Wirklich weit kann man an diesem Vormittag nicht sehen. Tiefe Nebelschwaden hängen an der Ebenalp im nördlichen Alpstein. Die satten grünen Wiesen sind zwar noch erkennbar, doch die beeindruckende Aussicht lässt sich nur erahnen. Trotzdem sind auch bei diesem Wetter Menschen auf dem Wanderweg unterwegs. Englische Sprachfetzen sind zu hören, eine japanische Reisegruppe hat sich gerade auf den Weg gemacht.

Wegen des Regenwetters bemerkt man fast nicht, dass das Ziel nur noch wenige Meter entfernt ist: Der Nebel lichtet sich und bringt das Berggasthaus Aescher-Wildkirchli zum Vorschein. Auf 1454 Metern Höhe schmiegt sich das Holzhaus an eine 100 Meter hohe Felswand. Links geht es steil den Berg hinunter. In der Ferne hat man normalerweise eine spektakuläre Sicht auf den Alpstein. Es ist die perfekte Bergidylle.

Das Motiv ist bekannt, aber an diesem Tag in mystischen Nebel gehüllt: Das Berggasthaus Aescher.
Das Motiv ist bekannt, aber an diesem Tag in mystischen Nebel gehüllt: Das Berggasthaus Aescher. | Bild: Nathalie Metzel

2015 ging der Aescher viral

Kein Wunder also, dass Touristen aus aller Welt in den Schweizer Kanton Appenzell reisen, um das Gasthaus aus der Nähe zu sehen.

„Durch Social Media werden Orte wie der Aescher sehr viel schneller berühmt“, sagt Melanie Gmünder. „Seit 2015 kommen deutlich mehr internationale Gäste.“ Die 34-Jährige ist Mitgeschäftsführerin der Eventagentur Pfefferbeere. Die Agentur hat den Aescher im Jahr 2019 übernommen.

Vor zweieinhalb Wochen erst öffnete der Aescher seine Türen für das Jahr 2025. Am 5. Mai startete Melanie Gmünder in die siebte Saison, in der sie das Gasthaus betreibt. „So früh waren wir noch nie dran“, sagt sie. „Wir können immer erst öffnen, wenn es keine Lawinengefahr mehr gibt.“

So sieht es hier an einem sommerlichen Tag aus. Das Foto stammt aus dem Jahr 2018.
So sieht es hier an einem sommerlichen Tag aus. Das Foto stammt aus dem Jahr 2018. | Bild: Melanie Duchene, dpa

Trubel wurde den Pächtern zu viel

2015 war der Aescher auf der Titelseite der Zeitschrift „Places of a Lifetime“ von National Geographic abgebildet. Später knipste sich unter anderem der US-Schauspieler Ashton Kutcher vor dem berühmten Motiv. Das machte das Gasthaus weltweit bekannt. Unter dem Hashtag „Aescher“ finden sich unzählige Videos und Bilder. Sie werden millionenfach geklickt, das Gasthaus wird in Videos gelistet, die Titel tragen wie: „Orte, die du in der Schweiz gesehen haben musst.“

Den Pächtern, die das Berggasthaus vor 2019 betrieben, wurde der Rummel laut Medienberichten zu viel. Die Infrastruktur sei dem Ansturm nicht mehr gewappnet, berichtete etwa die Schweizer Zeitung ‚Blick‘ damals.

Pächterin: „Kein Massentourismus“

Die Eventagentur Pfefferbeere, unter Leitung von Melanie Gmünder und Gallus Knechtle, ließ sich von den vielen Touristen nicht abschrecken. „Wir wussten, wir würden viele Gäste haben“, sagt Melanie Gmünder. Der Alpstein sei schon immer gut besucht gewesen, das würden auch alte Pächter anderer Gasthäuser erzählen. Von Massentourismus möchte sie nicht sprechen: „Klar ist es am Wochenende voll. Aber wenn man am Wochenende im Supermarkt einkaufen geht, ist es da auch voll.“

Kurz nach der Übernahme des Gasthauses wurde der Aescher teilweise umgebaut. Die Baupläne sind noch unter den Vorgängern entstanden. „Die Kühlzellen sind nun ebenerdig, wir müssen also nichts mehr in den Keller schleppen“, sagt Melanie Gmünder. Auch die Sanitäranlagen wurden saniert. Es wurden Vakuumtoiletten eingebaut, die man zum Beispiel aus der Bahn kennt. So spare man Wasser. „Wasser ist unser höchstes Gut“, sagt Gmünder. Ressourcen sparen sei wichtig, wenn man eine Bergwirtschaft führe.

Von links: Dominik, Quentin und Sabrina arbeiten in der Küche des Aeschers.
Von links: Dominik, Quentin und Sabrina arbeiten in der Küche des Aeschers. | Bild: Nathalie Metzel

„Der Aescher ist mein Baby“

Der Start vor sechs Jahren war eine Herausforderung, sagt Melanie Gmünder. Sie selbst hatte zuvor kaum Erfahrung in der Gastronomie. Als Gmünder den Aescher übernahm, war sie erst 27 und hat seitdem Personalverantwortung für zehn Angestellte und eine Handvoll Aushilfen.

„Wir sind zwar eine Eventagentur, aber wir leben hier oben miteinander wie in einer großen Familie“, sagt Melanie Gmünder. „Da kommt es nicht darauf an, ob eine Firma hinten dran steht oder eine richtige Familie.“ Sie selbst helfe da, wo sie gebraucht werde: in der Küche, im Gastraum, sie putze auch mal die Toiletten. „Der Aescher ist mein Baby“, sagt Gmünder und lacht.

Im Tal werden die Gerichte vorbereitet

Es habe ein wenig gedauert, bis sich Routinen einstellten. „Unsere Vorgänger haben sehr gut gewirkt und sich besonders mit dem Essen einen Namen gemacht“, sagt Gmünder. Dass sich die Eventagentur Pfefferbeere entschieden habe, die berühmten Rösti von der Karte zu nehmen, sei nicht bei allen Touristen gut angekommen.

Gmünder und ihr Team setzen auf Appenzeller Gerichte und werden von Metzgern, Bäckern und Brauereien aus der Region beliefert. „Wir machen alles selbst. Convenience-Produkte gibt es bei uns nicht“, sagt Melanie Gmünder. Unten im Tal hat die Agentur Pfefferbeere ausreichend Platz, um Gerichte für das Berggasthaus vorzubereiten. „Das ist eine Erleichterung für uns hier oben“, sagt Gmünder.

Vorräte werden per Seilbahn hochgebracht

Denn die Küche im Gasthaus sei für die Gästezahl eigentlich nicht ausreichend groß. Und man verursache so weniger Müll auf dem Berg. Ohne die Eventagentur im Rücken ist es kaum möglich, diese Speisenauswahl auf dem Berg anzubieten, sagt Melanie Gmünder.

Zweimal in der Woche werden die Vorräte mit der Ebenalpbahn auf den Berg gebracht. Von dort müssen Getränke und Nahrung zu Fuß zum Restaurant gebracht werden. „Wir haben ein Bier etwa acht Mal in der Hand, bis wir es unseren Gästen servieren“, sagt Melanie Gmünder.

Mit der Ebenalpbahn fährt man aus Wasserauen auf den Berg hinauf.
Mit der Ebenalpbahn fährt man aus Wasserauen auf den Berg hinauf. | Bild: Nathalie Metzel

An starken Tagen kommen 1000 Gäste

Gmünder und ihr Partner Lucca Bühler leben von Mai bis November auf dem Berg. Nur alle 14 Tage fährt Gmünder mal ins Tal. „Die Arbeit in einem Bergrestaurant ist tough. Es nimmt einem viel, aber es gibt einem auch viel“, sagt Gmünder. An den Lebensstil habe sie sich inzwischen gewöhnt.

Doch wie haben sich die Gästezahlen inzwischen entwickelt? Das St. Galler Tagblatt berichtete im vergangenen Oktober, dass der Kanton Appenzell-Innerrhoden über ein Parkhaus in Wasserauen nachdenke. Von dort fährt man mit der Ebenalpbahn auf den Berg oder startet mit der Wanderung. Die knapp 900 Parkplätze seien zu den Stoßzeiten komplett belegt, eine umfunktionierte Wiese befinde sich eigentlich in einem Grundwasserschutzareal.

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Schweizer umgehen Touristen

Am Aescher selbst beschwert man sich nicht über zu viele Gäste. „An starken Tagen kommen vielleicht 1000 Gäste, aber es gibt auch genügend Tage, da sind es nur 100 oder 10“, schätzt Melanie Gmünder.

So wie an diesem Morgen. Eine Handvoll Schweizer ist inzwischen am Aescher angekommen und kehrt im Gasthaus ein. Claude Mooser und seine Freunde stammen aus der französischen Schweiz, aus der Gegend des Ortes Gruyères. „Touristen haben wir bei uns auch jede Menge“, erzählen sie. Eigentlich seien sie gerade mit dem Fahrrad unterwegs, fünf Tage in der Alpsteingegend. Aber wegen des Regens hätten sie ihre Räder gegen Wanderschuhe getauscht: „Wir sind extra heute zum Aescher gekommen, um den Touristen zu entgehen.“

Claude Mooser (Mitte) und seine Freunde sind extra an einem Regentag angereist, um die Touristenmassen zu umgehen.
Claude Mooser (Mitte) und seine Freunde sind extra an einem Regentag angereist, um die Touristenmassen zu umgehen. | Bild: Nathalie Metzel

Touristen müssen sich der Umwelt bewusst werden

Diesen Spagat zu schaffen zwischen den Bedürfnissen der weit gereisten Touristen, die mit der Bahn hochfahren und den Wanderern aus der Region, das sei gar manchmal nicht so einfach, sagt Melanie Gmünder. Aber sie hat eigentlich nichts dagegen, dass so viele Menschen kommen: „Es ist ja auch schön, dass es ein Trend wird, in die Natur zu gehen.“ Und die 25 Gasthäuser im Alpstein seien schließlich vom Tourismus abhängig.

Wichtig ist ihr allerdings, dass die Besucher die Natur schätzen. Zwar gehe die große Mehrheit der Gäste respektvoll mit der Natur im Alpstein um. Aber Gmünder möchte die Menschen trotzdem etwas mehr dafür sensibilisieren, wo sie sich bewegen. Deshalb habe die Agentur Pfefferbeere in ihrem Shop etwa Taschenaschenbecher entworfen, um so selbst etwas gegen weggeworfene Zigarettenstummel zu tun.

Lucca Bühler und Melanie Gmünder leben den Sommer über auf dem Berg.
Lucca Bühler und Melanie Gmünder leben den Sommer über auf dem Berg. | Bild: Nathalie Metzel

Den Aescher zu führen, auf dem Berg zu leben, das kann Melanie Gmünder sich noch lange vorstellen. „Es ist meine Leidenschaft geworden.“ Sie fühle sich auf dem Berg inzwischen mehr zuhause als anderswo. „Ich würde kein anderes Gasthaus führen.“