Es ist Montag und lebhaftes Treiben ist an einem kalten Tag wie diesem nicht zu erwarten. Die Fußgängerzone von Frauenfeld, immerhin der größten Stadt des Thurgaus, ist leer. Niemand will hier einkaufen, niemand kann hier einkaufen. Seit Montag, 18. Januar, gilt: Alle Geschäfte, die keine Waren für den täglichen Bedarf anbieten, bleiben geschlossen. Alle? Blumenläden, Friseure, Nagelstudios dürfen weitermachen. Warum, versteht nicht jeder. Wenn Menschen durch die Straßen huschen, haben sie ein klares Ziel, verweilen nicht. Kaum einer ist hier ohne Schutzmaske unterwegs.

Mohammed Hasan steht vor seinem Friseurgeschäft auf einen Schwatz mit dem Kollegen Ramzy Hysein. „Es kommen schon Kunden, aber nicht wie vorher“, sagt er. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er drei Kunden versorgt, viel zu wenige. „Wir arbeiten weiter, ich muss ja die Miete zahlen und meine Krankenversicherung“, sagt er.

Ein paar Straßen weiter findet ein anderer Friseurmeister noch deutlichere Worte: „Ich wäre lieber im Lockdown, dann könnte ich wenigstens Kurzarbeit anmelden“, sagt Philipp Giger, der sich in seinem Friseurgeschäft Louis Philipp, nun ja, heute langweilt. Bis zur Mittagszeit war noch kein Kunde da. Seine beiden Mitarbeiterinnen stehen neben ihm und wären auch lieber beschäftigt.
„Kein Grund, in die Stadt zu kommen“
Er wundert sich nicht, dass das Geschäft nicht läuft: „Die meisten Leute sind zuhause im Homeoffice. Sie haben keinen Grund, in die Stadt zu kommen.“ Wirtschaftlich werde es „dramatisch“ für ihn und seine Mitarbeiter – es sei so kaum möglich, die Kosten für Miete und Gehälter zu erwirtschaften. Insgesamt arbeiten fünf Personen im Friseurgeschäft, manche in Teilzeit.
Ob die Maßnahmen nun berechtigt sind oder nicht, das will Philipp Giger nicht beurteilen. Er selbst sei an Corona erkrankt, bei ihm sei es verlaufen wie ein grippaler Infekt, drei Tage große Erschöpfung, danach rasch wieder aufwärts. Er wisse aber, dass es auch andere Krankheitsverläufe gebe.
Ein Traditionsgeschäft wartet auf bessere Zeiten
Eine weitere Geschäftsfrau, die ihre Erfahrungen mit der Viruserkrankung gemacht hat, ist Olivia Kees. Sie ist Inhaberin des kleinen Ladens „Olivia‘s Wolle und Handarbeiten“, einem Traditionsgeschäft in Frauenfeld, wie sie sagt, es besteht seit 1948. Nun ist es erst einmal zu.
„Die Kunden haben vergangene Woche den Laden leergekauft, das erleichtert mir das Überleben im Moment“, sagt Kees. Lieferanten und Miete konnte sie dadurch für den Januar zahlen, für sie selbst bleibe wohl kein Lohn übrig. Ab Februar werde sie die zugesagte Unterstützung durch den Kanton beantragen.
Olivia Kees steht hinter den Maßnahmen
Den Maßnahmen steht Olivia Kees zustimmend gegenüber. „Mein Vater ist an Corona gestorben“, sagt sie wie im Nebensatz, hinter dem Satz steckt eine ganze Geschichte. Er habe in Cremona, Italien, gelebt, und sei 82 Jahre alt gewesen, „ein Lebenskünstler“, sagt Kees und schmunzelt. Ihr Vater sei am 11. März an der Viruserkrankung gestorben, zu einer Zeit, als man in der Schweiz und in Deutschland gerade die ersten Schutzmaßnahmen zu ergreifen begann.
Jene, die sich dauerhaft schützen wollen, sind auf dem Weg ans Obere Mätteli, einem Parkplatz in Bahnhofsnähe. Dort ist das bislang einzige Impfzentrum im Thurgau in einem Zelt aufgebaut. Thurgauer Bürger, die älter als 75 Jahre sind oder einer anderen Risikogruppe angehören, erhalten dort Termine.
Margareta Stark ist eine der ersten zu Impfenden. In der jüngsten Vergangenheit sei sie kaum aus dem Haus gegangen, alle zehn Tage habe sie eingekauft. „Wir wohnen auf dem Land, eigentlich geht es uns sehr gut“, sagt sie. Um die Impfung sei sie trotzdem sehr froh. „Ich vermisse meine Freiheit.“

Auch Elisabeth Liebherr, die in Begleitung ihrer Tochter ist, ist froh, jetzt zur Impfung gehen zu können. Wie Margareta Stark wurde sie über ihren Hausarzt angemeldet, anders als in Baden-Württemberg, wo jeder Bürger sich selbst um seinen Termin kümmern muss.
Bei beiden Frauen klappte die Anmeldung problemlos: Wenige Stunden nach dem Besuch beim Hausarzt hätten sie bereits eine SMS mit dem Termin bekommen.
Bedenken wegen möglichen Beschwerden nach der Impfung hat Elisabeth Liebherr nicht. Die Seniorin gehöre nicht zu den Ängstlichen, sei auch viel unterwegs gewesen. Dennoch: die Impfung ist ihr sehr willkommen.
Aus dem Frauenfelder Klinikum gibt es erste positive Signale: Am Montag sind 15 positiv getestete Patienten stationär im Krankenhaus aufgenommen, drei davon liegen auf der Intensivstation, wie Marc Kohler, Geschäftsführer der Thurgauer Kliniken, auf Anfrage berichtet. „Die Maßnahmen scheinen im Kanton Thurgau zu greifen“, schreibt Kohler auf Anfrage. Allerdings habe man großen Respekt vor den Virus-Mutationen. Sie könnten alle Anstrengungen der vergangenen Wochen, Covid-19 einzudämmen, wieder zunichte machen.