Während sich hierzulande immer noch viel zu viele Querköpfe über die Corona-Maßnahmen echauffieren, sind die maskierten Menschen in den Straßen seiner Wahlheimat Berlin kein ungewöhnliches Bild für den früheren Fußballprofi Julian Reinard.
Vier Jahre lang lebte der heute 37-Jährige nach dem Studium in China, seine letzte Station als aktiver Kicker war das von Deutschen ins Leben gerufene multinationale Hobbyteam Shanghai Krauts. Motto: „Zicke zacke, zicke zacke, Schanghai Krauts!“ Und in der 25-Millionen-Metropole am Ostchinesischen Meer „gehört der Mund-Nasen-Schutz seit Ewigkeiten zum Stadtbild dazu“, wie der ehemalige Torhüter weiß.
Nach vielen Jahren auf der Reise ist Julian Reinard in der deutschen Hauptstadt sesshaft geworden. Sein Geld verdient er seit zweieinhalb Jahren im Vertrieb einer Luxusuhren-Manufaktur aus dem sächsischen Glashütte.
Der Fußball spielt im Leben des Allensbachers keine Rolle mehr. Traurig ist Julian Reinard darüber aber nicht: „Ich bin 37. Meine Karriere wäre jetzt eh zu Ende gewesen. Vielleicht stünde ich gerade vor der Frage: Was machst du jetzt?“
Elfmal in der Bundesliga im Tor
Im Gegensatz zu einigen seiner früheren Mitspieler hat er die Antwort für sich längst gefunden. Vor mehr als zehn Jahren hat Reinard seine kurze Profilaufbahn bereits beendet. „Für eine Riesenkarriere, nach der ich nicht mehr hätte arbeiten müssen, hätte es nicht gereicht“, gibt er realistisch zu.
„Es gab einige glückliche Umstände, die dazu geführt haben, dass ich es überhaupt in die Bundesliga geschafft habe“, fährt Reinard fort, der den Traum eines jeden Fußballers leben durfte und elfmal für die Profis des SC Freiburg zwischen den Pfosten stand.
Julian Reinard hat in wenigen Jahren mehr erlebt als viele andere in einem langen Leben – vom Dorf Kaltbrunn zog es ihn auf die große Fußballbühne Bundesliga und hinaus in die Welt. Aus der Freiburger Fußballschule schafft der Keeper es um die Jahrtausendwende in den Profikader der Breisgauer, der damalige Trainer Volker Finke bezeichnet das Talent vom Bodensee gar als „Torhüter der Zukunft“.
Stammspieler wird Reinard in seiner Profizeit von 2002 bis 2006 allerdings nicht. Stattdessen versucht er mit 23 als erster Deutscher in Israel beim Erstligisten Hakoah Ramat Gan sein Glück. Nach einer Verletzung trennt der Verein sich aber nach wenigen Monaten von seinem Schlussmann.
Statt weiter in der Bundesliga als Ersatzmann oder in einer unterklassigen Liga vom Sport zu leben, zieht der gebürtige Scherzinger einen Schlussstrich und beginnt im Sommer 2007 ein Studium an der Schwenninger Berufsakademie.
Nebenbei kickt er von 2008 an einige Jahre im Schwarzwald für den Landesligisten FC Neustadt – im Mittelfeld und ab und an auf seiner Paradeposition im Tor. Der Fußball ist längst zum Hobby geworden, obwohl Reinard damals mit Mitte 20 im besten Sportleralter ist.
„Manchmal frage ich mich schon, was das Limit gewesen wäre, wenn ich das Optimale rausgeholt hätte“, sagt er heute und gibt zu: „Mit dem jetzigen Wissen hätte ich mich vielleicht in der einen oder anderen Situation anders verhalten.“
Trotzdem bereut der 37-Jährige keine seiner Entscheidungen im Nachhinein. „Ich lebe im Hier und Jetzt und nicht in der Vergangenheit. Mir geht‘s gut, ich bin zufrieden mit dem Leben, das ich habe“, sagt Reinard, der noch ab und an Kontakt hat zu früheren Mitspielern wie Sascha Riether oder Dennis Aogo.
Nach dem Intermezzo in Neustadt lebt und arbeitet Reinard einige Jahre in China, ehe er zurück in Deutschland sein berufliches und privates Glück findet. Seit etwas mehr als vier Jahren ist er mit seiner Verlobten Lena zusammen.
„Wir hätten dieses Jahr vielleicht geheiratet, wenn es Corona nicht gegeben hätte“, sagt Julian Reinard. Maskierte Menschen in den Straßen sind für ihn kein ungewöhnliches Bild, aber im Standesamt oder in der Kirche muss das dann doch nicht sein.