Sein Blick geht geradeaus, fixiert einen Punkt in der Ferne: „Weihnachtsgeschenke?“, sagt Kevin Simanowski leise: „Weihnachtsgeschenke brauche ich nicht.“ Der 28-Jährige atmet ruhig: „Mein größtes Geschenk ist doch die Tatsache, dass ich jetzt und heute überhaupt hier sitzen darf. Dass wir uns unterhalten. Dass am Wochenende meine Familie zu mir kommt. Dass ich meine Kinder und meine Frau sehen und berühren darf.“
Ein Lächeln huscht über das Gesicht des jungen Mannes, als er auf seinen linken Fuß zeigt: „Vor ein paar Tagen konnte ich meinen Zeh etwas bewegen.“ Es habe zwar ein paar Sekunden gedauert, bis der Befehl vom Gehirn bis ganz unten angekommen war, aber es war ein Moment des kleinen Glücks: „Ich muss kämpfen“, sagt Simanowski entschlossen: „Für mich und für meine Familie, aber auch für meine Fußballkumpel.“
Kurz nach halb zwölf war es an jenem 11. Oktober, als sich das Leben des Fußballtorwarts Kevin Simanowski vom B-Kreisligisten TuS Blumberg von einer Sekunde auf die Nächste schlagartig änderte: „Wir warteten schon auf die Mittagspause, als in der Produktion eine Presse streikte“, erinnert sich Simanowski an diesen schicksalhaften Montag auf Arbeit: „Ich bin bei einem Hersteller von Gummi- und Silikonteilen für die Instandhaltung der Maschinen zuständig.“
Vornüber gebeugt, schraubte der Schlosser gerade an dieser Maschine, als sich über ihm plötzlich ein fast 800 Kilo schweres Teil der Maschine löste – und auf ihn fiel: „Das Gewicht quetschte meinen Oberkörper nach vorn – wie ein Klappmesser“, beschreibt Kevin Simanowski diesen Moment, der sein Leben verändern sollte: „Ich schrie vor Schmerz. Mein Kollege reagierte blitzschnell, hob die Last mit dem Stapler an. Unfähig, mich zu bewegen, stürzte ich drei Meter in die Tiefe.“
Schwerste Verletzungen am Rücken
Kevin Simanowski erlitt schwerste Verletzungen am Rücken: Sechs Rippen gebrochen, Wirbel zertrümmert, Brustkorb gequetscht. Sein Zustand war äußerst kritisch. Zu kritisch, um ihn direkt in die Klinik nach Tübingen zu fliegen. „Ich kam ins Spital nach Villingen. Dort wurde sofort die Lunge operiert, um mich am Leben zu erhalten“, erzählt Simanowski gefasst: „Zwei Wochen später haben sie einen Wirbel ersetzt, um den Rücken zu stabilisieren.“ Sein exzellenter Fitnesszustand dürfte Kevin Simanowski das Leben gerettet haben: „Es sei ein Wunder, dass ich noch lebe, sagen die Ärzte.“
Kevin Simanowski im Portrait
Die vitalen Funktionen vermochten die Mediziner wieder herzustellen, nicht aber die Mobilität des begeisterten Sportlers aus Bonndorf, der im Stadtteil Dillendorf aufgewachsen ist: „Beim örtlichen Sportverein habe ich angefangen, wechselte aber früh in den Nachwuchs des FC Weizen“, blickt Simanowski auf seine Fußballzeit, die für ihn ungeplant am 26. September mit dem 1:0-Sieg gegen den TuS Oberbaldingen endete.

Als 20-Jähriger verließ er den FC Weizen, schloss sich dem Bezirksligisten FC Erzingen an. In jene Zeiten fielen schwere Sportverletzungen, über die Kevin Simanowski heute nur müde lächeln kann: „Drei Mal habe ich mir im linken Knie das Kreuzband gerissen – und ich kam immer wieder auf dem Platz zurück.“ Nach dem zweiten Riss wollte er eigentlich aufhören, doch die Sehnsucht nach dem runden Leder war zu groß: „Also ging ich zurück zu den Kumpels nach Weizen.“ Ein Jahr später, im Sommer 2016, lockte erneut der FC Erzingen, wieder riss das Kreuzband. Simanowski rappelte sich ein drittes Mal auf, biss sich durch.

Nach einem halben Jahr beim SV Gündelwangen klopfte der TuS Blumberg im Sommer 2019 bei Kevin Simanowski an. „Dort hinzugehen, war eine sehr gute Entscheidung. Sportlich, weil neben dem beim SC Freiburg ausgebildeten Fabian Jakob, der schon höherklassig spielte, einige gute Spieler gekommen waren. Aber es passte auch menschlich. Vom ersten Augenblick fühlte ich mich richtig wohl in der Blumberger Fußballfamilie“, trägt Kevin Simanowski heute das grüne Polo-Shirt mit Stolz.

In den Tagen und Wochen nach dem schweren Unfall ließ der Verein den jungen Familienvater spüren, welche Werte in der Eichbergstadt gelebt werden: „Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht jemand meldet. Die komplette Mannschaft hat mich in Tübingen besucht“, tut Kevin Simanowski dieser Rückhalt gut: „Sie geben mir das Gefühl, immer noch Teil der Mannschaft zu sein.“
Hilfsbereitschaft ist beeindruckend
Enorm beeindruckt hat ihn die Hilfsbereitschaft, die der TuS Blumberg nicht nur in den eigenen Reihen mit der groß angelegten Spendenaktion auslöst: „Mich erreichen Nachrichten über Social Media von wildfremden Leuten.“ Zuspruch, der Kevin Simanowski tief berührt: „Beim Lokalderby haben der FC Weizen und der SV Stühlingen für mich gesammelt. Marco Lohr, mit dem ich beim FC Erzingen spielte, ließ bei seinem jetzigen Verein SV Jestetten eine Spendenkasse herumgehen. Der SV Mundelfingen, ein Verein, mit dem ich bisher nie etwas tun zu hatte, schenkt mir ein Originaltrikot des HSV – mein Lieblingsverein.“

Kevin Simanowski ist überwältig von den Aktionen und Wünschen, die ihn in diesen Tagen erreichen: „Ich bin immer noch dabei, die unzähligen Nachrichten alle zu lesen“, gibt er offen zu, dass ihm hin und wieder auch die Kraft fehlt: „Die Zeit hier ist nicht immer leicht. Täglich steht Reha auf dem Plan, aber auch Untersuchungen.“ Kevin Simanowski legt in Tübingen die gleiche Akribie und Disziplin wie im Training an den Tag. Doch jetzt geht es für ihn nicht um Siege und Meisterschaften, sondern um seine Zukunft: „Eines Tages möchte ich meinen Alltag wieder ohne fremde Hilfe bestreiten können – trotz Rollstuhl.“
„Mein Sohn Elijah wird wohl eher Stürmer“
Der Rollstuhl wird wohl für den Rest des Lebens sein Begleiter: „Trotz kleiner Fortschritte machen mir die Ärzte nicht zu viel Hoffnung – auch, um mir Enttäuschungen zu ersparen“, schöpft Simanowski seine Motivation vor allem aus Besuchen und täglichen Anrufen seiner Familie. Seine junge Ehefrau Nadine – sie haben 2020 geheiratet – federt vieles ab. Sie managt den Alltag mit der 17 Monate jungen Loana und dem vierjährigen Elijah, der schon jetzt gern die Torwart-Handschuhe des Papas trägt: „Ich denke, dass er eher ein Stürmer wird“, schmunzelt Kevin Simanowski.
An Weihnachten verbringt die Familie ein paar gemeinsame Tage zu Hause in Bonndorf. Für Kevin Simanowski ist es das wertvollste Geschenk, auch wenn die Rückkehr in die eigenen vier Wände gewöhnungsbedürftig werden wird: „Mein Vater hat bereits dafür gesorgt, dass ich mit dem Rollstuhl gut klar komme.“ Im neuen Jahr stehen dann größere Umbauten an: „Unser Vermieter unterstützt uns nach Kräften. Das tut gut“, freut sich Simanowski, dass allfällige Hürden abgebaut werden oder gar nicht erst entstehen: „Ich denke, dass ich im März nach Hause komme und die Reha dann vor Ort fortführen kann.“
So lange kämpft er in der Tübinger Klinik um seine Gesundheit, trainiert die Muskeln im Fitnessstudio, misst sich im Rollstuhlsport mit Patienten, die das gleiche Schicksal erlitten haben. Hier lernt er aber auch, nicht vollends zu verzweifeln, wenn Komplikationen auftreten, wie lähmungsbedingte Darmbeschwerden, oder erhoffte Fortschritte sich nicht einstellen wollen: „Die Ärzte sagen, dass die ersten fünf Monate entscheidend sind. Was bis dahin nicht klappt, wird wohl nie mehr reparabel sein.“

Es war aber vielleicht das Glück im Unglück, dass seine Nervenstränge im Rückenmark nicht komplett gerissen sondern „nur“ gequetscht wurden. Deshalb glimmt ein kleinen Funken Hoffnung. Allerdings, und das betont Kevin Simanowski ganz ohne Illusionen, haben sich Splitter der berstenden Wirbel in die Nervenbahnen gebohrt und hinterließen dort irreparable Schäden: „Die Chance also, jemals wieder laufen zu können, ist äußerst gering“, gibt er sich realistisch und konzentriert sich aufs Machbare: „Ich kämpfe darum, bald meinen Alltag zu meistern, mit meinen Kindern spielen zu können und mich irgendwann beruflich neu zu orientieren.“

Kevin Simanowski kämpft sich zurück ins Leben, zurück nach Bonndorf und zurück zu seinem TuS Blumberg, der ihm ans Herz gewachsen ist: „Frank Berrer, mein Trainer, hat mir versprochen, dass sie alles tun werden, damit ich bei jedem Spiel dabei sein kann. Ich gehöre ja immer noch zur Mannschaft.“ Schon jetzt freut sich Kevin Simanowski auf den Tag, an dem er wieder auf den Fußballplatz zurückkehrt. In den Kreis seiner Kumpels, die ihn seit dem 11. Oktober schmerzlich vermissen, und mit denen Kevin Simanowski zu gern mal wieder um die Häuser ziehen will: „Sie zu Fuß – und ich im Rolli“, grinst der Fußballer so verschmitzt, als könne er es kaum erwarten: „Ich will schließlich irgendwann wieder ganz der alte Kevin sein...“