Das ist die Geschichte von Jan Hugger. Radprofi, Student, Schwarzwälder – einer, der Mitten im Leben steht, schon viel erlebt und mit seinen 25 Jahren noch einiges vor sich hat. Dazu gleich mehr. Um die Geschichte und vor allem die Radsportbegeisterung von Jan Hugger zu verstehen, muss man zunächst einige Bilder aus dem Familienalbum gesehen haben, die uns seine Mutter Uli hat zukommen lassen.

Fangen wir mit Jans Uropa Engelbert an. Der fährt in den 1920er-Jahren als einer der ersten in Süddeutschland Rennrad, ist ein Pionier auf zwei Rädern. Der Niedereschacher feiert in seiner Karriere über 100 Siege. Die Trophäen werden damals übrigens noch mit Stolz auf der Brust getragen – und überall sonst, wenn da kein Platz mehr ist.

Uropa Engelbert Hugger präsentiert stolz seine Orden.
Uropa Engelbert Hugger präsentiert stolz seine Orden. | Bild: privat

Und natürlich gibt er die Leidenschaft weiter an seine Söhne Erich und Hubert. Die feiern in den 1950er-Jahren Erfolge, wegen ihrer Trikotfarbe werden sie damals die „Grünen Teufel“ genannt. Manches Rennen, das heute bei Jan auf dem Plan steht, etwa Rund um Köln, haben einst Erich und Hubert schon gefahren.

Erich (links) und Hubert , hier bei einem Rennen in Trossingen, feierten in den 1950er-Jahren Erfolge, waren bekannt als die ...
Erich (links) und Hubert , hier bei einem Rennen in Trossingen, feierten in den 1950er-Jahren Erfolge, waren bekannt als die „Grünen Teufel“. | Bild: privat

Kommen wir noch zu Heinz Hugger. Das ist Jans Vater. Der tritt in den Nachwuchsklassen ebenfalls in die Pedale, spielt dann aber lieber Eishockey, ehe er den Radsport mit 40 Jahren wieder für sich entdeckt. Immer mit dabei Ehefrau Uli und die Kinder Urs und Jan. „Wir sind damit aufgewachsen. Das war eine riesige Zeit“, erinnert sich Jan Hugger.

Papa Heinz Hugger bei einem Amateurrennen in den 70er-Jahren.
Papa Heinz Hugger bei einem Amateurrennen in den 70er-Jahren. | Bild: privat
Mama Uli mit den Nachwuchs auf Tour. Ohne Rad ging und geht wenig bei den Huggers.
Mama Uli mit den Nachwuchs auf Tour. Ohne Rad ging und geht wenig bei den Huggers. | Bild: privat

Genug vorerst mit der Vergangenheit. Es ist Zeit für neue Bilder fürs Familienalbum. Nur noch wenige Tage sind es bis zu den Deutschen Straßenradmeisterschaften in Bad Dürrheim und Donaueschingen. Hugger wohnt in Schwenningen, das Straßenrennen am 25. Juni soll eines der Highlights seiner Karriere werden. „Das wird riesig“, ist sich der 25-Jährige sicher. Schließlich hat er die Strecke mit dem Organisationsteam um Kai und Rik Sauser mitgestaltet. Etwas für Allrounder sei das Profil. Für Allrounder, wie Jan Hugger einer ist.

Jan Hugger vor wenigen Tagen bei seinem Redaktionsbesuch in Konstanz im Gespräch mit unserem Sportchef Dirk Salzmann.
Jan Hugger vor wenigen Tagen bei seinem Redaktionsbesuch in Konstanz im Gespräch mit unserem Sportchef Dirk Salzmann. | Bild: Frederick Woehl

Es ist ein grauer Tag, an dem Hugger zum Redaktionsbesuch nach Konstanz kommt. Die wenigsten Radrennfahrer mögen Regen, entsprechend war dieses Frühjahr nicht vergnügungssteuerpflichtig. „Gehört dazu“, sagt Hugger. Von März bis Oktober stehen Rennen an, maximal fünf Wochenenden ist er in der Zeit zu Hause. Bei der Familie, oder bei seiner Freundin, die in der Stadt am Bodensee studiert.

Jan Hugger bei einem Anfängerrennen im Jahr 2008.
Jan Hugger bei einem Anfängerrennen im Jahr 2008. | Bild: privat

Jan Hugger kennt so ziemlich jede Rennradstrecke zwischen Schwarzwald und Bodensee. Er fährt für das Team „Lotto Kern-Haus“. Eine Equipe, die nicht zu den großen Mannschaften gehört, die bei der Tour de France oder beim Giro d‘Italia starten, sondern eine oder zwei Klassen darunter. In Deutschland ist er einer von vielen, kein Star der Szene, die hier viel kleiner als im Ausland ist. „Es ist schon anders, wenn man Rennen in Frankreich, Belgien oder Holland fährt“, berichtet Hugger. Der Sport hat dort eine lange Tradition und viel mehr Fans. „Neulich kam bei einem Rennen in der Bretagne ein mir wildfremder Mensch auf mich zu, zeigte mir vier Bilder, die er in den vergangenen Jahren von mir bei diesem Rennen gemacht hatte und wollte Autogramme.“

Im Ausland fragen Fans Jan Hugger um Autogramme

Vielleicht, weil Hugger bei manchem Radsport-Anhänger mehr als nur ein Geheimtipp ist. Sein Talent wird früh entdeckt. Noch ein Hugger, der schneller ist als der Rest. Wie der Uropa, der Grüne-Teufel-Opa oder der Papa. Nach ersten Erfolgen im Kindesalter fährt er mit neun Jahren seine ersten richtigen Rennen, durchläuft alle Altersklassen, wird in den Landeskader und das Nachwuchs-Nationalteam berufen. Zwischendurch spielt er noch Eishockey, wird mit Schwenningen Deutscher Knaben-Meister. Eine Karriere wie eine Bergetappe, meist geht es stetig aufwärts. Oder nicht?

Jan Hugger als Eishockey-Torwart bei einem Kleinstschülerturnier im Jahr 2006.
Jan Hugger als Eishockey-Torwart bei einem Kleinstschülerturnier im Jahr 2006. | Bild: privat

„Der Radsport hat mir viel gegeben“, erzählt Hugger. „Man lernt früh, selbstständig zu sein. Lernt Zeitmanagement und dass es nicht vorangeht, wenn man nichts macht.“ Eine gute Lebensschule. „Es geht viel um Disziplin, auch mal um das Unterordnen, weil die Teamziele über den eigenen stehen. Und es geht darum, mit Niederlagen umzugehen.“ Schließlich zähle man bei 99,95 Prozent der Rennen zu den Verlieren – zumindest aus der Einzelperspektive. „Aus der Teamperspektive sieht die Statistik besser aus, aber trotzdem verliert man häufiger, als dass man gewinnt.“

Von Beginn an mit dabei. Der kleine Jan als Fan bei der Tour de Suisse im Jahr 2000.
Von Beginn an mit dabei. Der kleine Jan als Fan bei der Tour de Suisse im Jahr 2000. | Bild: privat

Aber was sind schon Niederlagen im Vergleich zu anderen Unglücken? Im August 2021 wird er bei der Deutschlandtour in einen Massensturz verwickelt. Hugger bricht sich den Oberschenkel, die Karriere steht auf dem Spiel.

Jan Hugger nach der Operation.
Jan Hugger nach der Operation. | Bild: privat

„Ich hatte eine gute Reha. Und vielleicht war das eine gute Erfahrung, denn plötzlich war der ganz große Druck weg“, sinniert der Schwarzwälder. Er kämpft sich zurück, gewinnt im vergangenen Jahr unter anderem die Allgäu-Tour und erreicht bei den Bundesliga-Rennen stets einen Spitzenplatz, wird schließlich Zweiter der Gesamtwertung.

Große Ziele für die Rad-DM in Bad Dürrheim und Donaueschingen

Für einen Vertrag bei einem Spitzenteam hat das noch nicht gereicht, aber vielleicht kann er in Bad Dürrheim und Donaueschingen auf sich aufmerksam machen. Einen Top-Ten-Platz hat er sich vorgenommen. Ist das realistisch? „Ein hochgestecktes Ziel“, weiß Hugger. Vor allem der Abschnitt bei Aasen mit Steigung und Abfahrt wird seiner Meinung nach entscheidend sein. Neben hunderten Fans werden hier seine Familie und viele Freunde stehen.

An einer der Stellen, wo wahrscheinlich schon der Uropa und die komplette Nachkommenschaft den Gegnern davongefahren sind.

Das kann ja eigentlich nur gut werden.