Meist dauert es nur einige Minuten, dann ist der Schiedsrichter bereits eine Pfeife, ein Blinder und manches andere, was einem an Beleidigungen einfallen kann. Teilweise kommen die Schmähungen von Zuschauern, teilweise von Spielern, die Anlässe sind meist kaum der Rede wert. Alltag auf Deutschlands Sportplätzen.
Am vergangenen Wochenende hatte ein Schiedsrichter darauf wohl keine Lust mehr. In der Kreisliga A, Staffel 3 des Bezirks Bodensee brach der Unparteiische die Partie zwischen Bodensee Türkgücü Markdorf und der SG Herdwangen/Großschönach in der zweiten Halbzeit ab und verließ das Spielfeld. Was genau passierte, wird nun ein Sportrichter ermitteln müssen. „Ich bin schon so viele Jahre als Spieler und jetzt Vorstandsmitglied tätig, so einen Spielabbruch habe ich noch nie erlebt“, wundert sich Cüneyt Öter, der Zweite Vorsitzende von Türkgücü Markdorf. „Es gab keine Tätlichkeiten, keine Rangeleien.
Das Spiel wurde abgebrochen, weil beide Mannschaften ständig reklamierten.“ Sicher sei es traurig, dass so etwas in jedem Spiel vorkomme. „Aber das waren keine Beleidigungen oder Beschimpfungen.“ Uwe Kohler, Vorsitzender des Herdwanger SV, sah „ein kleines Gerangel vor der Markdorfer Bank. Der Schiedsrichter hat eine Gelbe Karte gezeigt, dann war das auch erledigt.“ Doch stattdessen erfolgte „ein paar Sekunden später der Abpfiff“.
Schiedsrichter fühlte sich verbal bedroht
Der Schiedsrichter stellte seine Sicht der Dinge schriftlich anders da. Er fühlte sich verbal bedroht. „Wir werden den Fall aufarbeiten“, erklärte gestern Konrad Matheis als Vorsitzender des Bezirks Bodensee. „Generell gilt: Beleidigungen gehören nicht auf den Sportplatz. Das akzeptieren wir nicht. Da gibt es auch keine zwei Meinungen.“
Aggressionen gegen Unparteiische
Der Schiedsrichter selbst war für eine Stellungnahme nicht zu sprechen. Tatsächlich wurden wohl nicht alle Möglichkeiten der Deeskalation ausgeschöpft. Bevor ein Unparteiischer eine Partie abbricht, werden die Spieler eigentlich verwarnt, auch die Hilfe der Platzordner soll zur Beruhigung hinzugezogen werden. In Markdorf war das wohl nicht der Fall. Wie die Partie gewertet wird, ist daher völlig offen. So bedauerlich der Vorfall sei, Matheis sieht in seinem Bezirk kein generelles Problem, vielmehr seien es wenige Einzelfälle, die in der Vergangenheit für Aufregung gesorgt hätten.
Die Entgleisungen des Aggressionspotenzials auf den Fußballplätzen zwischen Kiel und Konstanz sorgen dabei immer wieder für Schlagzeilen. 2019 zeigte ein Schiedsrichter beim C-Liga-Spiel der FSV Münster gegen den TV Semd einem Spieler der Gastgeber in der 85. Minute die Rote Karte. Der holte daraufhin aus und schlug dem Unparteiischen mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Ein Video, aufgenommen von einem Zuschauer, verbreitete sich rasend schnell im Internet. Am Hochrhein wurde bereits 2013 nach mehreren Attacken auf Schiedsrichter ein kompletter Spieltag abgesagt, um ein Zeichen zu setzen.
Rückgang bei Schiedsrichtern
Gewaltausbrüche im Amateurfußball sind die Ausnahme. Der Umgangston sei aber unabhängig davon deutlich rauer geworden, versichern viele altgediente Schiedsrichter. Manchem ist der Spaß am Hobby abhanden gekommen. Der Deutsche Fußball-Bund beklagt einen dramatischen Rückgang der Schiedsrichter. 2006 waren 81 000 Unparteiische beim größten Sportverband der Welt gemeldet, 2019/20 waren es deutschlandweit genau 30 000 weniger. Auch Konrad Matheis kennt die Problematik. „Wenn wir 25 neue Schiedsrichter ausbilden, sind zwei Jahre später noch sieben oder acht da.“ Noch können alle Spiele der Aktiven besetzt werden, aber in Urlaubszeiten käme es bereits zu Engpässen.
Weitere Schiedsrichter-Abgänge können sich die Fußballer daher nicht leisten. Ansonsten droht ein Fußball ohne Pfiff. Und das will keiner.