Der kleine Industriepark in der Schweizerischen Grenzgemeinde Tägerwilen sieht nicht gerade so aus, als könnte sich hier das Schicksal Hunderttausender schwer erkrankter Menschen entscheiden. Ein Parkplatz, eine Bahnlinie und ein nüchternes Funktionsgebäude mit grauer Stahlfront.
Neben einem Institut für Werkstofftechnik, einem Gebäudereinigungsspezialisten und ein paar Start-up-Firmen hat hier aber auch ein Biotechnologieunternehmen seinen Sitz, das für viele schwer an Covid-19 erkrankte Menschen, insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern, Hoffnung bringen könnte. Zumindest ist Michael Zang-Gandor, Chef und Eigner der Firma Eugenex Biotechnologies, davon überzeugt.
Der gebürtige Oberbayer mit Arbeitsplatz am Bodensee hat Eugenex Biotechnologies zusammen mit seiner Frau Christine Gandor 1999 gegründet. Einen gut dotieren Job beim Pharmariesen Novartis hatten die studierten Biotechnologen zuvor aufgegeben. „Wir wollten unsere eigenen Ideen verfolgen und was Gutes draus machen“, sagt der 56-Jährige.
In Asien werden Menschen mit dem Anti-Covid-Präparat von Eugenex behandelt
Das könnte geklappt haben. Ende 2021 erhielt ein mit Eugenex Technologie entwickelter Antikörper namens Tocira eine Notfallzulassung in Indien. Nach Darstellung der Forscher kann er bei schweren Covid-19-Verläufen Leben retten. Mit im Boot ist der indische Hetero-Konzern – einer der großen Medikamenten-Hersteller weltweit, in dessen Fabriken auch Pillen für Pfizer, Takeda oder Roche vom Band laufen. Dessen Biopharma-Tochter habe Tocira erfolgreich auf den Markt gebracht, wie Zang-Gandor sagt.

Tocira werde mittlerweile schon in etwa 20 weitere Länder, vornehmlich in Asien, exportiert, sagt Zang-Gandor. Auch für Europa und die USA werde eine Zulassung angestrebt. „Für uns ist das ein Riesenerfolg“, sagt der Pharmaforscher, der im Konstanzer Stadtteil Dingelsdorf lebt. Dem Oberbayern und seiner Frau einen brennenden Forscherdrang zu unterstellen, tut ihnen wahrscheinlich nicht unrecht.
„Bei unserer Arbeit geht es uns nicht in erster Linie ums Geldverdienen, sondern darum, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen“, sagt er. Während so mancher Studienkollege sein Wissen über biotechnologische Wirkstoffe so schnell wie möglich vergoldete, bei Risikokapitalgebern Millionen einsammelte, diese aber oft auch ebenso zügig wieder verbrannte, forschten die Tägerwiler eher im Stillen. „Ich habe lange kein richtiges Auto gehabt und fast alles Geld in die Firma investiert“, sagt Zang-Gandor.
Mittel gegen Krebs und Rheuma
Das Startkapital für Eugenex bildete Ende der 1990er Jahre neben 20 000 Schweizer Franken eine eigene Zelllinie, für die das Forscher-Pärchen als Studenten an der Eidgenössischen Technischem Hochschule (ETH) die Grundlagen gelegt hatte. Daran anknüpfend entwickelten sie in ihrer neuen Firma eine komplett neue Zelllinie deren Eigenschaften sich von den bislang bestehenden abhoben. Solche Zelllinien sind die Grundlage für biopharmazeutische Medikamente – eine Produktklasse, die seit etwa 15 Jahren zusehends traditionelle, mittels chemischer Verfahren hergestellte, Arzneimittel ergänzen. Eugenex ist ein Spezialist für solche Zelllinien und entsprechende Nährlösungen.

Das Schweizer Unternehmen mit gerade einmal zehn Mitarbeitern hat dabei sogar die ganz dicken Fische an der Angel. Seit Anfang der 2000er Jahre nutzt der Generika-Hersteller Stada die Eugenex-Technologie, um Silapo herzustellen – ein Biotech-Medikament, das für die Therapie von Dialyse- und Krebspatienten genutzt wird und gleichzeitig eines der ersten biotechnologischen Nachahmer-Produkte – sogenannte Biosimilars – weltweit ist. 2018 wurde dieses von Eugenex entwickelte Medikament von dem US-Pharmariesen Pfizer unter dem Namen Retacrit in den USA eingeführt.
Nach diesem Durchbruch ging es bei Eugenex schnell. Auf seiner Webseite wirbt die Firma aus Tägerwilen mit einem Dutzend Biosimilars, die Eugenex-Zellinien nutzen und weltweit bei Patienten im Einsatz sind. Das Anti-Corona-Mittel Tocira, das ein lange etabliertes Medikament des Basler Pharma-Riesen Roche nachahmt, ist der letzte Erfolg in dieser Reihe. Tocira soll das Überschießen des Immunsystems bei Corona-Patienten verhindern.

Eine Kleinfirma, die im großen Pharmageschäft mitmischt? „Nicht ungewöhnlich“, sagt Rolf Hömke, Sprecher beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA). Oft hätten kleine Firmen Spezialkompetenzen, die selbst über das Know-How von Konzernen hinausreichten. Für alles übrige suchten sie sich Partner in der Industrie. So macht es auch Eugenex.
Aber wieso braucht man überhaupt Firmen, die bereits existierende Medikamente nachahmen? Zang-Gandors Antwort ist einfach: An die Markenpräparate komme in den armen Ländern fast niemand heran, sagt er. „Die Versorgung der Bevölkerung in Schwellenländern mit Medikamenten der Markenhersteller ist völlig unzureichend.“
Eugenex sucht Mitarbeiter
Tatsächlich ist der Zugang zu hierzulande gängigen Arzneimitteln in großen Teilen der Welt nicht gegeben. Und das gilt nicht nur für Corona-Impfstoffe, sondern allgemein. Arme Länder können es sich schlicht nicht leisten, die teuren Original-Präparate der Pharmariesen für die eigene Bevölkerung zu kaufen. Daher haben Nachahmer-Mittel in diesen Ländern eine noch größere Bedeutung als hierzulande.
Das bestätigt auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA). Günstige Medikamente seien ein Beitrag für die Versorgung der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, sagt VfA-Sprecher Hömke.

Die Schweizer Pharma-Entwickler von Eugenex leben dabei von Lizenzgebühren, die sie vom jeweiligen Vermarktungspartner erhalten. „Wir könnten da deutlich mehr nehmen, aber darum geht es uns nicht“, sagt Zang-Gandor. „Wir wollen, dass alle Menschen Zugang zu guten Medikamenten haben.“ Gleichzeitig sei das Geschäft auch lukrativ. „Wir machen Business und Entwicklungshilfe gleichzeitig“, sagt der Biotechnologe. Statt einer Schrottlaube steht mittlerweile auch ein Mercedes Cabrio in seiner Garage in Dingelsdorf.
Den Drang, sein Unternehmen, das „niedrige einstellige Millionenumsätze“ einfährt, auf Wachstum zu trimmen, verspürt Zang-Gandor nicht. Das mache die Pharmaentwicklung nicht unbedingt erfolgreicher. Dennoch sucht Eugenex Mitarbeiter. Nach dem Erfolg auf dem indischen Markt könne man qualifizierte Verstärkung „ganz gut gebrauchen“.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels wurde fälschlicherweise angeführt, eine wichtige Zelllinie sei von den Eugenex-Eignern an der ETH entwickelt worden. Das ist nicht korrekt. Dazu stellt Eugenex fest:
Michael Zang-Gandor und Christine Gandor hatten an der ETH bereits mit tierischen Zellen gearbeitet. Um Industriestandard zu genügen, wurde die von Eugenex verwendete CHOSI Zelllinie 1999 in einem langwierigen und komplizierten Prozess komplett neu entwickelt. Die CHOSI Zellen und die Zusammensetzung der proteinfreien Nährlösung stellen einen wesentlichen Teil des wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kapitals dar und sind im alleinigen Besitz von Eugenex. Zudem legt Eugenex Wert auf die Feststellung, dass Ende 2021 der mit der Eugenex Technologie entwickelte Antikörper Tocira eine Notfallzulassung in Indien erhielt und über die Biopharmatochter des Hetero-Konzerns erfolgreich auf den Markt gebracht wurde.