Schon vor der Pandemie war der Pflegemangel in Baden-Württemberg akut. Insbesondere in Südbaden lockt die Schweiz mit höheren Verdiensten. Jetzt könnte ein neuer Faktor hinzukommen: die bevorstehende Impfpflicht. Ab 16. März müssen Kranken- und Altenpfleger nachweisen können, dass sie geimpft sind, andernfalls dürfen sie nicht mehr zur Arbeit kommen.
Zwar ist die Impfquote nach Angaben des Sozialministeriums bei den Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern im Südwesten recht hoch: Stand Ende Januar sind 85,4 Prozent vollständig geimpft. Doch im Umgang mit Patienten, die gefährdeter sind als andere, muss nach dem Willen der Bundesregierung eine vollständige Impfquote her.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe fürchtet wegen der Impfpflicht, „dass die pflegerische Versorgung durch Kündigungen nicht mehr gewährleistet werden könne.“ Uwe Seibel, Geschäftsführer des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe Südwest, erklärt das Problem: Die Situation in den Pflegeberufen sei schon vor der Pandemie angespannt gewesen, was durch die Pandemie noch verschärft wurde. Durch die Belastung drohe nicht zwingend der Weggang in die Schweiz, aber die Berufsaufgabe generell.
Schweizer Gewinn?
In der Schweiz gibt es dagegen keine Impfpflicht für Pflegekräfte, nur einzelne Kantone beraten derzeit darüber. Ist die Schweiz also der bessere Arbeitgeber für Ungeimpfte?
Daniel Simon, Präsident der Basler Vertretung des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK), sagt dazu: „Wir stellen schon fest, dass einige Einrichtungen seit Jahresbeginn Anfragen bekommen von deutschen Pflegekräften, bei denen sich dann herausstellt, dass sie nicht geimpft sind.“ Diese Anfragen seien aber sehr vereinzelt, so habe das Uniklinikum in Basel „vielleicht zehn“ solcher Anfragen erhalten.
Bewerber haben aber vor allem im Pflegebereich gute Chancen: Bei den Heimen werde häufig gar nicht nach dem Impfstatus gefragt, ergänzt Simon. Auch Krankenhäuser dürfen zwar fragen, die „Information ist aber freiwillig“, betont der Pflegeexperte. Deshalb sei es schwierig, zahlenmäßig zu erfassen, wie viele der deutschen Pflegekräfte nicht geimpft seien und sich deshalb beworben haben.
In vielen Zeitarbeitsfirmen, die den Schweizer Pflegekräftemangel mindern müssen, werde ohnehin gar nicht nach dem Impfstatus gefragt, sagt Simon: Sie seien froh, wenn sie überhaupt Pflegekräfte gewinnen können.

Bislang keine Zunahme deutsche Bewerbungen
Eine deutliche Zunahme an deutschen Pflegekräften kann der SBK für die Gesamtschweiz aber nicht feststellen. SBK-Sprecherin Roswitha Koch sagt: „Nach unserer Einschätzung hat die Zuwanderung aus Deutschland in den letzten zehn Jahren eher abgenommen.“
Ein Grund dafür könnte laut Simon die verbesserte Vergütung im deutschen Grenzbereich sein, die das Pendeln in die Schweiz nicht mehr so attraktiv machten, zumal teils mehrere Stunden Anfahrt in Kauf genommen werden müssten.

Den Eindruck bestätigt auch Edit Wohlfender vom SBK, zuständig für die Kantone St. Gallen, Thurgau sowie Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden: „Nur von einer Teilzeitangestellten weiß ich, dass sie in Deutschland gekündigt hat und jetzt voll in der Schweiz arbeitet.“ Auch in Pflegeheimen habe es „nur wenige Bewerbungen“ von deutschen Pflegekräften gegeben, „keine aufgrund der Impfpflicht“.
Pflegekräfte freigestellt
Und auf deutscher Seite? Von einer Kündigungswelle lässt sich derzeit nicht sprechen, wie eine stichprobenartige Umfrage des SÜDKURIER zeigt.
Im Freiburger St. Josefs-Krankenhaus und in der Loretto-Klinik gilt seit 1. Januar bereits eine selbst verhängte Impfpflicht. 35 Mitarbeiter seien derzeit deshalb freigestellt, sagt Julie Markwald, die Sprecherin der beiden Häuser, auf Anfrage. Einige von ihnen seien bereit, sich mit dem neuen Totimpfstoff impfen zu lassen. „Gekündigt haben wir niemandem, da wir allen eine Rückkehr möglichst niederschwellig möglich machen möchten, sobald sie geimpft sind“, betont Markwald.
Auch in südbadischen Kliniken gibt es bisher kaum Indizien auf eine Abwanderung ungeimpfter Pfleger in die Schweiz. Dem Klinikum Waldshut lägen derzeit noch keine entsprechenden Zahlen vor, erklärt Sprecherin Luisa Denz.
Im Gesundheitsverbund Konstanz mit den Krankenhäusern in Konstanz, Radolfzell und Singen liegt die Impfquote nach Angaben von Sprecherin Andrea Jagode sogar bei über 95 Prozent. Auch hier heißt es, es gebe eine Reihe von Mitarbeitern, die auf den neuen Impfstoff Novavax gewartet haben.
Bislang seien unter den 3800 Beschäftigten keine Kündigungen im Zusammenhang mit der Impfpflicht bekannt. „Ein zahlreiches Abwandern von Beschäftigten in Richtung Schweiz können wir aktuell nicht feststellen“, so Jagode.