Der 10. September 1997, Vorrunde bei der U-17-WM in Ägypten. Rund 80 000 Zuschauer drängen sich im Cairo International Stadium, einige Tausend mehr, als in der zweitgrößten Fußball-Arena des Landes eigentlich zugelassen sind. Auf dem Platz führt der Rielasinger Jens Truckenbrod die deutsche Nationalmannschaft als Kapitän ins Spiel gegen den Gastgeber, der, angepeitscht von den fanatischen Fans im Kairoer Hexenkessel, ein 1:1 gegen den DFB-Nachwuchs herausholt.

„Das riesige Stadion. Die Lautstärke. Dann die Nationalhymne. So etwas vergisst Du nie“, sagt Jens Truckenbrod 23 Jahre später über einen großen Höhepunkt in seiner Fußballer-Karriere, „das nimmt dir keiner mehr.“ Das deutsche Team kommt bis ins Halbfinale, ein weiterer Meilenstein für den jungen Truckenbrod. Im Kampf um den Einzug ins Endspiel erweist sich dann allerdings Brasilien als zu große Hürde und verweist Deutschland mit 4:0, unter anderem durch ein Tor eines gewissen Ronaldinho, in die Schranken.

Jens Truckenbrod (Dritter von rechts, neben Torwart Roman Weidenfeller) 1998 im Trikot der deutschen U-18-Nationalmannschaft.
Jens Truckenbrod (Dritter von rechts, neben Torwart Roman Weidenfeller) 1998 im Trikot der deutschen U-18-Nationalmannschaft. | Bild: imago sportfotodienst

Trotz der Niederlage erinnert sich Truckenbrod gerne an die Zeit in Ägypten. „Wir waren eine coole Truppe“, sagt der heute 40-Jährige über seine damaligen Teamkollegen. Für einige Mitstreiter von einst war der WM-Einsatz im Adler-Trikot das Sprungbrett in die Beletage des deutschen, ja sogar des internationalen Fußballs. Für Torwart Roman Weidenfeller etwa, der 349 Einsätze für Borussia Dortmund bestritt und 2014 mit Deutschland den WM-Titel holte. Oder für Sebastian Kehl, der zuerst beim SC Freiburg für Furore sorgte, dann mit dem BVB dreimal Deutscher Meister wurde und 2002 Vize-Weltmeister mit dem DFB.

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Auch für Jens Truckenbrod deutet Ende der 1990er Jahre alles auf eine Karriere in der Bundesliga hin. Borussia Mönchengladbach, nach dem FC Rielasingen und dem FC Konstanz die dritte Station für den Hegauer, bietet ihm nach seiner Nachwuchszeit einen Profivertrag an. Doch trotz des Abstiegs der Fohlen-Mannschaft in die 2. Bundesliga kommt Truckenbrod „nur“ zu Regionalliga-Einsätzen in der zweiten Mannschaft. Nach dem Wechsel zu den Sportfreunden Siegen und einem dreijährigen Intermezzo im Ausland beim Schweizer Erstligisten FC Schaffhausen schafft der Mittelfeldspieler mit Dynamo Dresden 2008 die Qualifikation für die neu eingeführte 3. Liga.

Jens Truckenbrod (am Ball) vom SC Preußen Münster im Spiel gegen den FC St. Pauli.
Jens Truckenbrod (am Ball) vom SC Preußen Münster im Spiel gegen den FC St. Pauli. | Bild: KEVIN KUREK

Truckenbrod ahnt damals noch nicht, dass die neue Spielklasse für ihn bis zum Karriere-Ende zur dauerhaften Heimat werden sollte. Mehr noch: Mit weiteren Einsätzen beim FC Carl Zeiss Jena (66) und später beim FC Preußen Münster (137) wird er zum Rekordspieler der 3. Liga mit 233 Einsätzen und schafft es damit in die Schlagzeilen.

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Dass er ansonsten in seiner Karriere eher unter dem Medien-Radar geflogen ist, trübt Truckenbrods Blick zurück nicht. „Ich hatte eine tolle Zeit. Und so lange konstante Leistungen in der 3. Liga zu bringen, meistens sogar Kapitän zu sein, darauf kann man schon stolz sein“, sagt er mit Nachdruck.

Sebastian Deisler als Teamkollege

Dass es nicht mit der Bundesliga oder der A-Nationalmannschaft geklappt hat, ist für den Rielasinger mit Wahlheimat Münster kein Problem. Kleinigkeiten seien es, oft auch Zufälle, die entscheiden, welche Gabelung der Weg eines Fußballprofis nehme, meint Truckenbrod. „Sicherlich habe ich mir auch gewünscht, irgendwann den großen Durchbruch zu schaffen. Aber mal ganz ehrlich: Ich habe es auch genossen, einfach ich sein zu können und nicht so im Fokus zu stehen wie andere Kollegen.“ Wie Sebastian Deisler zum Beispiel, der zusammen mit Jens Truckenbrod am 10. September 1997 in Ägypten auf dem Platz stand und damals als eines der größten deutschen Fußball-Talente gehandelt wurde.

Sebastian Deisler.
Sebastian Deisler. | Bild: Frank Leonhardt

Bis der Absturz kam. Verletzungen, schwere Depressionen und nagende Selbstzweifel führten 2007 zum Karriereende des stillen Ballkünstlers. Mit 27 Jahren. „Sebastian war als Fußballer eine Granate. Er hatte das Zeug dazu, ein ganz Großer zu werden“, glaubt Truckenbrod, „jammerschade, dass seine Karriere so ein Ende genommen hat.“

Stiller Ausklang in der Kreisliga

Auch deshalb ist Truckenbrod „absolut im Reinen“ mit sich und seiner Karriere. Die einen ganz stillen Ausklang hatte. In der Kreisliga, bei Concordia Albachten nahe Münster, wo Truckenbrod zwischenzeitlich zuhause war. Zuerst als Spielertrainer und dann nur als Coach hatte „Mister 3. Liga“ viel Freude, „etwas aufzubauen und das weiterzugeben, was ich als Profifußballer gelernt habe“. Inzwischen ist die Concordia Bezirksligist und Truckenbrod Fußballrentner.

Weiter im Fußball aktiv

Obwohl – so ganz ohne Fußball kann und will er nicht. Der gelernte Marketing-Kaufmann hat sich in diesem Jahr selbständig gemacht. In Zusammenarbeit mit der Spieleragentur B360, die ihre Wurzel in Truckenbrods alter Heimat Singen hat, will er sich um Talente kümmern. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch, was die Zeit danach anbelangt – oder wenn es mit dem Traum vom Profifußball mal doch nicht klappen sollte. Schließlich kann nicht jede Fußballer-Karriere so geradlinig verlaufen wie die von Jens Truckenbrod.