Fußball: Mit stylischem Karo-Hemd, gelben Turnschuhen und strahlendem Gesicht betritt Todor Staykov das gemütliche Vereinsheim des TSV Aach-Linz. Sein Herzensclub. Der Mittelfeldspieler mit seinen auffälligen Haaren wirkt gut gelaunt, freut sich auf den Pressetermin. Weil es für den Bulgaren eine Ehre ist. Aber auch, weil er seine Geschichte erzählen will, um Menschen mit ähnlichem Schicksal Mut zu machen. Die Geschichte eines 39 Jahre alten Mannes, der gegen Depressionen kämpft und sagt: „Der Fußball hat mich vor meinem Tod gerettet.“
Aufgewachsen in Bulgarien
Am 13. Oktober 1985 kommt Todor Staykov auf die Welt. Er wächst in seiner Heimat in Bulgarien auf – bei seinen Eltern, mit denen er heute noch jeden Tag telefoniert, die er zwei bis drei Mal im Jahr besucht und vermisst: „Sie bedeuten mir alles. Ich bin dankbar für jedes Gespräch mit ihnen.“
Als Kind raten ihm die Ärzte vom Fußballspielen ab, denn der junge Todor ist Asthmatiker. Erst als er ins Teenager-Alter kommt, findet er einen Weg, seine Leidenschaft auszuüben – mit 14 fängt er schließlich mit dem Fußballspielen an. Schnell wird klar: Staykov ist talentiert. Fünf Jahre lang spielt er in Beroe im Internat, ehe er ausgebremst wird durch eine Leistenoperation, die nicht nach Plan läuft. Er bricht daraufhin ab, hört mit dem Fußball auf.
Als er 2010 nach Deutschland zieht und ein für ihn komplett neues Kapitel beginnt, wagt er auch einen sportlichen Neustart: „Ich konnte die Sprache nicht, ich hatte keine Arbeit“, sagt Staykov, dem der Fußball in dieser Phase Halt gibt. Über den SC Pfullendorf und FC Krauchenwies landet er schließlich 2015 beim TSV Aach-Linz, wo er auch heute noch am Ball ist.
„Ich hätte damals nie gedacht, dass ich so lange beim TSV sein werde“, sagt der defensive Mittelfeldspieler, der beim Bezirksligisten aus dem Linzgau mehr als einen Verein gefunden hat. Einen Rückzugsort. Ein Clubgelände, das er für jedes Training gerne anfährt. Und vor allem aber Menschen, die für Staykov mehr als Teamkollegen sind. „Die Mannschaft bedeutet mir alles. Ich liebe diese Jungs.“
„Innerlich war ich kaputt“
Doch in seiner Anfangszeit bei den Aach-Linzern merkt Todor Staykov auch, dass es ihm psychisch nicht gut geht. Mit Medikamenten und Therapien stabilisiert sich sein Zustand über die Jahre, 2023 kehren die Depressionen aber zurück. „Ich habe gedacht, dass ich das selbst schaffe und zu lange gewartet“, sagt Staykov, der letztlich im Sommer des vergangenen Jahres die Reißleine zieht: Er geht ins Krankenhaus.
Im August 2024 kehrt er nach drei Monaten in der Klinik zurück in seinen Alltag. Staykov arbeitet als Operationstechnischer Assistent im Helios-Spital in Überlingen. Anderen Menschen zu helfen, für ihn ist das mehr als nur ein Beruf. Nur sich selbst kann er in dieser Zeit nicht helfen. Gegen Ende des Jahres merkt er, dass er keine Kraft mehr hat. Weinend sitzt er zuhause, Staykov ist antriebslos. „Ich hatte vor anderen Menschen immer eine Maske auf, aber innerlich war ich kaputt“, sagt er. Zu spät habe er sich professionelle Hilfe geholt, zu spät habe er sich seinen engsten Vertrauten geöffnet.
Suizidgedanken Ende 2024
Heute spricht er sogar offen über seine Suizidgedanken. „Ich habe geplant, wie ich es mache. Für meine Freunde und Familie war das natürlich unfassbar hart. Jetzt bin sehr froh, dass ich meinen Plan nicht umgesetzt habe“, sagt er. Und er appelliert an Menschen, denen es psychisch nicht gut geht: „Öffnet euch, sucht euch Hilfe. Lieber heute, weil es morgen zu spät sein könnte.“
Was ihm in der schwersten Phase seines Lebens hilft? „Der Fußball hat mir mein Leben gerettet.“ In den Trainings vergisst er für 90 Minuten alle Probleme und Sorgen, auf jede Einheit in der Mannschaft von Trainer Patrick Hagg freut er sich. Und das, obwohl er immer wieder aufhören wollte. „Die Psychologen haben mir geraten, weiter zu spielen, weil es mir gut tut. Es war eine wichtige Entscheidung. Ich schätze jede Minute auf dem Platz“, sagt Staykov, der trotz seiner bald 40 Jahre und mehreren Verletzungen während seiner Laufbahn nun mit einem breiten Lachen sagt: „Ich glaube, dass ich noch eine Saison dranhängen werde.“
Noch eine Spielzeit, vielleicht ja auch zwei. Weil der Fußball für Todor Staykov, der sich weiter täglich mit seiner Depression beschäftigt und seit Januar eine neue medikamentöse Therapie macht, heilend wirkt. „Der Verein kann mir was geben und ich kann dem Verein etwas zurückgeben. Das ist das Schöne“, sagt der Mittelfeldmann, der auch nach zehn Jahren mit Höhen und Tiefen „glücklich und zufrieden“ ist, das TSV-Trikot zu tragen.
Nicht zu ersetzen beim TSV
Sein sportlicher Wert ist unbestritten. Todor Staykov ist nach wie vor der Denker und Lenker im zentralen Mittelfeld. Als Sechser bestimmt er den Rhythmus. „Ich war noch nie der Schnellste, aber ich glaube, dass ich das Spiel gut lesen kann“, sagt er. Seine größte Stärke sieht Staykov allerdings in seinem Charakter: „Ich bin ein Typ, der nie aufgibt.“
Jahrelang führte er seine Mannschaft als Kapitän aufs Feld. Ein Amt, das er im Sommer an Innenverteidiger Nico Restle weitergab. Auch aufgrund der psychischen Belastung. Weil sich Staykov mit seiner Krankheit nicht noch mehr Steine in den Rucksack packen wollte. Dennoch dirigiert er auch ohne Binde das Spiel des Aufstiegsaspiranten. Und auch wenn der Stratege den SV Denkingen als das Team mit der höchsten individuellen Qualität einschätzt, sagt er: „Ich bin leider ein Perfektionist. Für mich gibt es als Ziel nur den ersten Platz.“
Viele schöne Momente mit Aach-Linz
Das traut Staykov seinem Team auch zu, schließlich habe sich die Hagg-Elf sehr gut entwickelt. Obwohl mit Erik Dukart der beste Bezirksliga-Torjäger der vergangenen Runde den Club Richtung des Landesligisten FC 03 Radolfzell verlassen hat. „Wir sind extrem eng zusammengewachsen. Die Mannschaft glaubt an sich. Wir können sogar noch viel mehr“, sagt Staykov, der sich an viele schöne Momente erinnert. An einen Freistoß-Siegtreffer von ihm gegen den FC Hilzingen in der Nachspielzeit, der frenetischen Jubel auslöste.

Natürlich aber vor allem auch an die beiden Bezirkspokalsiege 2017 und 2024. Beim Erfolg im vergangenen Jahr musste Staykov aufgrund einer Syndesmosebandruptur passen, dennoch hatte er beim Sieg gegen den FC Hilzingen in Orsingen-Nenzingen einen entscheidenden Anteil: „Ich werde meine Halbzeitansprache nie vergessen, weil ich bei Mitspielern Tränen in den Augen gesehen habe. Patric Scherer hat zu mir danach gesagt, dass meine Ansprache das Spiel gewonnen hat.“ Auch beim Feiern zeigte sich Staykov emotional, mit dem Megafon heizte er die Party an.
Jubeln mit seinem Team würde Staykov am liebsten auch in zwei Monaten. Aufstieg in die Landesliga? Für Aach-Linz wäre das historisch. Auch für Staykov wäre dies ganz besonders. Wobei es für den 39-Jährigen schon ein Privileg ist, sich im Aach-Linzer Vereinsheim über sein Hobby zu unterhalten. Weil der Fußball sein Leben gerettet hat.
Depressiv? Hier finden Sie Hilfe
Die Telefonseelsorge ist anonym und kostenlos unter (0800) 1110111 und (0800) 1110222 erreichbar. Der Anruf taucht weder auf der Telefonrechnung noch im Einzelverbindungsnachweis auf. Per Chat ist das Angebot erreichbar unter online.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit Hilfsstellen findet sich auf www.suizidprophylaxe.de