Es sind wieder einmal Zahlen, auf die man als Deutscher nur mit Staunen schauen kann: Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB haben zu ihrer Halbjahresbilanz erneut einen Pünktlichkeitsrekord verkündet. 94,5 Prozent aller Züge sind maximal drei Minuten zu spät. In Deutschland sind es im Fernverkehr 56,1 Prozent, im Regionalverkehr 87,4 Prozent und das auch noch nach einer deutlich großzügigeren Definition, diese Züge dürfen sogar bis zu 5:59 Minuten zu spät sein.

Kein Wunder also, was bei der Pressekonferenz der SBB als Problem für die Pünktlichkeit genannt wird: Internationale Verbindung, die Verspätung ins Land bringen. Und genau eine einzige Strecke von den vielen Verbindungen nach Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland erwähnt SBB-Chef Vincent Ducrot ganz explizit: die Verbindung Zürich-Singen-Stuttgart, die Gäubahn. „Absolut ungenügend“ seien die Werte auf dieser Strecke, sagt Ducrot später im SÜDKURIER-Gespräch. Er bekomme regelmäßig Mails und Anrufe von Menschen, die sich über die Verbindung beschweren.

Nur 60 bis 70 Prozent der Züge kämen pünktlich an der Schweizer Grenze in Schaffhausen an. Deswegen stehen dort seit kurzem Ersatzzüge bereit, damit Reisende umsteigen können und die Unpünktlichkeit nicht ins Schweizer Netz kommt. 40 Mal sei dieser Ersatzzug schon zum Einsatz gekommen, innerhalb von nicht einmal anderthalb Monaten.

Direktverbindung Zürich-Stuttgart steht in Frage

Hat der SBB-Chef denn noch Hoffnung, dass sich die Lage bessert? Sie muss sich bessern, sagt Ducrot. Möglichkeiten seien Fahrplananpassungen mit mehr Puffer – oder am Ende eben doch weniger durchgehende Verbindungen von Zürich nach Stuttgart. Ende 2026, wenn Stuttgart 21 in Betrieb geht, droht zudem bekanntlich am anderen Ende der Strecke weiteres Ungemach.

„Mit Sorgen“ blickt Ducrot auf die S21-Inbetriebnahme, die eine Kappung der Gäubahn in Stuttgart-Vaihingen bedeutet. Die Fahrgäste wollen eben zum Hauptbahnhof, sagt er. Das „klare Ziel“ der SBB sei der Erhalt dieser Direktverbindung. Eine kurzfristige Kappung sei zu verschmerzen, eine jahrelange, wie sie derzeit geplant ist, aber nicht.

Die Zuversicht der SBB in Sachen Gäubahn wirkt also überschaubar, was für die Zukunft der Verbindung nichts Gutes verheißt. Man stehe aber in guten Verhandlungen mit der Deutschen Bahn – generell spricht Ducrot von einem sehr guten Austausch mit dem nun scheidenden DB-Chef Richard Lutz.

SBB Deutschland soll nicht massiv expandieren

Einen Dämpfer versetzt Ducrot Hoffnungen, wonach die bei Reisenden für ihre Zuverlässigkeit geschätzte deutsche SBB-Tochter neben Rhyhas, Seehas und Wiesentalbahn noch deutlich mehr Strecken im südlichen Baden-Württemberg übernehmen könnte. „Es gibt Grenzen“, sagt der SBB-Chef. Das Engagement im Ausland sei nicht die primäre Aufgabe der SBB, „ich werde da keine Expansionsstrategie fahren“.

In Sachen Profitabilität der SBB Deutschland will er nicht konkret werden – es stünde auch nicht möglichst hohe Rentabilität im Mittelpunkt, sondern Kunden möglichst pünktlich zu bewegen. Ab Ende 2027 wird die SBB Deutschland auch den Hochrhein-Bodensee-Express von St. Gallen über Konstanz und Waldshut nach Basel betreiben.

Deutlich weniger Begeisterung schlägt derweil anderen SBB-Plänen am Hochrhein entgegen. Hier soll die Strecke zwischen Schaffhausen und Zürich ausgebaut werden, um einen 30-Minuten-Takt zu realisieren. Ein Abschnitt führt auch über deutsches Gebiet. Im Planungsverfahren um ein Gleis zwischen Lottstetten und Jestetten im Kreis Waldshut gibt es mittlerweile rund 160 Einwendungen von Privatleuten.

Ein Widerstand, der Ducrot nicht völlig überrascht: „Es ist verständlich, dass sich bei Ausbauplänen Menschen melden, die es betrifft. Es ist auch normal, dass alle einen Ausbau der Bahn wollen, aber nicht vor der eigenen Haustüre.“ Man werde die Einwände und mögliche Alternativen prüfen und dann sachlich entscheiden.

Der Erhalt des Netzes ist derweil ein Problem, dass die SBB mit der Deutschen Bahn verbindet. Der Rückstand im Unterhalt wachse, verkündet Ducrot bei der Halbjahres-Pressekonferenz, es seien mehr Mittel vom Bund für den Unterhalt nötig.

Eine weitere Parallele zu Deutschland: Wie die Güterverkehrssparte DB Cargo macht auch die SBB Cargo Verluste, rund 47 Millionen Franken im ersten Halbjahr. Hier bauen die SBB auch Personal ab. Ähnlich wie die Deutsche Bahn setzen zudem auch die SBB verstärkt auf Totalsperrungen, wenn es um die Sanierung von Strecken geht. Das sei zwar eine große logistische Herausforderung, allerdings effizienter, schneller und sicherer und so am Ende auch für Fahrgäste besser, erklärt Ducrot.

Welchen Nachfolger er sich für DB-Chef Richard Lutz wünscht, beantwortet der SBB-Chef, ganz neutraler Schweizer, natürlich nicht. Aber eines stellt er klar: „Ich wünsche der Person, die die DB dann leiten wird, aber eines: politische Rückendeckung, ein engagiertes Verkehrsministerium. Nur wenn Politik und DB in einer Linie stehen, kann das erfolgreich sein. Das Problem in Deutschland ist, dass es dieses politische Engagement in den letzten 20 Jahren nicht gab.“