Die heimischen Wohlfahrtsverbände haben einen Brandbrief an die Stadt geschickt. Und weil die Verwaltung bisher nicht reagierte, ging das Schreiben nun auch an die Stadträte.
Unterzeichnet ist das Schreiben von den Geschäftsführern der Wohlfahrtsverbände Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, dem Roten Kreuz und dem paritätischen Wohlfahrtsverband.
Die Unterzeichner berufen sich auf vielfältige Klagen von Flüchtlingen, die diese vor allem gegenüber den Mitarbeitern in den Beratungsstellen von Caritas, Diakonie und Rotem Kreuz geäußert haben. Sie schildern in dem Brief, der dem SÜDKURIER vorliegt, „teilweise untragbare Zustande in bestehenden Mietverhältnissen“.
Weiter heißt es: „Die Beraterinnen und Berater erleben, dass Kellerräume als Wohnung deklariert werden, Wohnungen von Schimmel befallen sind, Heizungen defekt oder gar nicht vorhanden sind (Heizung durch Heizlüfter), nicht selten undichte Fenster, defekte Steckdosen oder herausstehende Stromkabel und die fehlende Umsetzung von Feuer- und Brandschutzbestimmungen.“
Die Mängel würden trotz Aufforderung von Vermietern nicht behoben, im Gegenteil werde häufig mit Kündigung gedroht. In der Beratung komme zur Sprache, dass in manchen Fallen auch Zusatzzahlungen als Schwarzgeld gefordert werden, um die Wohnung zu bekommen.
Berichte über Einschüchterungen
Die Menschen berichteten auch von Einschüchterungen und beklagen, unter Druck gesetzt zu werden. Es gebe Drohungen bei Zahlungsverzug mit rechtlich unzulässigen Kündigungen. In anderen Fällen würden Anzahlung, die bei Mietrückstanden vorgenommen wurden, unterschlagen, bei Konflikten oder Beschwerden des Mieters werde mit Kündigung oder Anzeige gedroht.
Aus Angst hätten einige Mieter die Wohnungen verlassen, was in Einzelfällen schon zu Obdachlosigkeit und in Folge dessen zu aufenthaltsrechtlichen Schwierigkeiten geführt habe.
Verdacht auf Prostitution und Drogen
Weitere Vorwürfe lauten auf Mietwucher, diffuse Nebenkostenabrechnungen, unrechtmäßiges Betreten der Wohnungen durch Vermieter. Bekannt seien auch in einigen Fällen der „Verdacht der Zwangsprostitution und des Drogenhandels“, beklagt die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände in ihrem Schreiben.

Alfred Zahn vom Kinderschutzbund Villingen-Schwenningen, der das Scheiben als Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes im Schwarzwald-Baar-Kreis formuliert hat, erklärt auf SÜDKURIER-Nachfrage, dass er persönlich keinen Einblick in diese Verhältnisse habe.
Ihm sei aber von den Vertretern des Roten Kreuzes, der Caritas und der Diakonie versichert worden, das es sich hier nicht um wenige Einzelfälle handle. „Mir wurde gesagt, das sind verschiedene Mietobjekte und verschiedene Vermieter.“
Betroffene haben oft Angst
Das Problem der Flüchtlingsbetreuer sei es, erläutert Zahn, dass die Betroffenen meist nicht bereit seien, sich zu wehren oder Anzeige bei den Behörden oder der Polizei zu stellen.
„Die trauen sich nicht, weil sie Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren und fast keine Chance haben, eine neue, bezahlbare Wohnung zu finden“, beschreibt er das rechtliche Dilemma. Damit seien auch den Beratungsstellen die Hände gebunden.
Verschärfung durch Flüchtlingswelle
Das bedrückende sei, dass diese Verhältnisse von den Vertretern der örtlichen Wohlfahrtsverbände bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs festgestellt und schriftlich an die Stadtverwaltung berichtet wurde. Das Schreiben ist vom 23. Februar datiert, ein Tag vor Kriegsausbruch. Zahn geht davon aus, dass sich die Problematik durch die Flüchtlingswelle aus der Ukraine „zuspitzen wird“.
Für die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände wird, so heißt es in dem Brief, „auf eine weitere, hier sehr dramatische Weise deutlich, dass wir einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Villingen-Schwenningen haben“.
Doch was kann man tun? Die Wohlfahrtsverbände, so Zahn, wollen nach Lösungen suchen und Vertreter der Stadt und des Landkreises einladen, um über geeignete Maßnahmen zu beraten. Denn auch im Landkreis gebe es ähnliche Schilderungen von Missbrauch.
Lösungsansatz: Stadt als Mieter
Ein möglicher Lösungsansätze könnte darin bestehen, dass Stadt und Kreis als Vertragspartner von Wohnungsvermietungen an Migranten auftreten. Damit bekämen die Vermieter die Sicherheit, dass das Geld regelmäßig kommt. Die Mieter könnten indes von Missbrauch und Ausnutzung durch die Stadt nachhaltig geschützt werden.
Die Frage ist, ob die Kommunen darauf eingehen. Villingen-Schwenningen habe solche Vertragsübernahmen schon probiert, berichtet Alfred Zahn, und dabei auch schlechte Erfahrungen gemacht.
Bezahlbaren Wohnraum schaffen
Jedenfalls sind die Wohlfahrtsverbände willens, das Problem anzugehen. Dabei wollen sie auf Erfahrungen der Stadt Karlsruhe zurückgreifen, die auf diesem Feld schon vieles ausprobiert habe, um die Wohnsituation von Menschen am unteren sozialen Rand zu verbessern. Ziel sei es, bestehende Missstande aufzudecken und Konzepte für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu entwickeln.

Oberbürgermeister Jürgen Roth zeigte sich am Dienstag im Technischen Ausschuss nur oberflächlich informiert über das Schreiben. Er konstatierte aber, dass es zunehmend Menschen geben, die Notlagen anderer hemmungslos ausnützten. „Wir haben da auch einige schlimme Vermieter in Villingen-Schwenningen“, stellte er fest. Allerdings könne die Stadt oft nur „eingeschränkt dagegen vorgehen“.