Herr Mössinger, die Albert Schweitzer Klinik ist zurzeit nicht nur Reha-Klinik, sondern auch Reserveklinik für Corona-Patienten. Wie kam es dazu?
Unter dem Eindruck der damals raschen, exponentiellen Ausbreitung des Virus trat Mitte März ein Corona-Krisenstab zusammen. Initiiert vom Bundeskanzleramt gehörten dazu die zuständigen Ministerien und die einzelnen Bundesländer. Hier wurden Beschlüsse gefasst, die Zustände verhindern sollten, wie wir sie in anderen Ländern mit ansehen mussten. Unter anderem wurde beschlossen, dass Rehakliniken Reservekliniken für die Akutkrankenhäuser werden sollten. Diese Verordnung wurde über die Länder auf Kreisebene herunter gebrochen. Am 24. März hat Landrat Sven Hinterseh deshalb alle Rehakliniken des Landkreises zusammen mit der Klinikleitung des Schwarzwald Baar Klinikums (SBK) zu einer Telefonkonferenz geladen. Am Folgetag haben wir uns mit der Klinikleitung des SBK und dem ärztlichen Leiter des Corona-Zentrums in Donaueschingen, Dr. Bremer, in Verbindung gesetzt. Wir haben unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit angeboten. Unsere Klinik spielt so eine aktive Rolle in der Pandemieplanung. Dann ging, angesichts der zum damaligen Zeitpunkt rasch steigenden, stationären Patientenzahlen, alles recht schnell: Innerhalb einer Woche erfolgte der Umbau eines Kliniktraktes in eine Corona-Abteilung. Auch die endgültige Abstimmung der Behandlungspfade mit den Verantwortlichen des SKB und die Übernahme der ersten Patienten gelangen uns in diesem kurzen Zeitraum.
Ist die Albert Schweitzer Klinik die einzige Rehaklinik im Schwarzwald-Baar-Kreis, die Corona-Patienten aufnimmt?
Von den fast 30 Rehakliniken des Landkreises sahen sich letztlich fünf in der Lage, das SBK zu unterstützen. Dies geschah teils dadurch, dass beispielsweise Patienten aus Pflegeheimen übernommen wurden, teils auch durch die Bereitstellung von Personal.
Es werden also Corona-Patienten aus Donaueschingen aufgenommen. Ist die Expertise vor Ort vorhanden, um die Patienten zu behandeln?
Die Corona-Erkrankung ist in erster Linie eine Infektion, die eine Lungenentzündung hervorruft und damit eine Lungenerkrankung darstellt. Deshalb ist zur Behandlung auch eine lungenfächärztliche, pneumologische Expertise erforderlich. In der Albert Schweitzer und Baar Klinik werden im Rahmen der Rehabilitation neben psychosomatischen und kardiologischen Patienten jährlich um 1200 pneumologische Patienten behandelt. Neben der hierfür erforderlichen Diagnostik verfügt die Klinik deshalb auch über das ärztliche, pflegerische und therapeutische Personal, mit langjähriger Erfahrung in der Behandlung dieser Patienten. Unter anderem arbeiten hier zwei Lungenfachärzte. Auch die entsprechende Infrastruktur, beispielsweise mit einer zentralen Sauerstoffversorgung für jedes Patientenzimmer, ist vorhanden.
Wie viele Corona-Patienten befinden sich derzeit in der Klinik? Und wie viele wurden insgesamt aufgenommen?
Derzeit sind noch 18 Patienten stationär bei uns. Insgesamt wurden bislang über 30 Patienten behandelt. Nachdem in Fachkreisen langsam bekannt wurde, dass unsere Klinik sowohl Corona-Patienten als Reserveklinik behandelt, als auch im Rahmen einer Rehabilitation nach einer überstandenen Corona-Infektion weiterhilft, mehrten sich auch die Anfragen aus anderen Kliniken.
Für wie viele Corona-Patienten ist in der Klinik Platz?
In der Corona-Abteilung könnten im Regelbetrieb bis 60 Patienten betreut werden, im Katastrophenfall, den wir uns alle nicht wünschen, bis zu 90 Patienten. Allerdings müsste dann das Personal weiter aufgestockt werden.
Werden die Patienten auf einer extra Station betreut? Welche Schutzmaßnahmen wurden dafür getroffen?
Die Corona-Patienten werden in einem eigenen Gebäudetrakt behandelt. Dieser ist baulich – und in der Organisation der Betreuung dieser Patienten – komplett getrennt von den Patienten in der Rehabilitation. Diese Patienten unterliegen einer strikten Isolierung, ein Kontakt zu den Reha-Patienten oder der Bevölkerung in Königsfeld ist ausgeschlossen. So wurden unter Mitarbeit unseres Hygieneinstituts und der Arbeitssicherheit im Corona-Bereich zum Beispiel völlig getrennte Zugänge für das Personal und die Zufahrt der Rettungsdienste für die Patienten eingerichtet. Es wurde eine Schleuse für das Personal installiert, Bereichskleidung und persönliche Schutzausrüstung angeschafft und es wurden entsprechende Schulungen vorgenommen.
Wie geht es den Corona-Patienten, die zu Ihnen kommen? Haben sie noch Symptome oder sind alle auf dem Weg der Besserung?
Die Patienten haben im Prinzip alle eine schwere Lungenentzündung erlitten, mussten deshalb im Corona-Zentrum zunächst intensivmedizinisch behandelt und stabilisiert werden. Wenn sie dann noch eine weitere lungenfachärztliche Behandlung benötigen, können sie in unsere Klinik übernommen werden. Das bedeutet: Ja, alle Patienten sind noch schwer erkrankt, aber stabil. Ansonsten hätten sie auch direkt aus dem Corona-Zentrum nach Hause entlassen werden können.
Wie genau werden die Fälle vor Ort behandelt? Wie lange sind die Patienten im Schnitt in der Klinik?
Wir müssen uns vom Zustand dieser Patienten bei einer täglichen ärztlichen Visite ein Bild machen. Vitalparameter, insbesondere der Atmung, müssen überprüft werden. Mehrmals pro Woche wird eine Blutgasanalyse durchgeführt, um festzustellen, ob eine weitere Sauerstoffgabe erforderlich ist. Neben der pflegerischen Betreuung erhalten die Patienten eine intensive Atemtherapie, Physiotherapie, psychologische Unterstützung und eine Betreuung durch unseren Sozialdienst. Letzterer kümmert sich beispielsweise um alles rund um die Entlassung der Patienten. Im Schnitt sind die Patienten deshalb noch 10-14 Tage stationär bei uns.
Was bedeutet die Behandlung von Corona-Patienten für den Reha-Betrieb? Findet dieser eingeschränkt statt oder läuft er normal weiter?
Prinzipiell arbeiten beide Bereiche unabhängig voneinander. Eine Einschränkung des Reha-Betriebs ergibt sich eher dadurch, dass z.B. die Deutsche Rentenversicherung dazu aufgerufen hat, angesichts der Pandemie planbare Heilverfahren derzeit nicht durchzuführen, und auch in den Akutkliniken werden nicht zwingend notwendige, planbare Eingriffe derzeit verschoben, weshalb auch weniger Anschlussheilbehandlungen angemeldet werden. Unter dieser Situation haben derzeit praktisch alle Rehakliniken zu leiden.
Wurde Personal aufgestockt, um die Corona-Patienten aufzufangen? Wie stemmen Sie Reha-Betrieb und Reserveklinik-Betrieb gleichzeitig?
Dadurch dass die Patientenzahlen im Reha-Bereich rückläufig waren, konnte Personal in den Corona-Bereich übernommen werden. Auch aus anderen Rehakliniken im Landkreis, die aktuell Kurzarbeit beantragt haben, konnte uns Pflegepersonal unterstützen. Letztlich entlasteten uns auch Mitarbeiter aus weiteren Kliniken der Mediclin.
Die Corona-Patienten, die Sie aufnehmen: Wie alt sind diese im Schnitt? Leiden sie unter Vorerkrankungen?
Die Patienten sind zwischen 24 und 95 Jahre alt, eher im mittleren Alter und haben nur im geringeren Anteil relevante Vorerkrankungen.
Wie schätzen Sie die Lage momentan ein? Bemerken Sie einen Anstieg der Fälle oder ist die Patientenzahl gleichbleibend?
Im Moment ist die Patientenzahl konstant, bis leicht rückläufig. Allerdings ist ein erneuter Anstieg der Zahlen, aufgrund der erfolgten Lockerung der Beschränkungen im öffentlichen Leben, nicht auszuschließen.
Ist die Klinik bis auf die Corona-Patienten virusfrei? Oder gab es schon Corona-Fälle unter dem Personal oder bei Reha-Patienten?
Vereinzelte Fälle gab es zu Beginn der Pandemie, als noch Besuche in den Kliniken erlaubt waren. Daraufhin hat die Klinikleitung in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsamt umfangreiche Hygiene- und Verhaltensregeln beschlossen und umgesetzt, zum Teil noch bevor diese offiziell von Seiten der Behörden erlassen wurden. Seither gab es keine weiteren Fälle.
Was ist für Sie die größte Herausforderung vor Ort?
Primär war es die komplette Umwandlung eines Teils der Klinik in eine Isolations-Abteilung, und das unter hohem Zeitdruck. Dabei haben jedoch alle Mitarbeiter, teilweise in Überstunden, mitgeholfen und an einem Strang gezogen. Auch Ängste oder Unsicherheit, die teilweise beim Personal herrschten, konnten durch Schulungen und praktische Unterweisungen abgebaut werden. Mittlerweile haben sich die Routinen etabliert.
Welche positiven Erfahrungen haben Sie mit der Reserveklinik gemacht?
Da möchte ich die inzwischen positive Resonanz der Mitarbeiter auf die Corona-Abteilung hervorheben. Und die Dankbarkeit der Patienten für die Betreuung und dafür, diese Krankheit überlebt und überstanden zu haben.
Fragen: Hanna MayerÜber die Mediclin Albert Schweitzer Klinik und Mediclin Baar Klinik
Die Mediclin Albert Schweitzer Klinik / Mediclin Baar Klinik vereint drei Fachdisziplinen unter einem Dach: die Fachklinik für Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, die Fachklinik für Atemwegserkrankungen, Allergien und Schlafmedizin und die Fachklinik für Psychosomatik und Verhaltensmedizin. Die Schwerpunkte der Klinik liegen in der Behandlung von Adipositas, Schlafstörungen, Mukoviszidose und psychokardiologischen Krankheitsbildern. Die Klinik verfügt über 290 Betten und beschäftigt rund 170 Mitarbeiter. Zum Mediclin Standort Königsfeld gehört auch die Mediclin Seniorenresidenz Hermann-Schall-Haus. (sk)

Zur Person
Bernd Mössinger, 60 Jahre alt, ist Chefarzt der Pneumologie, Allergologie und Schlafmedizin an der Mediclin Albert Schweitzer Klinik. Seit 20 Jahren ist er in der Königsfelder Klinik tätig. Mössinger promovierte nach dem Medizinstudium an der Universität Freiburg in der Lungenheilkunde.