Man stelle sich das Szenario vor: In der Doppelstadt fällt wie derzeit in wenigen Tagen mehr als ein halber Meter Neuschnee. In den Wohngebieten türmen sich die Schneeberg. Doch die Straßen werde nicht mehr geräumt, weil die Stadt am Winterdienst spart. Briefträger und Paketzusteller kommen nicht mehr durch, ebensowenig die Müllabfuhr oder Krankenwagen. Parkplätze am Straßenrand gibt es nicht mehr, Altenheime können nicht mehr angefahren werden.

Diese Grafik zeigt, welche Straßen die Stadt räumen muss (rot) und welche nicht geräumt werden müssen (grün)
Diese Grafik zeigt, welche Straßen die Stadt räumen muss (rot) und welche nicht geräumt werden müssen (grün) | Bild: Müller, Cornelia

Ein solches Zukunftsszenario ist dann vorstellbar, wenn die Sparvorschläge beschlossen werden, die nächste Woche in den Gemeinderatsgremien diskutiert werden. Hintergrund diese Sparpläne ist, wie der SÜDKURIER berichtete, die dramatisch aus dem Gleichgewicht geratene Finanzlage der Stadt. Ein jährliches Defizit von 17 Millionen Euro muss bis 2024 geschlossen werden.

Noch sind die Räum- und Streufahrzeuge der Stadt in den Wohngebieten voll im Einsatz. Allerdings wird diskutiert, den Winterdienst im ...
Noch sind die Räum- und Streufahrzeuge der Stadt in den Wohngebieten voll im Einsatz. Allerdings wird diskutiert, den Winterdienst im nächsten Jahr stark zu reduzieren, um Kosten zu sparen. | Bild: Hans-Juergen Goetz

Auf dem Tisch liegt daher der Antrag der Stadtverwaltung, den städtischen Winterdienst um jährlich rund 900 000 Euro zu kürzen. Das kommt etwa einer Halbierung des bisherigen Budgets gleich. Ein Thema mit Brisanz, dass im Gemeinderat noch zu kontroversen Diskussionen führen könnte. Ein Thema auch zur Unzeit? Angesichts der derzeitigen heftigen Schneefälle schütteln viele Bürger nur den Kopf bei diesen Vorstellungen, in Leserbriefen wird Protest geäußert. Auch Kenner des Winterdienstes warnen.

Die Rechtslage

Rein rechtlich, das hat die Stadtverwaltung geprüft, wären weitreichende Kürzungen beim Winterdienst möglich. Nämlich dann, wenn die Stadt nur noch den Pflichtbereich erfüllen würde. Doch was ist der Pflichtbereich? Dazu führt die Verwaltung in der Sitzungsvorlage für die Haushaltsberatungen Folgendes aus: Nach der Rechtslage und der ständigen Rechtsprechung bestehe eine Räum- und Streupflicht zugunsten des Fahrzeugverkehrs nur innerhalb der geschlossenen Ortslage „an gleichzeitig gefährlichen und verkehrswichtigen Straßen“.

Reine Radwege sind laut Rechtslage ebenfalls „nur an gleichzeitig gefährlichen und verkehrswichtigen Stellen“ zu streuen. Für kombinierte Geh- und Radwege wird juristisch ein verpflichtender Winterdienst abgeleitet. Für Gehwege außerhalb der geschlossenen Ortslage besteht keine Streupflicht. Für Gehwege innerhalb der geschlossenen Ortslage wurde in VS durch die Räum- und Streupflichtsatzung der Winterdienst auf Gehwegen an die Anlieger übertragen.

380 Kilometer „entbehrlich“

Der verpflichtende Teil des Winterdienstes, also Hauptverkehrswege und gefährliche Bereiche sowie das Hauptradewegenetz, umfasst nach Berechnung der Stadtverwaltung eine Straßenlänge von rund 290 Kilometer. Das heißt im Umkehrschluss: Weitere 380 Kilometer innerstädtischer Straßen müssen von Rechtswegen nicht verpflichtend von der Stadt geräumt werden. Hier könnte die Stadt also ihre bisherige Leistung einstellen. Betroffen wären davon die meisten Straßen in Wohngebieten, alle Tempo-30- und Tempo-7-Zonen, Wirtschaftswege, Spazierwege, Radwege außerhalb des Hauptradwegenetzes und untergeordnete Gemeindeverbindungsstraßen. Dort wäre der Winterdienst nach den Worten der Stadtverwaltung „entbehrlich“.

In der November-Sitzung der Haushalts-Strukturkommission, welche den Haushalt der Stadt nach Einsparungen durchforstet hat, wurde ein Einsparpotenzial von jährlich 900 000 Euro beim Winterdienst angenommen. Damit würde der gesamte „entbehrliche Winterdienst“ für 380 Kilometer Verkehrswege in VS in Zukunft wegfallen. Umgesetzt werden könnte dies ab dem Winter 2021/22.

Dietmar Wildi: „Ich bin skeptisch, ob die Stadtverwaltung dieses Thema bis in die Tiefe durchdacht hat.“
Dietmar Wildi: „Ich bin skeptisch, ob die Stadtverwaltung dieses Thema bis in die Tiefe durchdacht hat.“ | Bild: SK

Ob dieser Vorschlag allerdings tatsächlich eins zu eins umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt Papier. Stadtrat Dietmar Wildi (CDU) äußerte sich skeptisch, „ob die Stadtverwaltung dieses Thema bis in die Tiefe durchdacht hat“. Wildi kennt den Winterdienst aus eigener Anschauung zur Genüge. Der Gartenbaubetrieb Wildi hat 50 Jahre lang, von 1967 bis 2017, im Auftrag der Stadt Schneeräumaufgaben übernommen.

Experten warnen

Der Kommunalpolitiker kann sich schwerlich vorstellen, dass die Stadtverwaltung künftig keinen Finger rührt, sollten Wohngebiete wie zur Zeit im Schnee versinken, während die Bürger morgens gezwungen sind, bis um 7 Uhr ihre Gehwege freizuschippen. Der Ärger wäre vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass in schmalen Anliegerstraße kaum mehr geparkt werden kann und auch die Müllabfuhr nicht mehr durchkommt. Wildi verweist außerdem auf die erhöhte Gefährdung der Verkehrsteilnehmer sowie die Beeinträchtigung der Einsätze von Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehr.

Allerdings räumt der Stadtrat durchaus ein, dass schneereiche Winter wie der gegenwärtige mittlerweile die Ausnahme sind. Insofern hätten die Einsparbetrachtungen durchaus „ihre Berechtigung“, betont er. Die Frage sei daher nicht ob, sondern wie man den Winterdienst neu aufstellt, um einerseits seine Leistungskraft zu erhalten und andererseits Kosten zu reduzieren. Sein Vorschlag: Räum- und Streuaufgaben sollten noch mehr als bisher an private Akteure wie Landwirte oder Baufirmen vergeben werden. Damit könnte die Stadt kostspielige Vorhaltungen von städtischem Personal und Fahrzeugen reduzieren. Auf diese Weise bliebe der Winterdienst bedarfsgerecht und dauerhaft kostengünstiger.

Stadtrat Wolfgang Zimmermann glaubt: „Die Leute in den Wohngebieten werden auf die Barrikaden gehen.“
Stadtrat Wolfgang Zimmermann glaubt: „Die Leute in den Wohngebieten werden auf die Barrikaden gehen.“ | Bild: SK

Wird nicht funktionieren

Ebenfalls seit Jahrzehnten arbeitet der Obereschacher Landwirt und CDU-Stadtrat Wolfgang Zimmermann, wie schon sein Vater, für den städtischen Winterdienst. Er selbst sieht allerdings kaum Einsparmöglichkeiten. „Ich bin auch für Sparen“, unterstreicht der Kommunalpolitiker, „ich glaube aber nicht, dass es beim Winterdienst funktioniert.“ Lässt man den Schnee lange liegen, wird der Aufwand umso höher, später das Eis zu entfernen. Und die verstärkte Vergabe des Räum- und Streudienstes an Privatunternehmen? Auch hier ist Zimmermann skeptisch: „Es wird schwierig, dafür genügend Privatleute zu bekommen“, stellt er fest. Viele Bauunternehmen wollen ihre Fahrzeuge nicht den ganzen Winter im Streusalz rumfahren lassen wollen, weil sie schnell verrosten. Außerdem, warnt er, dürfte eine so weitgehende Einsparung politisch kaum durchzuhalten sein. „Die Leute in den Wohngebieten werden auf die Barrikaden gehen“, ist er sich sicher.