer Abteilung, die sich „Operative Support“ nennt. Jäckle analysiert den Ausschuss, der im Laufe der Produktion entsteht. Sein Arbeitsplatz ist eine Art produktionsbegleitender Prüfstand. Ein Roboter prüft die Teile und sendet seine Daten und Kennlinien an eine Datenbank. Alexander Jäckle kann an einem Computer diese Daten einsehen und reagieren. Der gelernte Holzbearbeitungsmechaniker hat sich mit Mitte 40 nebenberuflich weitergebildet – unterstützt von seinem Arbeitgeber. „Es ist doch schrecklich, in der Produktion als einfacher Arbeiter immer dasselbe zu tun. Deshalb habe ich mich fortgebildet und auch einen Teil meiner Freizeit investiert“, erklärt Jäckle. Allerdings muss auch ein Mindestmaß an Interesse vorhanden sein. Denn: „Die Komplexität der Arbeit nimmt ständig zu.“

Natalia Schultheiß ist über eine Zeitarbeitsfirma ins Unternehmen gekommen. Nach einer Fortbildung prüft sie Schweißungen unter dem ...
Natalia Schultheiß ist über eine Zeitarbeitsfirma ins Unternehmen gekommen. Nach einer Fortbildung prüft sie Schweißungen unter dem Mikroskop – eine anspruchsvolle Aufgabe. | Bild: Kevin Rodgers

Natalia Schultheiß: Für Sie hat die Weiterbildung beruflichen Aufstieg beschert

Ursprünglich war Natalia Schultheiß nur eine einfache Zuarbeiterin, die über eine Zeitarbeitsfirma zu Kendrion gekommen ist. Als sie nach einem Jahr übernommen wird beschließt die 43-Jährige, sich weiterzubilden. Mehr als zwei Jahre lang, insgesamt 27 Monate, besucht sie neben der Arbeitszeit die Abendschule. Im Sommer 2018 hat sie es geschafft: Seitdem ist Natalia Schultheiß Industriemechanikerin. Mit der Weiterbildung hat sich auch ihr Arbeitsplatz grundlegend verändert. Früher hat sie als einfache Werkerin vergleichsweise einfache Arbeiten erledigt, für die es keine besondere Qualifikation braucht. Heute sitzt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern in einem hellen ruhigen Raum. Ihre Aufgabe ist nun unter anderem, Schweißungen an den produzierten Teilen unter dem Mikroskop zu kontrollieren. „Die normale Produktion wird ein Stück weit verschwinden. Dafür entstehen dann neue Arbeitsplätze, für die es allerdings eine höhere Qualifikation braucht“, ist sich Schultheiß sicher. Auch ihr Chef pflichtet ihr bei: „Wir bilden hauptsächlich aus, um unseren eigenen Bedarf zu decken."