79 Treppenstufen, dann ist man oben angekommen. „Das ist schon ein kleines Kardiotraining“, sagt Ljubivoj Bakic und lächelt. Der 45-Jährige ist ein Koloss. Das offenbart sich allerdings erst, als er im Kreuzlinger Fitnessstudio Iron Gym, wo er trainiert, die dicke Winterjacke auszieht. Der Blick fällt sofort auf seine muskulösen Oberarme, was ihm nicht entgeht. „Willst du mal anfassen?“, fragt der Bodybuilder, den alle nur Lubi nennen.
Und plötzlich ist klar, weshalb man von stahlharten Muskeln spricht. Bakic hat eine erfolgreiche Saison hinter sich. Innerhalb von zwei Monaten hat er fünf Wettkämpfe bestritten. Darunter die Schweizer und die Europameisterschaften. Allein bei diesen beiden Anlässen konnte er sich fünf Titel sichern, darunter in beiden Fällen den Gesamtsieg. Damit ist er Schweizer und Europameister. Und er ist IFBB-Pro Bodybuilder.
Morgens wird die Ausdauer trainiert, abends die Kraft
Der Erfolg hat lange auf sich warten lassen. Vor 26 Jahren hat Bakic mit dem Bodybuilding angefangen. 1997 habe er als Zuschauer einen Wettkampf besucht und sofort gewusst: „Das will ich auch.“ Und das sei es auch, was es brauche für diesen Sport: Wille, Disziplin und Ehrgeiz. 16 Wochen vor den Wettkämpfen habe er mit der Vorbereitung begonnen.
Über diesen Zeitraum wird das Training immer weiter intensiviert, in den letzten sechs Wochen trainiert man zweimal täglich. Morgens steht Ausdauer, abends Kraft auf dem Programm. Ersteres diene dazu, den Fettanteil niedrig zu halten. „Ich habe jeweils morgens um 5 oder 6 Uhr früh trainiert, nüchtern, weil das am effektivsten ist.“ Bakic schätzt, dass er aktuell einen Körperfettanteil von vier Prozent hat, normal für einen Mann wären 18 Prozent.
Nicht nur das Training, auch die Ernährung sei in dieser Zeit entscheidend. Sie müsse eiweißreich, zum Schutz der Muskeln, und arm an Kohlehydraten sein. Das Ziel: Man nimmt weniger Kalorien zu sich, als man verbraucht, damit der Körper die eigenen Fettreserven anzapft. Das sei belastend. Man sei ständig müde, hungrig, sensibel. Deshalb sei Selbstreflexion wichtig, und dass man nicht zu hart mit sich sei. „In dieser Zeit braucht man auch Unterstützung“, sagt Bakic. Die habe er gehabt, von seiner Frau, den beiden Söhnen, der Schwiegermutter.
Unter der Vorbereitung, dem Training habe sein soziales Leben gelitten, sagt er. Keine Ausflüge, keine Feste, keine Abendessen in Restaurants, nichts. Vor allem sein neunjähriger Sohn habe Mühe damit gehabt, der ältere habe es mit seinen 16 Jahren besser verstanden. Das sei der Nachteil an diesem Sport. „Wer gewinnen will, muss viel reinstecken.“ Nun, wo die Wettkämpfe vorbei seien, gelte es, entsprechend Dinge nachzuholen. „Wir gehen ins Kino oder an den Weihnachtsmarkt, genießen die Zeit als Familie.“
„Übungen falsch ausführen, das kann zu Problemen führen“
Ljubivoj Bakic arbeitet in einem Kreuzlinger Fitnessstudio als Trainer. Er hat in Mazedonien, wo er geboren und aufgewachsen ist, das Sportgymnasium absolviert und später an der Universität in Skopje Sport studiert. Seit 14 Jahren lebt er in der Schweiz und hat sich hier zum medizinischen Trainer ausbilden lassen. Ihm ist wichtig, dass seine Kunden richtig trainieren, gesund bleiben. „Durch Instagram und YouTube kommt es leider immer häufiger dazu, dass die Leute die Übungen falsch ausführen, das kann zu Problemen führen“, sagt er im Gespräch.
Umso wichtiger sei es, dass man beim Training professionell betreut werde. Zudem müsse man aufpassen, dass das Training nicht zur Sucht werde. Bakic sagt: „Man kann sich vom Sport auch versklaven lassen.“ Er selbst habe immer mal wieder mehrere Jahre mit der Teilnahme an Wettkämpfen pausiert. Freude habe er an Kunden, die schon 70 oder 80 Jahre alt seien und trainieren, um fit und gesund zu bleiben. „Das wünsche ich mir auch für mich.“
Auf die Frage, wann seine Muskeln im Alltag zum Problem würden, antwortet Bakic sofort: „Im Flugzeug.“ Er müsse jeweils darauf achten, dass seine Arme und Beine nicht zu stark in den Gang ragen, damit das Bordpersonal noch mit dem Getränkewagen durchkomme. Er lacht. „Und in Restaurants bestelle ich jeweils ein zusätzliches Stück Fleisch oder Fisch, sonst werde ich nicht satt.“
Schwierigkeiten habe er auch beim Kauf von Kleidung. Er brauche Jeans, die dehnbar seien, und seine Poloshirts kaufe er in Größe XXXL. Nach einer passenden Winterjacke habe er dagegen lange suchen müssen. „Hemden sind das größte Problem“, sagt er. Die müsse er sich maßschneidern lassen. „Und sie müssen kurzärmlig sein, bei den Langärmligen habe ich keine Chance“, sagt der 45-Jährige im Gespräch.
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit der „Thurgauer Zeitung“.