Ein Stab ist ein vielseitig verwendbares Werkzeug. Harry Potter benutzt ihn zum Zaubern; Herbert von Karajan dirigierte ganze Orchester; Millionen von Asiaten essen täglich ihr Sushi damit – oder aber man katapultiert sich mit einem Stab in luftige Höhen über vier Meter. Wie die Leichtathletin Luzia Herzig vom TV Engen.

Erst kürzlich war die 25-Jährige bei der Deutschen Meisterschaft in Düsseldorf erfolgreich. Mit 4,01 Metern belegte die Hegauerin Rang sieben vor der tollen Kulisse an der Rheinufer-Promenade, wo die Sportlerinnen quasi auf Augenhöhe an den Zuschauern oben an der Straße vorbeiflogen.

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Es sind solche spektakulären Events, welche dieser aufregenden Disziplin immer mehr Fans bescheren. Wie Ende August bald wieder, wenn einen Tag vor dem Weltklasse-Meeting die Stabhochspringerinnen in einer Halle des Züricher Hauptbahnhofs vor einer Tribüne um den Sieg kämpfen.

Es ist diese auch für Laien einfache Verständlichkeit, die für Luzia Herzig den Reiz ihrer Sportart ausmacht. „Ich finde es cool, dass man sofort sieht, ob der Sportler über die Latte gekommen ist oder nicht. Man bekommt ein direktes Feedback und muss nicht bangen oder hoffen.“ Bangen wie die Weitspringer, bei denen erst penibel gemessen werden muss, wo der letzte Abdruck im Sand war. Hoffen wie die Sprinter, die beim Blick auf das Zielfoto oft zittern.

Das Ergebnis ist zwar sofort sichtbar, doch für die Athleten ist der Sprung mit dem Stab ein extrem vielschichtiger Bewegungsablauf, weshalb Herzig von Beginn an in mehreren Disziplinen aktiv war – auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen sie bei Wettkämpfen zwischen zwei Sprüngen hastig einen Hürdenlauf absolvierte.

„Es braucht, neben Ausdauer, den Sprint beim Anlauf, eine gewisse Sprungkraft, und der Hürdenlauf ist wichtig für die Grundkoordination“, sagt die 25-Jährige beim Training an einem brütend heißen Juli-Abend im Engener Hegaustadion.

Luzia Herzig beim Training in Engen.
Luzia Herzig beim Training in Engen. | Bild: Salzmann, Dirk

Dann nimmt sie ihren etwa vier Meter langen Stab und geht auf die Tartanbahn. Sie streckt das Sportgerät senkrecht in die Luft, schaut es in stiller Zwiesprache konzentriert an – und läuft los. Zwölf lange Schritte später drückt Herzig den Stab in den Einstichkasten und katapultiert sich in die Luft, mit dem Kopf nach unten.

Fast ganz oben angekommen, dreht sie sich und gleitet mit den Beinen voran über eine gespannte Schnur, die bei den Übungseinheiten die Latte simuliert.

Sprung in Zeitlupe Video: Feiertag, Ingo

„Das Besondere ist diese Konterbewegung, man bewegt sich zuerst nach oben und dann nach hinten“, beschreibt Herzig die Komplexität eines Sprungs, von der sie in der Luft nicht viel mitbekommt. „Ich denke nichts während des Sprungs. Ich versuche, gut anzulaufen. Alles, was ich dann noch kontrollieren kann, ist, dass ich schön einsteche. Dann ist es, als ob ich von einem Trampolin abspringen würde.“

Mit ihrem ganz persönlichen Autopiloten geht es immer weiter nach oben, nachdem sie mit zwölf Jahren vom Turnen, der Sportart ihrer Mutter Anita, zur Leichtathletik, der Leidenschaft ihres Vaters Winfried, wechselt.

Luzia und ihr Vater und Trainer Winfried Herzig.
Luzia und ihr Vater und Trainer Winfried Herzig. | Bild: Salzmann, Dirk

Der erste Sieg im ersten Wettkampf mit 1,90 Metern, dann klettert die Bestleistung Jahr für Jahr weiter. Erst 2,40 Meter (2011), dann 3,70 Meter (2016), ehe sie 2018 erstmals die vier Meter meistert und im Jahr darauf mit 4,20 Metern deutsche U23-Vizemeisterin wird. Dann wird sie im Frühjahr 2020 hart auf den Boden geholt.

Luzia Herzig beginnt gerade ein Sportstipendium an der Washington State University in den USA, als das Corona-Virus die Welt lahmlegt. Während sie, zurück im Lockdown, mit einem kurzen Stab und zwei Matratzen im heimischen Garten trainiert, erinnert sich die Hegauerin daran, was sie als Achtklässlerin in ein Freundebuch geschrieben hatte. Traumberuf? Polizistin!

Sportlicher Tiefpunkt in der Ausbildung

Also beginnt sie eine Ausbildung an der Hochschule für Polizei in Herrenberg. Das Problem: Vollzeitjob und Leistungssport wollen sich so gar nicht vertragen. „Plötzlich ging es bergab mit den Leistungen“, erinnert Luzia Herzig sich. „Oft kam ich zu spät ins Training nach Sindelfingen.

Als ich dann Schichtdienst hatte, wurde es noch schlimmer. Ich hatte keine Kraft mehr fürs Stabhochspringen.“ Als sie 2021 mit 3,70 Metern in die Saison startet – 50 Zentimeter unter ihrer Bestleistung – ist sie am Tiefpunkt angelangt.

Sprung in Zeitlupe Video: Feiertag, Ingo

Ein Hoffnungsschimmer ist das Ende des Praxisjahres, das sie wie ein gelungener Sprung mit dem Stab aus dem Tal katapultiert. „Ich hatte Tagesdienst, konnte wieder trainieren und war viel ausgeglichener. Da habe ich gemerkt: Das kann funktionieren“, sagt sie.

Seit März ist Herzig zurück am Bodensee und arbeitet im Polizeiposten in Allensbach. Natürlich im Tagesdienst. „Man kann zugucken, wie die Leistungen wieder nach oben gehen“, sagt sie.

Luzia Herzig beim Training in Engen.
Luzia Herzig beim Training in Engen. | Bild: Salzmann, Dirk

Heute wohnt sie mit ihrem Freund in Stahringen und trainiert wieder in der Gruppe ihres Vaters in Engen, wo sie gleichsam Vorbild und Co-Trainerin für die Nachwuchsspringer ist, denen sie wichtige Tipps gibt. „Es könnte gerade nicht besser laufen“, sagt sie und strahlt.

Luzia Herzig, die junge Frau für die besonderen Höhenflüge mit dem Stab.