Wenn Günter Scheck im Wallhauser Yachthafen von der wackeligen Leiter am Steg recht flink und behende auf sein Schiff, die MaxiMumm, steigt, ist sein wahres Alter kaum zu schätzen.
85 ist der drahtige Schwabe schon, ein Alter, in dem Senioren eher einen Rollator zur Fortbewegung nutzen als eine moderne Rennyacht mit Mast und Segel aus Carbon.
Schon viele Reviere besegelt
„Das Segeln hat mich jung gehalten“, sagt der Mann, der seit 1965 mit der Kraft des Windes auf den Gewässern dieser Welt unterwegs ist. Scheck hat schon viele Reviere besegelt. Doch richtig zuhause ist er hier, auf dem Bodensee.
Über 40 Plaketten, auf gewachsten Holzbrettern angebracht, belegen seine Verbundenheit zu Deutschlands größtem Binnengewässer. Jede einzelne steht für eine Teilnahme an der Rund Um, einer jährlich stattfindenden Langstreckenregatta mit Start und Ziel in Lindau. Verpasst hat er keine einzige.
„Mein ganzes Leben ist auf Langstrecke ausgerichtet“, sagt der Mann, der seit 58 Jahren verheiratet ist. Doch heute, an diesem warmen Julimorgen, darf es auch mal ein ganz kurzer Trip auf dem Überlinger See sein.
An Bord: Der „alte Salzbuckel“, wie er sich selbst nennt, und ich, eine noch nicht ganz so alte Landratte, mit einem einzigen Segeltörn von Marseille nach Korsika als Eintrag im Fahrtenbuch. Vier Stunden sind angesetzt für die Ausfahrt auf dem See, der an diesem Morgen zu einem Meer der Erinnerungen wird. Erinnerungen an ein langes Leben voller spannender Geschichten.
Flucht vor den Bomben
Wie die aus dem Kriegsjahr 1943, als der sechsjährige Günter mit seiner Mutter von Zweibrücken nach Stuttgart umsiedeln muss – aus Sicherheitsgründen, weil das Saarland von den Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges besonders hart betroffen ist.
Der Vater muss bleiben, da er als Feinmechaniker von den Nazis für die Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet wird. Eine Erinnerung hat sich bei Günter Scheck besonders tief eingegraben: An die Flucht mit der Mutter vor den alliierten Bomben in einen stillgelegten Stollen, der nach einem Gewitter aber teilweise einbricht und zur Todesfalle zu werden droht.
An die Panik, die einsetzt, an die gellenden Schreie der Menschen. Und an seine verängstigte Mutter, der der kleine Steppke helfen muss, damit sie nicht von den nach draußen Flüchtenden wie andere vor ihr in den Lehm getrampelt wird. „So etwas sollte kein kleines Kind erleben“, erinnert sich Günter Scheck an sein erstes Rendezvous mit der Gefahr, der er später noch einige Male wieder begegnen sollte.
„Es gibt normale Hunde. Und es gibt Jagdhunde. Ich bin dann wohl eher ein Jagdhund“, versucht Scheck, seinen Hang zum Abenteuer zu beschreiben. Abenteuer, die auch hätten böse enden können. 1957 wird Scheck als einer der ersten Wehrpflichtigen zur Bundeswehr eingezogen und beendet seinen Dienst bei den Fallschirmjägern als Leutnant der Reserve.
Doch auch als Zivilist springt er jahrelang weiter, bis sich einmal der Fallschirm nicht richtig öffnet und er ungebremst dem Erdboden entgegen rast. Am Ende geht alles gut aus, eine schmerzhafte Verletzung am Fersenbein ist der einzige Preis, den er zahlt, weil er sein Glück wieder mal herausgefordert hat.
Vergleich mit dem Reiten
Manch einer hätte wohl den Fallschirm mit zitternden Händen für immer weggepackt. Scheck nicht. „Das ist wie beim Reiten. Wer vom Pferd fällt, muss wenigstens noch einmal in den Sattel steigen.“ Einen Sprung absolviert Scheck noch, dann macht er Schluss mit diesem Kapitel in seinem Leben.
Weitaus gemächlicher verläuft da sein Einstieg in den Segelsport. Nach seiner Hochzeit sucht Günter Scheck ein gemeinsames Hobby für sich und seine frisch Angetraute. Im Urlaub am Chiemsee mietet er ein Segelboot und kommt nach kurzer Einweisung überraschend gut klar. So gut, dass ihn der Bootsverleiher schon am dritten Tag beauftragt, andere Touristen auf dem See herumzuschippern.
Zwei Jahre später kauft sich Scheck auf der Messe in Friedrichshafen sein erstes Schiff und baut es in mühevoller Kleinarbeit zusammen mit seiner Ehefrau Inge aus. Irgendwann hört er es dann wieder, das Bellen des inneren Jagdhundes, und wird vom Hobby-Segler zum mit allen Wassern gewaschenen Regatteur, der sich unzählige Male in Starkwindrevieren vor den übers Boot schwappenden Wellen wegducken muss. Ein echter „Salzbuckel“ eben.

Auch beim Segeln sucht er das Abenteuer – mit heißem Herz, aber immer kühlem Kopf und kalkuliertem Risiko. In der Bretagne auf einer Zwölfeinhalb-Meter-Yacht als Co-Skipper, ohne Funk, ohne GPS, umgeben von riesigen Wellenbergen. Und einmal in der Nordsee, bei fiesen sieben Windstärken. Oder in der berühmt-berüchtigten Biskaya, die als eines der anspruchsvollsten Segelreviere starke Stürme, extremen Seegang und hohe Wellen im Portfolio hat.
Dauerbrenner bei der Rund Um
Es müssen aber nicht unbedingt die Weltmeere sein. Auch auf dem Bodensee findet Scheck sein Glück, ist seit Jahrzehnten Mitglied beim Segelclub Bodman sowie beim Motor-Yacht-Club Überlingersee und wird ab 1981 zum Dauerbrenner bei der Rund Um. Keine einzige Langstreckenregatta hat er seither verpasst.
Auch nicht, als er Ende der 1980er-Jahre als hochrangiger Angestellter eines Stuttgarter Energieversorgers an einer Aufsichtsratssitzung teilnimmt – wenige Stunden vor Regattastart. Per Hubschrauber kommt Scheck noch rechtzeitig am Bodensee an – eine teuer erkaufte Teilnehmerplakette.
Ein anderes Mal ist es ein guter Freund, der ihn mit der Cessna von der Landeshauptstadt zum Flughafen Friedrichshafen bringt – inklusive Sturzflug Richtung Landebahn wegen eines Gewitters. Weiter geht‘s mit dem Taxi zum Yachthafen, von dort aus mit dem Schnellboot an die Startlinie: Geschafft! Wieder eine Plakette mehr und Zeugnis eines eisernen Willen.
Bis 90 mindestens
Und Günter Scheck will noch lange nicht von Bord gehen, ist noch nicht am Ziel seiner Langstreckenregatta namens Leben. „Ich habe vor Kurzem meinen Führerschein verlängern lassen“, erzählt er mit aufblitzendem Schalk in den Augen, „der ist jetzt gültig, bis ich 100 bin.“ Aktiv segeln will er noch, bis er 90 ist. Mindestens. Der alte Mann will noch mehr – ein echter Salzbuckel eben.